Andre Krammer

Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.


Stadt und Nachhaltigkeit -– Ein Diskurs wurde vom Ludwig Boltzmann Institut herausgegeben und versteht sich per Eigendefinition als Reader zum Thema „Nachhaltigkeit“ im Kontext der Stadtforschung. Der Anlass der Publikation war ein Symposion im Dezember 1999, das ForscherInnen aus unterschiedlichen Disziplinen versammelte (Philosophie, Soziologie, Urbanismus, ...); von Peter Sloterdijk über Jens S. Dangschat, Marina Fischer-Kowalski bis hin zu Thomas Sieverts und Kunibert Wachten. Der jetzt veröffentlichte Band speist sich aus den Thesenpapieren der 16 TeilnehmerInnen.
Übereinstimmend wird festgestellt, dass sich der „schillernde“ Begriff „Nachhaltigkeit“ im Allgemeinen durch Unschärfe auszeichnet. Ursprünglich aus der Förstersprache entlehnt (wo es um die Sorge um den Baumnachwuchs ging), wurde er zu einem Modewort in großen Institutionen, von der OECD, der EU bis hin zur Gemeindeebene. Vorerst löste die Energiekrise der frühen 70er-Jahre eine erste Reflexion über die Knappheit fossiler Brennstoffe aus; einen ersten Höhepunkt fand die Diskussion in der Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 und in deren Abschlussdokument: der Agenda 21.
Unklarheit besteht aber weiterhin über die Definition des Begriffs: Welche Parameter müssen einbezogen werden, und über welchen Zeitraum müssen diese betrachtet werden? Wann ist ein nachhaltiger Zustand erreicht? In der Semantik des Nachhaltigkeitsbegriffs manifestiert sich allzu oft eine bedenkliche political correctness. Er findet sich gleichzeitig im neoliberalen Diskurs wie auch in globalisierungskritischen Theorien.
Peter Sloterdijk erwähnt in seinem Text eine Gruppe von Pionieren des Nachhaltigkeits Diskurses: die Grünen. Er weist darauf hin, dass „in den fundamentalistischen Strömungen der grünen Bewegung“ ein „quasi klerikal faschistisches Ressentiment“ gegen den „modernen ,way of life’ enthalten war.“ (S.21)
Eine weitere Übereinkunft der AutorInnen scheint in der Betonung einer notwendigen Analyse der Interaktion der drei klassischen Säulen der Nachhaltigkeitsdebatte zu existieren: Vielfach wird hingewiesen, dass Ökologie, Ökonomie und soziale Gerechtigkeit nicht isoliert zu betrachten sind, sondern in ihren Wechselwirkungen und Verschränkungen. Allerdings fehlt es oft an einem zureichenden Instrumentarium (und am politischen Willen) für eine angemessene interdisziplinäre Forschung.
Die Wirtschaftstheorie, auf die Jens Dangschat hinweist, gliedert sich in einen „Mainstream“, der wirtschaftliches Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit als Voraussetzung einer nachhaltigen Entwicklung proklamiert und in eine weitaus kleinere Gruppe, die Wachstumsideolgie, eine globalisierte Wirtschaft und neoliberale Politik für Nichtnachhaltigkeit verantwortlich macht. In den Texten, die spezifischer auf „Stadt und Nachhaltigkeit“ bezogen sind, wird grundsätzlich ein Antagonismus zwischen urbaner Realität und Stadtplanung konstatiert (Walter Siebelt, Kunibert Wachten).
Die europäische Großstadt hat sich transformiert: Die Kernzone hat an Bedeutung verloren, die Peripherien behaupten sich in neu gewonnener Autonomie vom Zentrum. Die Shopping-Mall, die Tankstelle samt Shop, die Kultur und Freizeitzentren in den Peripherien erlauben ein autarkes, suburbanes Leben (Kunibert Wachten). Gleichzeitig orientiert sich die Stadtplanung an überkommenen Stadtbildern (Morphologien), die sich auf die Stadt des 19. Jahrhunderts beziehen. Den veränderten ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen wird nur zögerlich Rechnung getragen. Wachten konstatiert einen Mangel an strategischer und prozessualer Kompetenz.
Peter Sloterdijk beschwört das Bild der Stadt als Verschwendungs- und Verwöhnungsmaschine herauf und nennt einen tatsächlich beunruhigenden Zusammenhang: In den Industrieländern lässt sich bei steigendem Problembewusstsein gleichzeitig ein erhöhter Konsum feststellen. Wir gehören zu den ersten Generationen, die von der (scheinbaren) Nicht-Knappheit der Ressourcen nachhaltig(!) geprägt sind. So befinden wir uns laut Sloterdijk in einem Zustand des „vertagten Ernstes“.
Der Blick auf die Tatsachen fällt tatsächlich ernüchternd aus: Seit 20 Jahren lässt sich an den zentralen Parametern einer nachhaltigen Entwicklung (Emission der Treibhausgase, Artenvielfalt, Versteppung, Verlust des Regenwaldes, Wasserknappheit, Arbeitslosigkeit, Ausgleich zwischen Arm und Reich) keine Umkehr von der Nichtnachhaltigkeit feststellen (Jens Dangschat). Ist „Nachhaltigkeit“ die „letzte große Erzählung“ in einer postmodernen, individualisierten Welt? (Kowalski).
Im Nachwort von Otto Frey und Werner Rosinak ist von der Notwendigkeit radikaler Richtungsänderungen und revolutionären Elementen die Rede.
Dangschat: „...d. h. es muss die Machtfrage gestellt werden. (....) Genau das darf (und will) die Nachhaltigkeitsbewegung nicht. Sie wird nur so lange akzeptiert und (in Maßen) unterstützt, solange sie sich die Machtfrage verkneift.“ (S.52) Vorerst trägt der Reader wohl zu einer „Ratlosigkeit auf höherem Niveau“ bei (Thomas Sieverts).


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