Roland Tusch


Wie viele andere Sparten, so ist auch der Wohnbau zunehmend marktwirtschaftlichen Gesetzen und Regeln unterworfen. Das Angebot und die Nachfrage stellen die Basis eines solchen Systems dar. Um sich als WohnungsanbieterIn am Markt behaupten zu können, reicht es längst nicht mehr aus, bloß eine Wohnung anzupreisen. Mit Themen, die das Wohnen erweitern sollen, wird versucht, Projekte attraktiver zu machen, um sie letztendlich besser verkaufen zu können. Man begibt sich also auf die Suche nach Themen und fasst diese in griffige Schlagworte. Es entstehen präzise durchdachte Werbekonzepte, und längst schon wurde die zu verkaufende Wohnung durch eine Reihe von Themen, die sie begleiten, aus dem Mittelpunkt des Interesses der KäuferInnen verdrängt.
Doch schon seit je her bestimmten Themen die Siedlungstätigkeit der Menschen. Die unterschiedlichen Typen des Themenwohnens können in Kategorien eingeteilt werden, welche nach dem Zeitpunkt der Konfrontation des Themas mit der Wohnsiedlung unterschieden werden:

das Thema war zuerst da
Aufgrund eines bestehenden Themas, wie zum Beispiel einer natürlichen Gegebenheit, wird eine Siedlung an einem bestimmten Ort errichtet.

die Siedlung war zuerst da
Eine schon bestehende Siedlung wird mit einem Thema konfrontiert, das von außen für diese Siedlung erarbeitet wurde.

die Siedlung und das Thema entstehen zugleich
Eine neu zu errichtende Siedlung wird zugleich mit einem Thema entwickelt.

Die ursächlichen Themen

Die Wahl des Ortes, an dem eine Siedlung errichtet werden sollte, wurde in der Geschichte immer von unterschiedlichen Parametern beeinflusst. Sorgfältige und eingehende Beobachtungen halfen, dabei die Qualitäten aufzuspüren, die ideale Voraussetzungen boten, um sich anzusiedeln. Der Ort sollte in jeder Hinsicht Schutz bieten. Er wurde so gewählt, dass er eine möglichst sichere Lebensgrundlage darstellte. Fruchtbare Landstriche, die sonnige Lage und der gleichzeitige Schutz eines Berghanges stellten die ursächlichen Themen solcher Siedlungen dar. Das Wohnen war also von den lebensnotwendigen Bedingungen geprägt. Diese wurden wahrscheinlich nie als Thema bezeichnet. Der Umgang mit den Randbedingungen war dafür zu selbstverständlich. Aus heutiger Sicht kann man definieren, dass die Gegebenheiten eines Ortes oft Anlass zu Siedlungstätigkeit gaben und thematisch die Siedlung bestimmten.
Mit der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts löste sich für einen Teil der Gesellschaft das Thema des Broterwerbs von Ackerbau und Viehzucht und man begann, in Fabriken zu arbeiten und in den angeschlossenen Siedlungen zu wohnen. Das bestimmende Thema der ArbeiterInnensiedlungen des 19. Jahrhunderts war also die Fabrik, beziehungsweise die Arbeit. Der Standort der Fabrik wurde nach günstigen Bedingungen ausgewählt. Flussläufe und Bäche als Träger der Wasserenergie oder auch vorhandene Bodenschätze wurden ortsbestimmend für viele neu gegründete Siedlungen nach der industriellen Revolution. Die Priorität wurde auf den idealen Standort für die Fabrik gelegt. In der Nähe wurde die ArbeiterInnenwohnsiedlung errichtet, deren Standort sich nach der Fabrik orientierte. Die ortsbestimmenden Eigenschaften kann man heute noch oft in den Namen der Siedlungen lesen. In Österreich geben zum Beispiel Namen wie Eisenerz oder Bleiberg et cetera Auskunft über derartige Siedlungsimpulse. Die sich ansiedelnden Fabriken waren oft auch namensgebend für die umgebenden Siedlungen wie zum Beispiel in Böhlerwerk, im niederösterreichischen Ybbstal.
Die entstandenen Siedlungen bildeten üblicherweise verdichtete Wohnstrukturen, die Synergien nutzten. Die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur stellt eine wesentliche Eigenschaft urbaner Gefüge dar. Heute, da Energietransformation und anschließender Energietransport problemlos gewährleistet werden, sind diese Faktoren kaum mehr bestimmend für den Ort der Ansiedlung neuer Industrien. Durch die zunehmende individuelle Mobilität in den vergangenen Jahrzehnten wurde es scheinbar überflüssig, Wohnungen und Arbeitsplätze in unmittelbarer Nähe zueinander zu schaffen. Stadtviertel entmischten sich und es entstanden Wohnviertel, Büroviertel, Industrieviertel et cetera. Die neuen Siedlungen, von denen im suburbanen Bereich eine neben der anderen errichtet wird, unterscheiden sich meist nur geringfügig voneinander. Um die Wohnungen aber gut verkaufen zu können, ist es notwendig geworden, siedlungseigene Identitäten zu schaffen.
Heute üben die Fabrikbauwerke aus dem 19. Jahrhundert eine große Faszination auf viele Menschen aus. Es entstand das Bedürfnis, die Großzügigkeit der Fabrikhallen in große, nur im notwendigsten definierte Wohnungen zu transformieren. Riesige Einraumwohnungen, in denen beinahe alles möglich ist, stehen modellhaft für die Idee des Lofts. Wohnen in der Sargfabrik, in der Brotfabrik, in der Eisfabrik, in der Korbfabrik wurde zu klingenden Schlagworten. Die Fabrik und das Loft bestehen schon als Themen, noch bevor die alten Gebäude adaptiert werden. Bei manchen der erwähnten Projekte (alle in Wien) bleibt außer dem Schlagwort letztendlich nichts mehr von der Fabrik übrig. Die Sanierung und Adaptierung eines solchen Gebäudes stellt sich oft als wesentlich aufwendiger heraus als der Abbruch mit darauffolgendem Neubau. Zum Beispiel in der Sargfabrik, hier wurde das bestehende Gebäude durch einen Neubau ersetzt. Der Name »Sargfabrik« besteht noch immer und steht heute als Markenzeichen für eine spezielle Art von Lebensqualität.
Für BauträgerInnen und Wohnbaugenossenschaften sind Themen, die der Ort, an dem eine Wohnsiedlung errichtet wird, schon mit sich bringt, von großem Interesse, da sie keiner zusätzlichen Investition bedürfen. Wohnen im Grünen, Wohnen am Wasser oder das Wohnen mit Aussicht sollen hier als Beispiele für die Gegebenheiten, welche ein konkreter Ort bergen könnte, angeführt werden.

Themen sollen helfen

In kleinen Ballungszentren ländlicher Siedlungsgebiete siedelt man heute noch meist um einen historisch entstandenen Kern und versucht, die gemeinsame Infrastruktur des »Zentrums« zu nutzen. Während kleinere Städte traditionellerweise über ein funktionierendes Angebot an städtischer Infrastruktur (Nahversorgung, Unterhaltung, Bildung, ...) verfügten, droht dieses heute immer mehr zusammenzubrechen. Die lokale Nahversorgung in der unmittelbaren Wohnumgebung scheint nicht mehr gewährleistet zu sein. Es entstehen an den Stadträndern riesige Einkaufszentren, die nach Dienstschluss und an den Wochenenden zum Anziehungs- und Treffpunkt auch für viele »StädterInnen« werden. Dieses Phänomen ist speziell auch an den Beispielen vieler Kleinstädte zu beobachten. Der suburbane Bereich ist aber auch jene Zone, in der es noch genügend Platz gibt, um neue Siedlungen zu errichten. Die Themensiedlung stellt sich als ein Phänomen suburbaner und auch ländlicher Siedlungsgebiete heraus. Mit dem Wandel der Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die Themen, die Siedlungen und Wohnen begleiten, der Freizeitgesellschaft entsprechend in den Bereichen Konsum, Sport und Unterhaltung zu finden.
Durch die Verstädterung der Gesellschaft verlieren bestehende Siedlungsgefüge an Attraktivität. Viele Gemeinden in ländlichen Regionen stehen vor dem Problem einer großen Abwanderung. Themen sollen helfen bestehende Siedlungen auch für NeuansiedlerInnen interessant zu machen. In Niederösterreich beschäftigt sich die Dorferneuerung seit Jahren mit Themendörfern. Mit interessierten BewohnerInnen werden Themen erarbeitet, die den Leitfaden für die Entwicklung des Dorfes darstellen sollen. Unter dem Thema Zirkusdorf kaufte eine Gemeinde ein Zirkuszelt und bespielt es seither als Veranstaltungsort unter anderem auch für Zirkusveranstaltungen.
Ähnliches ist in den vielen Tourismusorten Österreichs zu beobachten. Die goldenen siebziger Jahre, in denen das Geschäft mit UrlauberInnen blühte, sind vorbei. Die Fremdenverkehrsorte hielten, ähnlich wie andere Orte, die von Abwanderung bedroht sind, Ausschau nach Themen, welche die Attraktivität erhöhen sollten. Namen wie Kräuterdorf Irschen oder Sonnendorf Diex (beide in Kärnten) sollen das Interesse wecken. Das Babydorf Trebessing in Kärnten beispielsweise zeichnet sich durch besonders kindergerechte Hotels und Restaurants aus. Man ist hier speziell für Urlaube mit Babys eingerichtet und spricht damit natürlich auch ein sehr spezifisches Segment in unserer Gesellschaft an. In Ferienthemensiedlungen kann der Gast für die Zeit seines Aufenthaltes ein Thema intensiv erleben, um danach wieder, abseits von themenbestimmten Wohnen, einem vielgestaltigen Alltag nachzugehen.

Die erforderlichen Strukturen werden errichtet

Themen, die einen zusätzlichen Wert von außen mitbringen, wie zum Beispiel Wohnen am Golfpark oder Wohnen mit Pferden, bringen auch für InvestorInnen zusätzliche finanzielle Aufwände mit sich, welche sich natürlich in den Wohnungspreisen niederschlagen. Durch technische Errungenschaften ist es heute möglich, völlig abgeschlossene Siedlungen zu bauen, die keinerlei Bezüge zu anderen Bebauungsstrukturen haben. Der Baugrund wird nach dem Preis ausgewählt, und alles, was nun entsteht, ist eine künstliche Welt. Es wird ein Thema und ein Profil erarbeitet, das die Bedürfnisse der künftigen BewohnerInnen decken, oft überhaupt erst wecken soll. Das Profil braucht keinen bestimmten Ort. Der Ort wird künstlich geschaffen. Ein gutes Beispiel stellt der Wohnpark Fontana dar. Ein riesiger Badesee, ein Golfplatz, Tennisanlagen und das Wohnressort wurden künstlich errichtet. Die entsprechende Landschaft wurde geformt, ein Badesee ausgehoben, Klippen errichtet und Hügel für einen Golfparcours aufgeschüttet. Die abgegrenzte Anlage hätte man überall bauen können. Es fehlen jegliche Bezüge zur umgebenden Landschaft beziehungsweise zu vorhandenen Bebauungsstrukturen.
Die Spezialisierung, die in vielen Bereichen der Gesellschaft bedauerliche Notwendigkeit wurde, ereilte mittlerweile auch den Wohnbau. Spezielle Bedürfnisse werden geweckt und befriedigt und die dafür erforderlichen Strukturen werden errichtet. Die flexible Hülle, die vieles ermöglicht, scheint in den aktuellen Tendenzen des Themenwohnens kein Thema zu sein. Es erfolgt eine Entmischung der Gesellschaft, die zunehmend lieber in kontrollierbaren Gruppen unter sich bleibt und das Wohnressort lieber nicht verlässt. Selbstverständlich kann Themenwohnen eine wertvolle Bereicherung darstellen. Es besteht jedoch die Sorge, dass bei der Konzentration auf ein einziges Thema viele andere Themen vernachlässigt werden. Die Lage einer Wohnung, ihre Orientierung, die umgebende Infrastruktur, der Grundriss, aber auch die vielfältige Nachbarschaft sind einige jener Faktoren, die immer noch zu den wichtigsten Themen im Wohnbau zählen sollten. Werbeslogans wie »Wohnen mit internationalem Flair« oder »Wohnpark am Golfplatz« weisen von grundlegenden Bedürfnissen weg, hin zu konstruierten Funktionen, die das Wohnen aufwerten sollen. Die Wohnung, die als räumlich-funktionales Gefüge Grundbedürfnisse des Menschen bedient, tritt zunehmend in den Hintergrund. In Zukunft wird genau zu prüfen sein, ob das Thema, unter dessen Schlagwort eine Wohnung verkauft oder vermietet wird, tatsächlich eine nachhaltige Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität ist, oder ob es sich bloß um einen hohlen Werbeslogan handelt.


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