Vanessa Müller


Arbeite Nie heißt das 2013 und 2015 entstandene Kunst-am-Bau-Projekt von Linda Bilda, das im Stil von Hinweis- und Verbotsschildern »Orte der Reproduktion und des Konsums« sowie »Orte der Zukunft und Bildung« markiert. Entstanden ist es für Marienthal, jenen Ortsteil des niederösterreichischen Gramatneusiedl, der im Zentrum der bahnbrechenden Studie Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit (1933) von Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Seisel stand. Das Konterfei des ehemaligen Fabrikbesitzers schmückt das Werkstor, Hinweise auf die Arbeitsorganisation im Alltag die Umgebung des weitläufigen Firmengeländes. Linda Bilda markierte für die Geschichte der Arbeiter*innensiedlung Marienthal wichtige Punkte im öffentlichen Raum, thematisierte über ihre subtile Intervention in das Areal aber auch die Ausrichtung der Lebenswirklichkeit auf das arbeitende Subjekt. Ihr situationistischer Appell Arbeite Nie ist einerseits Kritik an der Fokussierung der klassischen Sozialdemokratie auf die Arbeit als Lebensinhalt, wie sie noch die Marienthal-Studie prägt, andererseits Ausdruck einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber klassischen, auch künstlerischen, Produktionsprozessen. Und ein feministisches Anliegen: 2015 erweiterte Bilda das von ihr markierte »Raumgefüge« um die ehemalige »Kinderbewahranstalt«, die für sozial-politische Emanzipation stand, letztlich aber betriebswirtschaftlich motiviert war, um auf die Arbeitskraft auch der Mütter zurückgreifen zu können.
        Linda Bilda (1963–2019), deren Werk aus Malerei, Comics, Graphic Novels, Glasobjekten, Artzines und Installationen formal so heterogen wie inhaltlich konsequent erscheint, analysierte den Kunstbetrieb und die eigene Rolle darin präzise und kompromisslos. In den 1990ern, als der neue Geist des Kapitalismus das Potenzial der Kreativarbeit für die Re-Organisation von Management und Produktion entdeckte, war sie auf der Suche nach anderen, rhizomatisch aufgebauten Strukturen und Alternativen, innerhalb derer sich eine kollektive, stets auch feministisch fundierte Kapitalismuskritik artikulieren könnte. In einer kurzen, aber intensiven Phase sah es tatsächlich so aus, als gäbe es Raum für die Selbstorganisation von Kunst und Diskurs jenseits kommerzieller Interessen – bevor ein neoliberale Agenden adaptierender Kunstbetrieb auch diese Foren kollektiver Produktion absorbierte.
        Die im März zu Ende gegangene Ausstellung Linda Bilda. Armor vincit omnia im Linzer Lentos Museum rekonstruierte die bislang einzige Einzelausstellung der 2019 überraschend verstorbenen Künstlerin im Salzburger Kunstverein und versammelte in präziser Choreographie Werke und Dokumente ihres Schaffens: von ihrer Arbeit an der Kunstzeitschrift Artfan (1991–1996) bis zum Art-Club (1994–95). Dieser fand in der ehemaligen Pathologie des Allgemeinen Krankenhauses in Wien (AKH) sein Zuhause – ein offener Ort für Austausch, künstlerische Aktion, für Musik und Feiern, ohne Differenzierung zwischen Akteur*innen und Publikum, Partizipation und Rezeption.
        2016 verfasste Bilda in How to Become a Famous Artist Regeln für künstlerische Karriereplanung und fräste die Schrift in gotische Kirchenarchitektur auf beleuchtetes Plexiglas. Den Untertitel Le Petit Verre dürfen wir als Anspielung auf Duchamps Spätwerk Das große Glas verstehen, das die Frau zum Wunschziel männlich-mechanisierter Tätigkeit erhebt. Linda Bilda hingegen strebte nach einer Kunst, die populär, politisch und poetisch zugleich sein sollte – kommunikativ gegenüber der gesamten Öffentlichkeit und nicht-elitär. Die sich weigert, zur Ware zu werden, und trotz ihres feministisch-aktivistischen Impetus stets einen unergründlich poetischen Rest beibehält. Kunst war für Bilda ein Möglichkeitsraum, Sprache und alltägliches Handeln tatsächlich zu verändern.
        Die begleitende Publikation – die erste umfangreiche zum Werk von Linda Bilda überhaupt – überzeugt durch Beiträge ehemaliger Weggefährt*innen wie Ariane Müller, die gemeinsam mit Bilda die Redaktion des Artfan gestaltete, oder Christoph Schäfer, der ihre Arbeiten für den öffentlichen Raum kontextualisiert. Sabeth Buchmann stellt die Entwicklung und das Vermarkten von LightGlass, ein von Bilda entwickeltes und patentiertes Verfahren der nahtlosen Verbindung farbiger Plexiglas-Elemente, in den Kontext der Strategien des Bauhauses. Die Künstlerin als Unternehmerin ist für Buchmann aber auch eine Strategie, ökonomisches in ästhetisches wie politisches Potenzial umzumünzen, indem es »systemische Autor*innenschaft ermöglicht, die weder allein auf den Kunstbetrieb noch allein auf die Kreativwirtschaft und auch nicht einzig auf ihre Persona angewiesen ist«. Die Idee – und Hoffnung –, dass politisches wie künstlerisches Agieren in einem breiteren Feld möglich ist, scheint in den vielen im Buch versammelten Dokumenten auf. Auch im Nebeneinander unterschiedlicher Aktionsformen abseits kommerzieller Verwertungslogiken und klassischer Aufmerksamkeitskanäle artikuliert sich das selten gewordene Selbstverständnis einer Kulturarbeiterin mit politisch-sozialer Agenda.


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