» Texte / Partizipation und grüne Imagepolitik in Wien

Sarah Kumnig

Sarah Kumnig forscht und lehrt an der Universität Wien zur Neoliberalisierung des Städtischen, urbaner Landwirtschaft, Wohnpolitik, lokalen Grenzpraktiken und Urban Citizenship.


Wien präsentiert sich nicht nur als besonders soziale Stadt, sondern auch als ausgesprochen grün. Rund 50 Prozent der Stadtfläche sind Grünraum, es gibt 650 landwirtschaftliche Betriebe und immer mehr Gemeinschaftsgärten entstehen. Im Kontext einer neoliberalen Stadtentwicklung ist die Rolle urbaner Landwirtschaft und Gärten durchaus widersprüchlich. Während sich selbstorganisierte kollektive StadtLandwirtschaftsprojekte durch die Bepflanzung von Brachflächen Stadtgestaltung (wieder) aneignen wollen, wird städtischer Gemüseanbau auch gezielt als Instrument eingesetzt, um Stadtteile attraktiver zu machen. Selbst in Wien ruft inzwischen die Stadtverwaltung zur Beteiligung an Nachbar_innenschaftsgärten auf und der neue Stadtentwicklungsplan bezeichnet Urban Gardening als innovativen Impuls für die Belebung der Stadt.
        Gleichzeitig geraten landwirtschaftliche Flächen durch wachsenden Wohnbedarf und einen massiven Bauboom zunehmend unter Druck. Die Folge davon ist allerdings nicht die komplette Verdrängung städtischer Gemüseproduktion. Stattdessen kommt es zu einer selektiven Erhaltung und sogar Aktivierung bestimmter Formen städtischer Landwirtschaft und Gärten, während andere verschwinden.
Ein aktuelles Beispiel dafür ist das Donaufeld im 21. Wiener Gemeindebezirk Floridsdorf. Ausgewiesen als so genanntes Zielgebiet der Stadt-entwicklung wird dieses etwa 60 Hektar große Areal nach wie vor zu weiten Teilen landwirtschaftlich genutzt. Während die bestehenden Gemüsebetriebe in den kommenden Jahren 6.000 Wohnungen weichen sollen, ist das Stadtentwicklungsprojekt um ein besonders grünes und landwirtschaftliches Image bemüht.

Gartenbilder statt urbane Landwirtschaft

Im Entwicklungsleitbild für die Donaustadt wird die Schaffung eines nachhaltigen Stadtteils mit großzügigen Grün- und Freiräumen, Gemeinschaftsgärten und Selbsterntefeldern als zentrales Ziel formuliert. Konkret ist ein 14 Hektar großer Grünzug in der Mitte des Baugeländes geplant, in welchem auch urbane Landwirtschaft stattfinden soll. Von einer lokalen Bürger_inneninitiative wird jedoch kritisiert, dass damit nicht etwa landwirtschaftliche Gemüseproduktion gemeint sei, sondern Nachbar_innenschaftsgärten. Darüber hinaus sei die Umsetzung des Grünzugs in keinster Weise gesichert und der Ankauf der dafür notwendigen Flächen durchaus schwierig. Obwohl die Realisierung demnach äußerst ungewiss bleibt, wird der Grünzug trotzdem in Planungsdokumenten und bei Veranstaltungen als Schlüsselelement des Entwicklungsprojekts präsentiert.
        Dies kann als Reaktion auf den lokalen Widerstand gegen die Verbauung des Donaufeldes verstanden werden: Über Jahre hinweg versuchten Anwohner_innen und eine Bürger_inneninitiative die geplante Versiegelung der Felder zu verhindern. Um die Kooperation und Partizipation der Bevölkerung im Stadtentwicklungsprozess anzuregen, wurde zwischen April 2014 und Dezember 2015 ein Beteiligungsverfahren[1]: durchgeführt. Im Rahmen dessen fanden auch speziell grüne Aktivitäten statt. Dazu zählte unter anderem ein botanischer Spaziergang zum Thema Essbares Donaufeld sowie das Anlegen eines Gemeinschaftsgartens, welcher allerdings bereits nach einer Saison wieder beendet wurde.
        Der selektive und temporäre Einsatz urbaner Gärten als Green-washing-Instrumente in scheinbar grünen und nachhaltigen Stadtentwicklungsprojekten wird von Stadtaktivist_innen und -forschenden häufig kritisiert. So auch die gezielte Einbindung von Gemeinschaftsgärten in profitorientierte Strategien zur Imageverbesserung und Aufwertung von einzelnen Immobilien oder ganzen Stadtteilen (siehe dazu etwa McClintock 2013, Quastel 2009, Tornaghi 2014). Nicht selten wird in Analysen über die Auswirkungen von städtischen Begrünungs- und Umweltschutzprogrammen auf marginalisierte Bevölkerungsgruppen dabei von ökologischer Gentrifizierung gesprochen (vgl. Dooling 2014).
        Auch wenn im Falle des Donaufeldes die Aufwertung des neuen Stadtteils nicht unbedingt der Hauptzweck der geplanten Gemeinschaftsgärten und Selbsterntefelder sein mag, so wird dem Stadtentwicklungsprojekt durch diese Aktivitäten dennoch ein besonders grünes und landwirtschaftliches Image verliehen. Der temporäre Gemeinschaftsgarten wie auch die geplanten stadtlandwirtschaftlichen Projekte im Grünzug sind jedoch weder in Bezug auf den Ertrag noch auf die Flächengröße mit den aktuell existierenden Gemüsebetrieben zu vergleichen. Die Produktion von Lebensmitteln wird somit zunehmend durch die Herstellung von Gartenbildern abgelöst.

Beteiligung statt Mitbestimmung

Neben der Schaffung eines neuen nachhaltigen Stadtteils sieht das Entwicklungsleitbild außerdem die Partizipation der Bevölkerung vor. Während eines knapp zweijährigen Beteiligungsverfahrens fanden zahlreiche offene Informations- und Diskussionsveranstaltungen statt, wie etwa Vorträge von Stadtentwicklungsexpert_innen, runde Tische mit Entscheidungsträger_innen und Workshops zur zukünftigen Gestaltung des Donaufelds. Das Ziel des Beteiligungsprozesses war allerdings nicht die Miteinbeziehung der Bevölkerung in Entscheidungsprozesse, sondern einzig die Information über die geplanten Entwicklungen sowie die Sammlung von Anregungen für den Standort.
        Trotz dieser Vorgabe äußerten Teilnehmende bei Veranstaltungen immer wieder grundsätzliche Kritik an der Verbauung, doch diese stand von Anfang an nicht zur Debatte. Bereits zuvor hatten private Planungsbüros in Zusammenarbeit mit Magistratsstellen die Inhalte des Entwicklungsleitbildes erarbeitet. Die Bevölkerung wurde demnach ausschließlich dazu eingeladen, Ideen und Vorschläge für den Stadtentwicklungsprozess abzugeben. Eine Zusammenfassung der Anregungen und Kritikpunkte findet sich im Abschlussbericht des Beteiligungsverfahrens. Darin wird die Sicherung des geplanten Grünzugs sowie der weitgehende Erhalt landwirtschaftlicher Flächen als Hauptanliegen formuliert. Gefordert wurde darüber hinaus mehr direkte Einflussnahme der Bevölkerung auf einzelne Planungsschritte. Diese Ergebnisse sind jedoch in keinster Weise bindend, sondern lediglich Empfehlungen an die Stadtverwaltung, welche selbst entscheidet, ob Teile davon umgesetzt werden und wenn ja in welcher Form. Dies zeigt, dass trotz der zunehmenden Einbindung nicht-staatlicher Akteur_innen in Stadtentwicklungsprozesse der Staat darin nach wie vor eine zentrale Rolle einnimmt. Eine wachsende Anzahl an Partizipationsveranstaltungen bringt folglich nicht (unbedingt) mehr Mitbestimmung für die Bevölkerung mit sich.
        Begründet werden diese sehr begrenzten Teilnahmemöglichkeiten meist mit dem Verweis auf äußere Zwänge, auf welche die Kommune reagieren müsse (siehe dazu etwa Rosol 2015). Im Donaufeld dient das Bevölkerungswachstum als zentrale Erklärung und Legitimation für das geplante Bauvorhaben. In Kombination mit der Definition des Donaufeldes als Baulandreserve wird ein scheinbar natürlicher und unveränderlicher Rahmen des Möglichen geschaffen, innerhalb dessen das geplante Stadtentwicklungsprojekt umgesetzt werden muss. Weder der vorhandene Wohnungsleerstand in Wien, noch die Umnutzung anderer Areale, wie großflächige Parkplätze oder einstöckige Einkaufszentren für die Errichtung von Wohnraum findet dabei im aktuellen Entwicklungsprozess Beachtung. Hochpolitische Fragen über die (zukünftige) Gestaltung dieser Stadt werden somit auf vermeintlich sozial neutrale und rein technische Fragen reduziert.
        Möglichen Widerstand gegen das Bauprojekt federt indes ein privates Planungsbüro ab, welches mit der Durchführung des Beteiligungsverfahrens betraut wurde. Diese Auslagerung schafft einen Puffer zwischen kritischer, teilweise verärgerter Bevölkerung und Entscheidungsträger_innen. Auch wenn immer wieder Politiker_innen bei Diskussionsveranstaltungen anwesend waren, so richtete sich in vielen Fällen die Frustration über das Entwicklungsprojekt dennoch an das Planungsbüro in seiner Funktion als Organisator und Anlaufstelle. Da es jedoch keinerlei Entscheidungskompetenzen im Stadtentwicklungsprozess inne hat, läuft die Kritik an dieser Stelle ins Leere.

Veranstaltung im Rahmen des Bürger_innenbeteiligungsprozesses zum Leitbild Donaufeld. , Foto: Stadtland
Veranstaltung im Rahmen des Bürger_innenbeteiligungsprozesses zum Leitbild Donaufeld. , Foto: Stadtland

Ein wichtiger Fokus im Beteiligungsverfahren war darüber hinaus die Aktivierung der lokalen Bevölkerung. Der Titel Das Donaufeld gemeinsam entwickeln bezieht sich dabei mehr auf die Mobilisierung ehrenamtlicher Arbeit als auf die Mitbestimmung in Stadtentwicklungsfragen. Während des Partizipationsprozesses wurden Teilnehmende etwa dazu animiert, gemeinsam mit Schüler_innen Gartenmöbel für einen Begegnungsort im Donaufeld zu bauen (ohne dafür bezahlt zu werden), im temporären Gemeinschaftsgarten (gratis) zu arbeiten und viele (unbezahlte) Stunden bei Diskussionsveranstaltungen zu verbringen. Diese Art des Particitainments kann als Strategie verstanden werden, Kritik und Widerstand abzuschwächen, indem Nachbar_innen und lokale Aktivist_innen beschäftigt werden.
        Auch wenn Partizipationsverfahren primär darauf abzielen, erwünschtes Verhalten anzuregen, indem konditionierte Möglichkeitsräume geschaffen werden, so haben diese scheinbar sanften Regierungstechniken disziplinierende Machttechnologien dennoch keineswegs ersetzt. Vielmehr greifen unterschiedliche Machtmechanismen ineinander, bauen aufeinander auf und ergänzen sich gegenseitig, wie auch Michel Foucault aufzeigt (vgl. Foucault [1978] 2014). Ebenso wurde im Donaufeld nicht nur sanft reguliert und indirekt gelenkt, sondern manche Handlungen wurden auch direkt und gewaltsam unterbunden. Ein Beispiel dafür ist die Räumung der Landbesetzung von SoliLa! (Solidarisch Landwirtschaften!) im Jahr 2013. Anfang Mai hatten Studierende, Kleinbäuer_innen und Aktivist_innen begonnen, eine rund 1,5 Hektar große Brachfläche zu bewirtschaften, um eine nicht-kommerzielle StadtLandwirtschaft aufzubauen. Der Versuch, Stadtgestaltung selbst in die Hand zu nehmen und einen offenen Raum für Austausch und kollektive Lebensmittelproduktion zu schaffen, wurde allerdings bereits nach zehn Tagen brutal beendet und polizeilich geräumt. Dies zeigt, dass Stadtentwicklungsprojekte nicht alleine durch Beteiligungsverfahren umgesetzt werden (können).

Widersprüche und Widerstände

Stadtgeschichte wird jedoch nicht (nur) von staatlichen Institutionen geschrieben. Dementsprechend haben auch Partizipationsverfahren keinen zentral geplanten und linear umgesetzten Verlauf, sondern sind umkämpfte Prozesse. Immer wieder finden Menschen Wege, um Regierungstechniken umzudeuten und zu verändern. Partizipation bedeutet somit gleichzeitig regiert zu werden und sich dieser Regierung zu widersetzen. Gleichermaßen wäre es verkürzt, den Beteiligungsprozess im Donaufeld als reines Befriedungs- und Entpolitisierungsprogramm darzustellen. Mehrmals wurde der Veranstaltungs-ablauf durch Interventionen, Zwischenrufe oder das Verteilen von Flugzetteln gestört. Teilnehmende nutzten den Raum, um ihre Themen, Forderungen und Grundsatzkritik einzubringen, sich zu vernetzen und einen Organisierungsprozess auch außerhalb des vorgegebenen Rahmens anzustoßen. Damit wurde der Partizipationsprozess teilweise angeeignet, umgedeutet und für eine Repolitisierung von Stadtentwicklungsfragen genutzt.
        Auch wenn sich hauptsächlich weiße Langzeit-Wiener_innen am Protest gegen das Stadtentwicklungsprojekt beteiligten, so handelte es sich dabei dennoch um keine homogene Gruppe. Während manche die Versiegelung fruchtbarer Böden und die Zerstörung lokaler Landwirtschaft als Hauptkritikpunkte formulierten, zeigten andere die fehlenden demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten auf. Neben klassischen NIMBYs (not-in-my-back-yard), die ihre Lebensqualität durch Neubauten und mehr joggende Menschen in den Parks gefährdet sahen, wurden auch offen rassistische und fremdenfeindliche Meinungen geäußert. Demnach wären ausländische Investor_innen und der Zuzug von Migrant_innen die größten Probleme für das Donaufeld.
        Für eine emanzipatorische Stadtpolitik reicht es allerdings nicht aus, landwirtschaftliche Flächen vor Verbauung zu schützen und mit Nachbar_innen gemeinsam bunte Gärten zu pflegen. StadtLandwirtschaftliche Initiativen und die Aktivierung ehrenamtlicher Arbeit können zu effektiven Instrumenten einer Neoliberalisierung des Städtischen werden, wenn nicht über das eigene Gemüsebeet hinausgeblickt wird. Ebenso kann die Kritik an geplanten Wohnbauten auf landwirtschaftlichen Flächen leicht in einen reaktionären und lokalpatriotischen Wien-den-Wiener_innen-Diskurs kippen.
        Aus diesem Grund ist es wesentlich, nicht nur den scheinbar natürlichen Rahmen des Möglichen einer neoliberalen Stadtentwicklung zu hinterfragen und die jeweiligen Interessen, Prozesse und Regierungstechniken darin sichtbar zu machen, sondern auch verschiedene stadtpolitische Themen zusammen zu denken. Für eine tatsächliche Repolitisierung von Stadtpolitik müssen etwa Kämpfe um den Erhalt von landwirtschaftlichen Flächen mit jenen um Zugang zu Wohnraum für alle (unabhängig vom Aufenthaltsstatus) miteinander verknüpft werden. Um herrschenden Neoliberalisierungsprozessen etwas entgegenzusetzen, sind Allianzen und die gemeinsame Organisierung unterschiedlicher Bewegungen unerlässlich. Vor allem braucht es eine aktive Zusammenarbeit zwischen etablierteren Initiativen und jenen Gruppen die stärker von Diskriminierung und Repression betroffen sind. Nur so ist es möglich, eine ausschließende Restrukturierung des Städtischen zu destabilisieren und in ihren Rissen an einer Stadt für alle (weiter) zu bauen.

Dieser Text erscheint in einer längeren Version im April 2017 im Sammelband Umkämpftes Grün. Zwischen neoliberaler Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von unten bei transcript (siehe Buchtipp) mit dem Titel Zwischen grüner Imageproduktion, partizipativer Politik und Wachstumszwang: urbane Landwirtschaft und Gärten im Kontext neoliberaler Stadtentwicklung in Wien.

Sarah Kumnig forscht und lehrt an der Universität Wien zur Neoliberalisierung des Städtischen, urbaner Landwirtschaft, Wohnpolitik, lokalen Grenzpraktiken und Urban Citizenship

Buchtipp: Kumnig, Sarah; Rosol, Marit & Exner, Andrea*s (Hg*innen) (2017): Umkämpftes Grün. Zwischen neoliberaler Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von unten. Bielefeld: transcript.

Der Sammelband blickt kritisch auf die widersprüchliche Rolle grüner urbaner Aktivitäten in aktuellen Prozessen der Neoliberalisierung des Städtischen.

Fußnoten


  1. In der Wiener Stadtentwicklungspolitik gewinnt die Partizipation der Bevölkerung zunehmend an Bedeutung. Erst kürzlich erstellte die Stadtverwaltung eigens ein Praxisbuch für Partizipationsverfahren und aktuell beschloss der Gemeinderat einen Master­plan für partizipative Stadtentwicklung. Inwieweit Beteiligungsverfahren allerdings tatsächliche Mitbestimmungsmöglichkeiten eröffnen, wird von der Bevölkerung, Bürger_inneninitiativen wie auch Wissenschaftler_innen häufig in Frage gestellt. ↩︎


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Literaturliste

Dooling, Sarah (2009): Ecological Gentrification: A Research Agenda Exploring Justice in the City. In: International Journal of Urban and Regional Research,33 (3), S. 621-39.
Foucault, Michel ([1978] 2014): Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I, 3.Auflage. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
McClintock, Nathan (2013): Radical, reformist, and garden-variety neoliberal: coming to terms with urban agriculture’s contradictions. In: Local Environment,19 (2), S. 147-171.
Quastel, Noah (2009): Political Ecologies of Gentrification. In: Urban Geography 30, S.694-725.
Rosol, Marit (2015): Governing cities through participa- tion – a Foucauldian analysis of CityPlan Vancouver. In: Urban Geography, 36 (2), S. 256-276.
Tornaghi, Chiara (2014): Critical geography of urban agriculture. In: Progress in Human Geography, S. 1-17.