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Manifesta 5 in San SebastianManifesta 5
San Sebastian
Juni bis 30. September 2004
http://www.manifesta.es
(Abb.: Gillian Wearing, Tedi, Production still, 2003)
Die fünfte Manifesta (M5) – diesmal in San Sebastian – ist eine weitere Fallstudie über die Lage in der Kulturpolitik, die Abläufe bei Ausstellungen, die Einflüsse des Kunstmarktes und über die Geschichte der »alt/neu«-Unterscheidung in Europa. Die M5 schreit einen einzigen Slogan hinaus: Das ist Politik. Eben weil bei der Pressekonferenz ständig wiederholt wurde, dass es sich hier um eine Erscheinungsform von Kunst handle, die nichts oder so gut wie nichts mit Politik zu tun habe. Ich kann hingegen nur betonen, dass es bei der M5 auf verschiedenen Ebenen – auf der der EU, auf jener des neuen Europa - ausschließlich um Politik geht: Und zwar in der Art, wie kultureller Raum in Europa verwaltet wird, und der Weise, in der der Markt auf dem Gebiet der Kunst eingreift. Das ist vielleicht der Grund, warum das Unter-Anführungsstriche-Setzen von Politik - und die wiederholte Darstellung dieser Kunstbewegung als nicht politisch, als ein Schritt in die Zukunft der Kunst ohne Politik - zumindest eine höchst verdächtige Geste der M5 ist.
Aber gehen wir Schritt für Schritt vor. Die M5 präsentiert circa 30 Kunstprojekte in verschiedenen Einrichtungen der Stadt und umgeht dabei einige der wichtigsten Plätze von San Sebastian; nämlich genau jene, die in der Stadt seit mehr als einem Jahrzehnt als Produktionsstätten kritischer Kunst und als Verlagsorte von Magazinen für kritische Interpretation tätig sind. Einer davon wird zumindest genannt: Arteleku. Er wird als Produktionseinrichtung für die M5 angeführt, nicht jedoch als Produzent von Konzepten und als bedeutender Ausstellungsstandort in San Sebastian. Im Laufe meiner Recherchen darüber, warum das passierte, bekam ich einen sehr präzisen Kommentar vom Direktor von Arteleku: »Diese Ausstellung hat nichts mit dem tatsächlichen kulturellen Raum von San Sebastian zu tun, da die M5 den tatsächlichen Stand der Dinge an diesem konkreten baskischen Ort nicht berücksichtigt. Die M5 könnte genauso gut auf dem Mars organisiert werden.«
Tatsächlich musste ich daraufhin an die Manifesta in Ljubljana (M3) denken, wo sich das Gleiche abspielte: Die Galerien Skuc, Kapelica und Metelkova, alles Orte von historischer Bedeutung, wurden bei der Projekterstellung ausgelassen und nicht als Ausstellungsorte oder kritische Referenzen eingesetzt. In der Tat ein Paradoxon, wenn man weiß, dass Ljubljana erst durch genau diese Räume zu Ljubljana »der Szenestadt« wurde und nicht aufgrund der offiziellen institutionellen Mastodonten, die bei der M3 berücksichtigt wurden. Nun erzeugt die M5 also das, was ich als Entleerung von historischer und kultureller Spezifität bestimmter Gebiete bezeichne. In Ljubljana betraf es konkrete Räume, in San Sebastian ist es neben diesen konkreten Plätzen zu einem noch interessanteren Prozess der Entleerung gekommen.
An der M5 nimmt kein/e KünstlerIn aus dem Gebiet von Ex-Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien, Albanien, Ungarn, etc. teil. Auf den ersten Blick scheint es sich um eine strafende Geste besonders gegenüber dem Balkan zu handeln. Es scheint, als ob der Prozess der Ausschlachtung durch Österreich und Deutschland abgeschlossen sei und es nach einer derartigen Anzahl an Ausstellungen, die sich mit dem Balkan beschäftigten, nicht mehr notwendig sei, sich auf die Suche nach neuen KünstlerInnen zu machen. Deutlich gesprochen, es wurde das Konzept der Manifesta von Beginn an als Möglichkeit präsentiert für neue Generationen weniger bekannter KünstlerInnen, die sich mit der neuen Landkarte europäischer Kunst und Kultur nach dem Fall der Berliner Mauer befassen - um Osten und Westen, Süden und Norden zu verbinden. Was wir aber mit der M5 bekommen, ist eine absolut unausgeglichene Konstellation von Namen: Die meisten davon gehören den aktuellen Räumen des Kunstmarktes und der Galerien an. Ich fragte einen der Künstler, Misha Stroj (in Ljubljana geboren, in Wien aufgewachsen), wie es dazu kam, dass er ausgesucht wurde. Denn Iara Bubnova zufolge ist es für KuratorInnen ein Muss, verschiedene Länder Europas zu besuchen, was man von den KuratorInnen der M5 nicht behaupten kann. Sie kamen beispielsweise nicht nach Österreich und Slowenien. Misha Stroj erzählte mir, dass er einfach nur eine E-Mail vom Kurator bekam! Stroj ist im Galerie-Netzwerk sehr etabliert (gut für ihn) und ebenso sehr in der westlichen Kunstmarkt-Mentalität verwurzelt. So kreist er, wie viele derjenigen, die auf der M5 präsentiert werden, im Umfeld von Magazinen, Privatgalerien, etc. Sie sind auch »Kinder« der Flash Art, der Gemeinschaft von neuen KünstlerInnen präsentiert in Flash Art.
Das ist eine geeignete Stelle um hervorzuheben, wer nun die KuratorInnen der M5 sind: Massimiliano Gioni, er ist der künstlerische Leiter der Nicola Trussardi-Stiftung in Mailand; und er wurde auch vom künstlerischen Leiter Francesco Bonami eingeladen, ein Projekt über zeitgenössische italienische Kunst für die nächste Biennale in Venedig zu kuratieren. Gioni gehört dem Kuratoren-Team an, das die Neuerwerbungen der Dakis Joannou-Sammlung 2004 in Athen präsentiert. Und er hatte die Position des US-Redakteurs des Flash Art-Magazins von 2000 bis 2002 inne. Marta Kuzma, sie ist die »Ex« – die Ex-Direktorin der WPA in Washington, DC (2000-2002), die Ex-Direktorin des Soros Center for Contemporary Art in der Ukraine und die Ex-Direktorin des International Exhibition Programme am International Center of Photography, NYC. Zurzeit kuratiert sie gemeinsam mit Dan Graham ein Projekt mit dem Titel »Passaic«, das 2004 in NYC eröffnet wird.
Allerdings ein ziemlich gewaltiger Hintergrund, den die beiden da aufweisen; und er wird im Umgang mit und beim Denken über Kunst von ihnen auch voll und bewusst postuliert. Bei der Pressekonferenz, die wie immer einer modernen Zirkus-Szene gleichkam, wurde diese Einstellung noch mehr als unterstrichen. Als Alexander Brenner und Barbara Schurz – genau wie bei der Manifesta 3 in Ljubljana, diesmal allerdings ohne wirklichen Effekt – ihre übliche öffentliche Protestaktion veranstalteten, hörte Marta Kuzma nicht einmal für eine Sekunde zu sprechen auf und kommentierte auch noch: »Genau diese Art der Politisierung wollten wir mit der M5 verhindern!«. In der Zwischenzeit waren Brenner und Schurz so schnell weggebracht worden, dass wir kaum ihr Transparent lesen konnten: »Tod dem König!« Na gut es stimmt; solche Aktionen haben heutzutage wenig Nutzen. Es ist zwar offensichtlich, dass erst Hunderte in Madrid getötet werden mussten, um die frühere reaktionäre Regierung abzuwählen. Zapatero ist smart, aber es waren doch die unerträglich blutigen Szenen in Madrid genau vor der Wahl, die ihn an die Macht brachten!
Die Herangehensweise der M5 in Bezug auf Brenner und Schurz war jedoch neu im Vergleich zu Ljubljana, wo die Pressekonferenz ein wirklich krankhafter Zustand war und das Gremium so tat, als ob nichts, rein gar nichts, geschehen sei. Bei der M5 war die Szene völlig kopflos: Kuzma redete und redete und hielt uns eine Lektion darüber, warum wir vor solchen Vorfällen, wie diesem von Brenner/Schurz bei der M5-Pressekonferenz verursachten, beschützt werden müssen. Bloß, ich will nicht beschützt werden!
Nur eine einzige Frage wurde nach der Präsentation auf der Pressekonferenz gestellt, die nach den Auswahlkriterien: Ein spanischer Journalist hob hervor, es sei doch überraschend und seltsam, dass die M5 zwar in Spanien stattfindet, aber nur fünf baskische KünstlerInnen aufgenommen worden seien und keine von irgendeinem anderen Teil Spaniens. Hierbei erläuterte Gioni - der den Journalisten beleidigte, indem er ihm zuerst erklärte, dass dies eine dumme Frage sei -, dass die geographischen Wurzeln und Unterschiede Europas der Vergangenheit angehörten. Verweisend auf die Vergangenheit argumentierte Gioni, dass die historische Avantgarde auch nicht immer herausstrich, woher die exilierten KünstlerInnen stammten, die in der Schweiz lebten. Danach wurden keinen weiteren Fragen mehr gestellt. Wie Kathy Rae Huffman, die Direktorin des Visual Art-Programms am Corner House in Manchester, kommentierte: Es wurde kein weiteres Thema angesprochen, da die M5 eigentlich kein Thema hat!
Ich habe schon zu Beginn festgestellt, dass ein ganzer Prozess der Abstraktion und Entleerung im Gange ist, durch den Orte ausgelöscht werden und Territorien von KünstlerInnen. Erwähnenswert ist, dass während bei der M5 die Aussiedlung von KünstlerInnen aus mehreren Ländern Osteuropas stattfand, auf der anderen Seite interessanterweise kein einziges der Länder des so genannten ehemaligen(?) Westeuropa bei der M5 ausgelassen wurde, zumindest wurde für jedes einE passendeR VertreterIN gefunden. Darüber hinaus wurden bei der M5 KünstlerInnen auch in der Art und Weise, in der ihre Arbeiten präsentiert wurden, abstrahiert oder besser gesagt »abgepackt« Die M5 bestätigt die Logik des Konsumdenkens eben jenes Ortes, an dem sie präsentiert werden. Die M5 entspricht dem Geschmack des behaglichen San Sebastian-Mittelklasse-Tourismus, der sich vom Austragungsort auf die Arbeiten ausdehnte. Die Arbeiten schauen von außen alle gleich aus und es ist immer notwendig zu überprüfen, woher diese Arbeiten stammen, und sorgfältig nachzudenken, um sie nicht durcheinander zu bringen. Vielleicht sind es nur jene Arbeiten, die sich mit Kindern befassen, die zumindest anders sind: In Gillian Wearings Arbeit tritt ein albanisches Kind in seriöser Kleidung in der Rolle eines ehemaligen kommunistischen Politikers auf. Es liest fehlerhaft einen schwierigen albanischen Text über die heroischen Denkmäler der vergangenen Epoche in Tirana.
So wird der Entleerungsprozess bei der M5 verdreifacht: Einige ganz bestimmte Gebiete fehlen, einige ganz bestimmte KünstlerInnen fehlen und einige ganz bestimmte Kunst-Konzepte fehlen – und wenn sie nicht fehlen, dann sind sie zu einem solchen Grad abstrahiert, dass sie für alles und nichts stehen können. Und zu guter Letzt ist es sehr interessant hinzuzufügen, dass - obwohl es kein Thema gibt, das die M5 zusammenfügt - ich feststellen kann, dass ein Thema erkennbar ist: die vergangene Geschichte als Romanze. Viele der Arbeiten greifen zurück auf die 1970er und 1960er-Jahre im Osten und im Westen; nachgedacht wird darüber in einer Art retro-romantischer, subjektiver Haltung – das Sammeln alter Filme und ihre Schaustellung in Diptychen und Triptychen. Die meisten dieser Geschichten sind persönlich und alle mit den ganz subjektiven Gesichtspunkten der KünstlerInnen verbunden. Wieder einmal ist es möglich zu sagen: Wir haben alle eine Vergangenheit und die Geschichten dieser Vergangenheiten sind tatsächlich alle sehr ähnlich. Willkommen in einem Europa ohne Unterschiede.
Die vielleicht einzige, wirklich politische Arbeit ist die abgebrühte Dokumentation über Palästina und Israel - von zwei KünstlerInnen aus den jeweiligen Gebieten. Der Dokumentarfilm Route (2003) von Eyal Sivan und Michel Khleifi: Vier Stunden lang – und ich verbrachte sie alle vor der Leinwand – erforscht er die virtuellen Grenzen, die 1947 vom United Nations Partition Plan geschaffen wurden. Die Dokumentation hat keine romantische oder melancholische Stimme aus dem Off und keinen subjektiven geschichtlichen Zeitpunkt in der Gliederung. Die Stimme aus dem Off ist trügerisch, sie erleichtert die Manipulation und Abschwächung von politischen Inhalten und wird in den meisten Arbeiten angewandt. Die M5 öffnet zumindest den Raum für die Radikalisierung der Position in den Strukturen zeitgenössischer Dokumentationen. Route ist eine rein politische Stellungnahme. Ich fragte mich, wie ist es möglich, dass dieser Film im Rahmen der M5 gezeigt wird (ein Fehler, wenn man das Konzept der M5 bedenkt)? Es handelt sich schließlich um einen Film, der eigentlich nicht von Europa handelt, sondern vom Anderen von Europa und der außerhalb des neuen Europas spielt.
Manifesta 5
San Sebastian
Juni bis 30. September 2004
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(Abb.: Gillian Wearing, Tedi, Production still, 2003)
Marina Grzinic