Michael Zinganel

Michael Zinganel ist freier Architekturtheoretiker, Künstler und Kurator.


Die MIPIM versteht sich naturgemäß explizit nicht als cultural studies Workshop, sondern sie ist ganz im Gegenteil vom Blickwinkel der die Planung von städtischen Gefügen zunehmend dominierenden anonymen InvestorInnen(-gruppen) und Entwicklungsgesellschaften gekennzeichnet und reflektiert daher die Mechanismen des internationalen real estate business. Dass NutzerInnen und BewohnerInnen Raum nicht (immer) in der von PlanerInnen vorgesehenen Art aneignen, wird umso interessanter, wenn auch die Erwartungshaltungen der InvestorInnen und DeveloperInnen erkenntlich werden. Die »Motivforschung« seitens der InvestorInnen und DeveloperInnen stellt bislang eine Leerstelle innerhalb der urban studies dar. Denn in ihrem Feld wird – wie auch in anderen sozialen Feldern – nicht nur um Marktanteile, sondern vor allem um soziale Anerkennung gerungen. Die weltgrößte Immobilienmesse in Cannes bietet dazu, so scheint es, ein vortreffliches Podium – für wirkliche global player als auch für die, die vorgeben, welche zu sein, um Taktiken zu testen, sich »Raum« und sozialen Status anzueignen (genau so wie weniger kaufkräftige Jugendliche in einer Shopping Mall oder einem Urban Entertainment Center …)
Meine These wäre, dass sich die Messe auch als Abbild der Stadt und der in ihr tätigen AkteurInnen lesen ließe. Sie repräsentiert unzweifelhaft eine (teilweise nur temporär errichtete) bauliche und soziale Struktur mit unterschiedlichen Zugangskontrollen, Hierarchien und funktionalen Zonen – aber auch eine inszenierte Erlebniswelt, in der Ethnizität und kulturelle Vielfalt als Bestandteil einer neuen symbolischen Ökonomie zur Schau gestellt werden. Das geschieht durch Zuladung von VertreterInnen sogenannter neuer Märkte, die sich entsprechend der projizierten Klischees präsentieren sowie in der Ausrichtung des MIPIM Awards, einer Art Oskar Verleihung für Real Estate Developer, bei der Projekte aus allen Teilen der Welt präsentiert und in einem Showprogramm folkloristisch gerahmt werden. Nicht nur in der Messe als Gesamtprojekt, in ihrem Set design, ihrem Rahmenprogramm und ihren angebotenen Dienstleistungen, sondern auch in der Selbstdarstellung der einzelnen Städte und Regionen, die auf dieser Messe um die Gunst der InvestorInnen buhlen, reproduzieren sich die Mechanismen symbolischer Ökonomie, wenn auch in sehr verschiedenem Ausmaß.

The World Wide Real Estate Community

Die MIPIM ist laut Selbstdarstellung die wichtigste Immobilienmesse der Welt, auf der sich 988 developer, 227 Städte oder Regionen, 384 Planungsbüros und 1008 Finanzdienstleistungsunternehmen präsentieren. Die »Endkunden« dieser Messe sind Individuen oder Institutionen, die ihr Geld in die angebotenen Immobilien oder Immobilienfonds investieren wollen, Städte oder Regionen, die nach InvestorInnen, bzw. InvestorInnen und DeveloperInnen, die nach Projekten oder Standorten für zukünftige Projekte suchen. Jedes Jahr treffen sich im Palais de Festival in Cannes – so die Werbeabteilung der Messe – die führenden VertreterInnen des internationalen Immobilienmarktes, um Erfahrungen auszutauschen, neue Trends vorzustellen und die großen Deals abzuschließen oder zumindest anzubahnen. Es ist daher naheliegend zu vermuten, dass in diesen Verhandlungen die Zukunft der gebauten Strukturen und des Erscheinungsbildes der Städte – und zwar weltweit – entscheidend beeinflusst wird, weil nur sehr wenige standardisierte Modelle das große Geld großer international tätiger InvestorInnen anzuziehen imstande sein dürften. Immer größer werdende private geschlossene Komplexe segmentieren zunehmend die gewachsene Stadt, die weniger von ArchitektInnen als von InvestorInnen »produziert« zu werden scheint. Ganz neu ist diese kulturpessimistische Weltsicht allerdings nicht: Anstelle von altem Adel und Klerus und später den Bürgerlichen, die für die signifikanten Bauwerke und Plätze der Stadt sorgten (ungeachtet dessen, wie sie von den NutzerInnen später sozial angeeignet und »gelebt« wurden), sind es heute vorrangig anonyme Immobilienfonds oder international tätige InvestorInnengruppen, deren Verwertungsmechanismen sowohl diese Messe als auch die Projekte der AusstellerInnen vorzuformen scheinen, die sich dem Wettbewerb um deren Kapital stellen. Daraus entstanden und entstehen neue Formen bzw. kulturelle Niveaus von Architektur, die vom konventionellen akademischen Architekturbetrieb als Katastrophenszenario vorverurteilt werden, obwohl die meisten westlichen AnbieterInnen bereits sehr wohl gelernt haben, »avancierte« Architektur bzw. vermeintlich regionalspezifische Kulturen als sanfte Standortfaktoren einzusetzen.
Wien und Graz hingegen scheinen – beschränkt man sich auf den Eindruck, den die beiden österreichischen Städte auf der weltgrößten Immobilienmesse vermitteln – so wie die Städte der »neuen Märkte« in den Reformländern, in Südafrika und im fernen Osten, wo die typischen Massenkonfektionen westlicher InvestorInnenarchitekturen aus den 80er Jahren abgeladen und unreflektiert übernommen werden, davon noch gänzlich unberührt. Auffallend ist die starke Präsenz osteuropäischer Städte mit ihren vergleichsweise schmuddeligen Ständen, die unzählige ehemalige sowjetische Militäranlagen zum redevelopment anbieten, denen Projekte des Disney-Konzerns, schicke Architekturmodelle der französischen, britischen und deutschen Städte oder minimalistische Bars und Lounges der amerikanischen und deutschen Investmentfonds entgegenstrahlen. Und tatsächlich sind es vor allem amerikanische InvestorInnen und deutsche Immobilienfonds, die für einen ständigen Investitionsdruck in der Branche sorgen – seit der Rezession vor allem außerhalb der USA.

Selbstrepräsentationen der Städte

Welche Städte und Regionen von diesem Investitionsdruck profitieren, ist schwer zu verifizieren. Versucht man nach der Präsenz und der Art der Selbstrepräsentation zu urteilen, so fallen vorerst grundsätzlich zwei Strategien ins Auge: Die erste Strategie zeigt sich in immensen Stadtmodellen, wie beispielsweise jenem von Bilbao (4 mal 8 Meter) oder London (5 mal 15 Meter), wobei London zusätzlich zum Gesamtmodell der Stadt noch zwei detailreichere Modelle der Investitionsziele docklands und financial district anbietet, auf denen die angebotenen Investitionsobjekte durch die BesucherInnen erleuchtet werden können. Der finanzielle Einsatz für diese gigantische Selbstdarstellung der City of London und die Präsenz prominenter Politiker lässt sich als Indiz für die Bedeutung der Messe bzw. den hier – jedenfalls auf symbolischer Ebene – ausgetragenen Städtewettkampf lesen.
Die entgegengesetzte Strategie setzt ausschließlich auf soziale Interaktion, wie die Stadt München in unmittelbarer Nachbarschaft des Stadtmodells von London beispielhaft demonstriert: Eine zeitgemäß gestaltete Bar mit Terrasse und Blick zum Jachthafen, an der Weißwurst und Bier angeboten werden, dient als unterschwelliger Anziehungspunkt für die Gäste der Messe. Mit nur einem einzigen wie einem Juwel inszenierten Architekturmodell, dem des zukünftigen Stadions von Bayern München, und einem winzigen Stand mit einem Stapel der Süddeutschen Zeitung verweist München diskret auf weitere Aspekte seiner Identität. 600.000 Euro kostet die Präsenz Münchens auf der MIPIM. Diese Kosten werden von der Stadtverwaltung, die die Messe-Präsenz vorbereitet und organisiert und den Messe-Stand betreut, zur Gänze an die Münchner Immobilienunternehmen weitergegeben.
Diese wiederum fügen sich gerne dem erfolgreichen Konzept und laden ihre Geschäftspartner zu Weißwurst und Bier ein, sodass von Anfang an eine kritische Masse garantiert ist, die eine erfolgreiche Gaststätte vortäuscht und daher weitere Gäste anzuziehen imstande ist.
Tatsächlich scheint sich fast jeder Aussteller oder Besucher einmal an einer Weißwurst versuchen zu wollen, und weil dabei jeder lernt, dass man dazu einen Sitzplatz benötigt, macht jeder dem nächsten, der es auch versuchen will, bereitwillig Platz. Und schon sind einander fremde Menschen ins Gespräch gekommen. Dass sie dabei gleich Geschäfte abschließen, bezweifelt der Organisator des Standes, aber ihr Selbstwertgefühl steige durch die sozialen Kontakte, und außerdem biete München im Herbst eine eigene Immobilien-Messe an, die weniger der Repräsentation sondern ausschließlich der »harten Arbeit« dienen würde.

Men in Black

Der Standort der Messe, das Palais de Festival direkt am Jachthafen von Cannes, in dem auch alljährlich die Filmfestspiele ausgerichtet werden, die Preispolitik und die Struktur des begleitenden Veranstaltungsprogramms scheinen den Verdacht des Münchner Beamten zu bestätigen: Das Hauptanliegen dieser Messe könnte vorrangig darin bestehen, den Mitgliedern der Branche soziale Anerkennung zukommen zu lassen, ihnen zu ermöglichen, sich ebenso bedeutend fühlen zu dürfen, wie die Stars der Filmfestspiele. 1000 Euro Eintritt (im Gegensatz zu 100 Euro bei der Münchner Konkurrenzveranstaltung) ohne Nebenkosten, Standgebühr, usf. repräsentieren ein eindeutiges Indiz für den Bedarf nach sozialer Distinktion. Zudem wurden gleich annähernd alle im Hafen vor Anker liegenden Jachten von den Firmen angemietet, um ihre auserwählten Gäste zu bewirten – vor den Augen der Ausgeschlossenen, die als Voyeure auf der Uferpromenade wandern.
In den Messehallen, während der conferences, in den Cafés und Bars der Stadt zeigt sich die real estate community als homogene Gesellschaft, die sich fast ausschließlich aus weißen Männern in schwarzen Anzügen zu konstituieren scheint, deren riesige festivalbadges an bunten Bändern über ihre weinroten Krawatten hängen – mitunter bis zum Morgengrauen. Die badges informieren ihr Gegenüber über das Unternehmen und die Funktion, die ihre Träger innerhalb dieser Unternehmung inne haben. Frauen sind hier – bis auf wenige Ausnahmen – hinter die Tresen der unzähligen Cocktail-Bars oder info desks verbannt, für public relations oder die persönliche Betreuung der viel zu vielen Männer zuständig. In bescheidenen Maßen wird auch ein multikulturelles Flair inszeniert: Im postkolonialen Zeitalter sind unter den offiziellen Repräsentanten der den so genannten emerging markets zugerechneten Staaten tatsächlich auch Asiaten und Schwarzafrikaner zu finden.
In einem dicken Messe-Handbuch ist jeder einzelne akkreditierte Besucher angeführt, in einem täglich erscheinenden vierfarbigen Festival-Magazin werden die neu hinzugekommenen nachgetragen, von den Veranstaltungen des Vortages berichtet, ganz egal, ob es sich um conferences oder cocktail parties handelt, unzählige Gäste abgebildet und namentlich erwähnt, VIPs, aber auch Newcomer »wie du und ich«, und die Veranstaltungen des aktuellen Tages angekündigt. Im Gegensatz zur realen Präsenz scheinen die marginalisierten Geschlechter und Ethnien auf den Abbildungen des Magazins geradezu überrepräsentiert.

Man of the Year

Wie jede Messe wird auch diese von einem Vortrags- und Veranstaltungsprogramm begleitet. Dieses Jahr wurden drei thematische Schwerpunkte angeboten: Tourismus, der Immobilienmarkt in Schwellenländern in Asien, Südafrika und Lateinamerika und natürlich aus aktuellem Anlass der Einfluss des Attentates auf das World Trade Center auf den Immobilienmarkt.
Weit besser besucht als die Fachdiskurse waren die Vorstellungen von prominenten Vertretern der Szene: Im keynote speech der diesjährigen Messe forderte der als »Ehrengast« angekündigte Michael E. Pralle, Präsident und Chief Executive Offier (CEO) von GE Capital Real Estate (eines der global player des Immobilienbusiness aus den USA), die Branche auf, sich angesichts der Erfahrungen vom 11. September der Intensivierung internationaler Kontakte und Globalisierung des Marktes als zentralem Ziel zu verschreiben: »Globalization is the task of the year,« als ging es darum, sicherheitshalber die ganze Welt aufzukaufen, damit sie nicht Terroristen als Unterschlupf dienen könnte. Als real estate maker of the year wurde Carlo Puri Negri, CEO von Pirelli & C. Real Estate (Italien), vorgestellt, der seine Karriere angeblich als Produktionsleiter bei der Biennale von Venedig begann und nach Jahren beim Fernsehen erst spät zum Immobiliengeschäft fand. Nachdem er im Auftrag des früheren Reifenkonzerns Pirelli anlässlich der Abwicklung der betriebseigenen Produktionsanlagen deren redevelopment verantwortete, strukturierte er aufgrund des daraus gewonnen know hows in der Folge den Betrieb in eine der weltweit wichtigsten Entwicklungsgesellschaften der Branche um. Als abschließender Höhepunkt wird auch ein MIPIM-Award, gewissermaßen der Oscar der Immobilienbranche, in den folgenden Kategorien von einer internationalen Jury vergeben: business centres, shopping centres, residential developments, refurbished office buildings, hotels and tourist resorts. Die extrem professionelle Show wird zweisprachig moderiert: Zuerst werden die Juroren auf die große Bühne des Palais de Festival gebeten. Wiederum handelt es sich ausschließlich um men in black, und zwar um so viele, dass es sehr wahrscheinlich scheint, jeder wichtige Aussteller der Messe könnte – zumindest im nächsten Jahr – auch einer der Juroren oder der Nominierten sein. Danach werden die drei Nominierten je Kategorie vorgestellt. Bevor aber auf einem riesigen Videoscreen ein Werbeclip für das zu bewertende Projekt vorgeführt wird, wird es durch eine kurze Showeinlage auf das kulturelle Umfeld des Projektes »eingestimmt«: etwa durch eine spice girl-Imitation auf das englische urban entertainment center oder durch eine Bauchtänzerin auf die türkische gated community, usf. Nach der Vorführung der drei Nominierten wird einer der Juroren zu den ModeratorInnen gebeten, der das Kuvert öffnet und den Gewinner der Kategorie verkündet: »The winner is …« Zu hymnischer Musik schreitet dann der stolze Investor oder developer auf die große Bühne und nimmt tatsächlich eine kleine Statue als Preis in Empfang … Die Lebenswelt der Herrscher des Real Estate Business erweist sich also als weniger eiskalt als ihr meistens unterstellt wird: ihre Repräsentanten scheinen genauso auf Häppchen sozialer Anerkennung angewiesen wie jene, die ihre gebauten Geldanlagen später beleben werden.


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