Paul Rajakovics

Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.


Diese Besprechung hätte eigentlich in der letzten Ausgabe erscheinen sollen, was durch einen Fehler nicht passiert ist. Obwohl sie nun nicht mehr ganz aktuell ist, drucken wir sie in dieser Ausgabe dennoch ab, weil sie zeigt, dass es für eine Bank auch sinnvolle Möglichkeiten gibt, Geld auszugeben.

Seit einiger Zeit hat man den Eindruck, dass soziale Themen in Kunstinstitutionen immer mehr ins Abseits geraten. Galeriekonforme Formate mit leicht verdaulicher Ware oder kunsthistorisch abgesicherte Altpositionen scheinen selbst in renommierten Orten angesagt zu sein. Umso erfreulicher sind in jeder Hinsicht zwei der letzten Ausstellungen in der BAWAG Foundation.

Im Herbst 2005 war The Welfare Show von Michael Elmgreen und Ingar Dragset zu sehen. Schon beim Betreten der BAWAG-Räume fiel einem die große Kette vor dem eigentlichen Ausstellungsraum auf. Freundlich wurde man auf die Treppe nach oben verwiesen, wo sich das Büro befand. Oben angekommen, stand ein großes, schwenkbares Fernrohr, ähnlich derer, die man von Aussichtswarten kennt. Durch eine Glasscheibe abgetrennt, eröffnete sich der Blick in den großen (Ausstellungs-)Raum, der mit Sperrmüll gefüllt war. (Leider hatte ich keinen Euro, um das Fernrohr zu bedienen.) Ganz hinten spielte ein Mann, der sich aus Konservendosen und anderen Gegenständen eine Art Schlagzeug gebaut hatte. Er spielte so professionell, dass ich zuerst angenommen hatte, die Musik käme aus einem Lautsprecher. Später wurde mir erklärt, er sei Organist und einer der fünf Performer, die an diesem Projekt beteiligt sind. Man wollte ja keine tatsächlich Obdachlosen bzw. „Müllmenschen“ in das Projekt integrieren, sondern man engagierte vornehmlich Intellektuelle, die hier entweder lesen oder - wie „mein“ Performer gerade - musizieren. Ursprünglich sollten sie im Müll wühlen, die Auswahl der TeilnehmerInnen fügte dem Projekt jedoch einen differenzierteren Aspekt hinzu.

Ganz zufrieden ging man dem Ausgang zu und sah ein zweites Fernrohr, das auf das schräg gegenüberliegende Nobelrestaurant gerichtet war. Wieder fehlte mir der Euro, doch ersparte er mir das „schlechte Gewissen“ des Voyeurs. Immer wieder sind die Arbeiten von Michael Elmgreen und Ingar Dragset architektur- bzw. kontextspezifisch ausgerichtet. So wie zuletzt in New York, wo sie den unteren Ausstellungsbereich der Bohen Foundation in eine U-Bahn-Station mit 30 Meter langen Plattformen verwandelten, mit allen dazugehörigen Ausstattungelementen und einer stehen gebliebenen Uhr. Eine fiktive Station, die niemals existiert hatte, aber aussah, als wäre sie irgendwann in den späten achtziger Jahren verlassen worden. Auch bei The Welfare Show sehe ich diese Art von kontextueller Qualität, die sich aus einer architektonischen Intervention mit Kontextverschiebung ergibt, im Vordergrund.

Wesentlich weniger spekulativ-voyeuristisch erscheint dem gegenüber die Ausstellung An injury to one is an injury to all von Jeremy Deller. Der Turnerpreisträger 2004 zeigt hier einen Querschnitt der Arbeit, die ihn in den letzten Jahren zu Interventionen in Arbeiterkulturen und in marginalisierte soziale Bereiche Nordenglands geführt hatte. Im Video The Battle of Orgreave sieht man die Dramatik des Konfliktes zwischen der neoliberalen Regierung Thatchers und den Gewerkschaften. Minutiös wurden die Streiks der einzelnen Gruben in dieser Ausstellung dokumentiert, nicht ohne die sozialen und politischen Hintergründe des Bergarbeiterstreiks zu beleuchten. Schon in Acid Brass, einem Projekt, das Deller 1997 begann und in welchem er eine Brass Band Acid House Music spielen ließ, beschäftigte er sich mit der Kultur der Arbeiterklasse. Der performative Aspekt in Dellers Arbeit wird in dem Video The Battle of Orgreave von 2001, in dem er einen der blutigsten Kämpfe während der Streiks der Minenarbeiter 1984 mit den BewohnerInnen eines Bergarbeiterortes in Yorkshire nachstellte, nicht nur vorgeführt, sondern zieht den Betrachter aus der Position des sozialkritischen oder „betroffenen“ Voyeurs direkt in die persönlichen Erfahrungen der teilweise selbst damals am Streik beteiligten AkteurInnen und die daraus folgenden, bis in die Jetztzeit hineinreichenden Konsequenzen für ihre Lebenssituation hinein. Die historisch-dokumentarische Distanz, die aufgrund von Zeitungsartikeln etc. aus der damaligen Zeit im ersten Raum aufgebaut wird, wurde durch das Video aufgehoben und führte den Betrachter in die Gegenwart. Die Frage, inwieweit heute z. B. das Mittel des Streiks noch relevant ist, im Sinne von welche Wirkung in Zeiten von Kompromisslösungen aufgrund der Rettung von Arbeitsplätzen tatsächlich erzeugt werden kann, wurde dabei ebenso aufgeworfen wie die Frage, inwieweit politisch motivierte und engagierte Kunst in den Gesellschaftsprozess eingreifen kann.

Der ursprüngliche Anlass für diese Ausstellung war das 60-Jahr-Jubiläum des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, d. h. die Ausstellung Jeremy Dellers in der BAWAG Foundation ist als explizites Zeichen zu werten, dass sich der ÖGB als „Auftraggeber“ um eine zeitgemäße Auseinandersetzung bemüht. Dabei kommt Hoffnung in unserer österreichischen sozialpolitischen Landschaft auf, wirklich aktuelle Kunst mit der Annäherung an soziale Fragestellungen zu verknüpfen – hoffentlich wird diese auch an anderen Orten als der BAWAG Foundation genährt.

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Ausstellungen
Michael Elmgreen & Ingar Dragset
The Welfare Show
Bawag Foundation
16. September bis 26. November 2005

und

Jeremy Deller
An injury to one is an injury to all Bawag Foundation
21. Mai bis 27. August 2005


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