Ljubomir Bratić

Ljubomir Bratić lebt als Philosoph, Sozialwissenschaftler, Publizist, Aktivist und Flüchtlingsbetreuer in Wien.


Im Gegensatz zu dieser deutschen Firma, die für viel Geld wenig Erfolg bei der Rückkehrberatung vorweisen konnte, hätte das Bieterkonsortium der österreichischen NGOs viele Erfolge vorzuweisen gehabt.

Integrationsstadträtin Renate Brauner
Presseaussendung am 27.02.2003

Hoppla. Es wird immer schlimmer. Drastischer hätte die Quittung für das Bieterkonsortium um die Bewerbung für die Flüchtlingsbetreuung nicht ausfallen können. Was Caritas, Volkshilfe, Rotes Kreuz und Evangelischem Flüchtlingsdienst widerfahren ist, kann nur als Ohrfeige, als unzweideutige Schlappe, bezeichnet werden. Trotz der teilweise hervorragenden juristischen Kenntnisse stecken sie in der Falle. Es gibt keine Ausflüchte mehr für den moralischen Antirassismus. Mit diesem von der FPÖ durchgeboxten, von der ÖVP aber kaum gebremsten Zuschlag an European Homecare präsentiert die neue schwarzblaue Regierung die Rechnung für all das, was diese Organisationen seit Anfang der Neunziger (und wohl auch schon früher) vermasselt und verschustert haben. Caritas und mit ihr alle anderen konformistisch betreuenden Flüchtlingsbetreuungseinrichtungen büßen nun für den moralisierenden und atomisierenden Antirassismus, für das von ihnen vertretene Prinzip der Abschiebungen mit menschlichem Antlitz, für die skandalöse Besetzung aller Leitungspositionen in den Organisationen mit MehrheitsösterreicherInnen und für das HelferInnensyndrom. Und es muss gesagt werden: Auch die nationalistische Argumentation, dass die Betreuung der Flüchtlingen in österreichischer Hand bleiben soll, hat bei der rechtsliberalen Regierung nicht gezählt. Die rechten Parteien im österreichischen Staat haben dem moralischen Antirassismus eine Niederlage zugefügt, weil sie ihn nicht mehr brauchen. Die Masche der Menschlichkeit, gespickt mit inhaltlosen Begriffen der Toleranz, usw., zieht nicht mehr. Es ist die Stunde der Demontage gekommen. Dieser Wind wird (wenn das nicht schon geschehen ist) auch die Bedeutung solcher Legitimationsinstrumente wie den Menschenrechtsbeirat wegspülen. All das spricht für eine Umkehr zu einem neuen migrationspolitischen Regime. Einem, das eben nicht mehr vom fordistischen Rassismus der Sozialpartnerschaft und ihrer Vorfeldorganisationen, den sogenannten NGOs, diktiert wird, sondern vom postfordistischen Rassismus der Europäischen Union.
Besonders für die sozialliberalen Parteien wie die SPÖ und die Grünen ist die Schlappe äußerst schmerzhaft. Sie hätten durch die Fortsetzung der Hegemonie des moralischen Antirassismus recht anständig weiterhin einen Einfluss auf den Migrationsdiskurs ausüben können und sich auch bei den so genannten Sachfragen weiterhin als zukünftig regierungsfähig erwiesen. Es ist nicht verwunderlich, dass die Grünen sich bei den Koalitionsverhandlungen mit den Schwarzen in der Migrationspolitik gleich zu Beginn geeinigt haben. Aber das reichte nicht aus, als die Fragen des weiteren Sozialabbaus für die MehrheitsösterreicherInnen am Tisch lagen. Solange es um die MigrantInnen geht, kann man sich leicht einigen, wenn es um weitere disziplinierende und normierende Handlungen geht. Die HelferInnen sind diejenigen, die auf der Seite warten und die Konsequenzen für sich abwiegen. Für die MigrantInnen ist der Unterschied jedenfalls nur ein gradueller. Jetzt könnte mensch sagen: Ja, aber gerade darauf kommt es eben an, ob jemand schlecht oder gut und menschlich aufgenommen und behandelt wird. Nun geht es aber nicht um die Menschlichkeit, denn die Migrationspolitik ist auch eine Politik und Begriffe wie „Freundlichkeit“, „Menschlichkeit“ usw. sind entweder inhaltsleer oder werden zur Verdeckung bestimmter Machtansprüche verwendet. Und gerade diese Machtansprüche werden jetzt den sozialliberalen Parteien und den mit ihnen verbundenen NGOs in Rechnung gestellt. Es gibt eben in der Migrationspolitik keine guten und bösen Parteien, sondern nur einen permanenten Kampf um die Definitionsherrschaft, die wiederum zu Gesetzen führt und somit zur Gestaltung des Alltags. Und wie dieser Alltag der MigrantInnen in den letzten vierzig Jahren trotz der mitmenschlichen Sorge und Toleranz von Caritas, SPÖ und Volkshilfe ausgeschaut hat, wird zurzeit von MigrantInnen, die sich die Sprache zu erobern gewusst haben, langsam entdeckt.
Kurz: Jetzt wird sich um Betreuung, Abschiebung und Mundhalten der neu angekommenen MigrantInnen im österreichischen Staat eine europaweit agierende deutsche Firma kümmern. Wieder ein Verlust eines nationalen Standorts. Und eine Niederlage für das gesamte HelferInnentum. Ich bin jedenfalls neugierig, wer von den StellvertreterInnen als nächsteR demontiert wird. Es liegt mir hier fern, irgendwelche Lobgesänge an die Adressen der ÖVP, die die MigrantInnen mit Bonuspunkten für gutes Verhalten disziplinieren will, oder an den völkischen Rassismus der FPÖ zu verteilen. Worum es mir hier geht, ist einfach auf die Tatsache hinzuweisen, dass bestimmte hegemoniale Diskurse innerhalb der Migrationspolitik unter dem Einfluss des Verlusts der Souveränität des österreichischen Staates an Bedeutung verlieren. Diejenigen, die heute jammern, waren die, die gestern bei der Gestaltung der Ausschließungspolitik einiges mitzureden und mitzuverantworten hatten. Und auch heute versuchen weiter mitzumachen. Ich brauche da nur an die von der vergangenen blauschwarzen Regierung beschlossene Integrationsvereinbarung erinnern. Alle Organisationen waren während der Vorbereitung des Gesetzes dagegen. Nach dem Beschluss allerdings drehte sich der Spieß um, und die meisten bewarben sich um die Durchführung der in der Integrationsvereinbarung vorgesehenen Kurse. So schaut´s mal aus. Ein Mitleid für diese Organisationen ist sicher nicht angebracht und nicht nur deswegen, weil es sich dabei nicht um eine politische Kategorie handelt. Zu Grabe werden nur die Schleier der „Menschlichkeit“, „Toleranz“, vielleicht auch „Integration“ und ähnliches Geschwafel getragen. Der Rassismus bleibt wie eh und je unberührt. Die Herrschenden können ihn aber weniger hinter den Hilfsorganisationen verstecken und er wird, wie das in Übergangperioden üblich ist, mehr zur Schau getragen. Sichtbarer und damit auch angreifbarer.


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