» Texte / Urbane Landwirtschaft - sozial, nachhaltig, smart

Sarah Kumnig

Sarah Kumnig forscht und lehrt an der Universität Wien zur Neoliberalisierung des Städtischen, urbaner Landwirtschaft, Wohnpolitik, lokalen Grenzpraktiken und Urban Citizenship.


Urbane Landwirtschaft ist ein zentraler Bestandteil von Europas Städten, und das nicht erst seit Urban Gardening in Stadtentwicklungsplänen auftaucht. Lebensmittel- produktion in der Stadt weder als ländliches Überbleibsel noch als aktuellen Trend darzustellen, sondern die lange Geschichte sowie die Vielfalt an Formen und Motivationen sichtbar zu machen, ist ein wichtiger Beitrag dieses Sammelbandes. Als Ergebnis eines vierjährigen transdisziplinären COST- Forschungsprojekts (European Cooperation in Science and Technology, finanziert vom EU-Rahmenprogramm Horizon 2020) stützt sich dieses Werk auf empirisches Material aus den verschiedensten Ecken Europas. Ein großes, buntes Buch mit vielen Fallbeispielen, Fotos, Grafiken, Karten und Skizzen, das sich zum Ziel setzt, die unterschiedlichen Formen urbaner Landwirtschaft sowie ihre Potenziale für Europas Städte aufzuzeigen und anzuregen, diese stärker zu fördern. Die Grundannahme des Buches ist dabei: Urbane Landwirtschaft ist die Lösung für eine nachhaltige Stadtentwicklung.
Doch was ist urbane Landwirtschaft überhaupt? Als »urbane Landwirtschaft« bezeichnen die AutorInnen sowohl urbanes Gärtnern wie auch Landwirtschaft im Sinne von innovativen, multifunkt- ionalen, anpassungsfähigen Betrieben, welche die (Nähe zur) Stadt nutzen, um lokal Lebensmittel zu vermarkten. In Abgrenzung dazu werden traditionelle, konventionelle Landwirtschaftsbetriebe in Städten, welche sich nicht am lokalen, sondern am nationalen und internationalen Markt orientieren, als »nicht-urbane Landwirtschaft« bezeichnet. Was Gemüseanbau in der Stadt also zu »urbaner Landwirtschaft« macht, ist die Orientierung an der Nachfrage der StadtbewohnerInnen sowie das flexible Reagieren auf die Veränderungen des Städtischen. Charakteristisch für urbane Landwirtschaft sei außerdem die Vielfalt an AkteurInnen. Denn nicht nur klassische BäuerInnen sind an urbanen Land- wirtschaftsprojekten beteiligt, sondern auch viele Personen und Gruppen mit unterschiedlichsten Motivationen und Hintergründen. Dies führe auch dazu, dass die konkrete Lebensmittelproduktion oft nur eine von vielen Funktionen sei. Neben dem Gemüse wird vor allem der soziale, ökologische, kulturelle wie auch der ökonomische Beitrag betont.
So vielfältig wie die möglichen Formen urbaner Landwirtschaft sind auch die Beiträge des Sammelbandes. Aus sozialwissenschaftlicher, ökonomischer, agrarökologischer und stadtplaner- ischer Perspektive werden die Themen Governance, Business, Raum, gesellschaftliche Naturverhält- nisse sowie die EU-Ebene behandelt. Auffallend ist dabei, dass sich alle AutorInnen ausschließ- lich positiv auf urbane Landwirtschaft beziehen. Dass Gemüseanbau in der Stadt allerdings an sich weder besonders emanzipatorisch noch sonderlich wettbewerbsfähig ist, sondern je nach Kontext, AkteurInnen und Interessen unterschiedlich ausgestaltet, benutzt und interpretiert wird, gerät dabei aus dem Blick.
Um die unterschiedlichen Zugänge sichtbar zu machen, hier drei kurze Beispiele: In dem Kapitel zur ökonomischen Dimension wird urbane Landwirtschaft als besonders innovatives, anpassungsfähiges und profitables Businessmodell präsentiert, welches gleichzeitig einen ökologischen und sozialen Beitrag für die urbane Gesellschaft leiste. Stadtgemüse sei somit ein produktiver, mul- tifunktionaler und zukunftsorientierter Wirtschaftssektor, der Arbeitsplätze schaffe, zur Aufwertung von Stadtteilen beitrage und die Kosten für öffentliche Grünraumpflege reduziere.
Im Gegensatz dazu verstehen die AutorInnen der polit-ökologischen Perspektive urbane Landwirtschaft als ein wichtiges Werkzeug für einen alternativen Urbanismus und eine emanzipatorische, gesunde, sozial gerechte Stadt. Mit dem Konzept des Metabolic Rift und Bezug nehmend auf Agrarökologie und Ernährungssouveränität, ist es ihnen ein Anliegen, nicht nur entpolitisierte, technische Lösungen zu liefern, sondern eine radikale Kritik an industrieller Landwirtschaft wie auch an kapitalistischer Urbanisierung zu formulieren. Urbane Landwirtschaft ist für sie dabei eine Strategie, sich den Zugang zu und die Kontrolle über Ressourcen, Lebensmittelproduktion und das Städtische wieder anzueignen und kollektiv nach den eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen zu gestalten.
Konkrete Handlungsempfehlungen für politische EntscheidungsträgerInnen werden im letzten Kapitel genannt. Darin wird betont, dass es mehr staatliche Regulierung, Strategien und Unterstützung brauche, um urbane Landwirtschaft zu fördern und zu steuern. Auch auf EU-Ebene sollte sie stärker verankert und in verschiedene Programmen und Förderschienen integriert werden. Zudem wird urbane Landwirtschaft als vielversprechendes Werkzeug präsentiert, um die EU-Europe 2020-Ziele umzusetzen (smartes, nachhaltiges, soziales Wachstum) und Europas Städte nicht nur ökologischer und sozialer, sondern auch attraktiver und wettbewerbsfähiger zu machen.
Insgesamt liefert der Sammelband einen spannenden Beitrag für Stadtentwicklungsdebatten, indem er die Bedeutung und Vielfalt urbaner Landwirtschaft aufzeigt und Lebensmittelproduktion als einen zentralen Bestandteil des Städtischen sichtbar macht und einfordert. Wie bei allen anderen Bereichen des Städtischen bräuchte es allerdings auch hier eine kritische Auseinander- setzung mit den jeweiligen Rahmenbedingungen, Aushandlungsprozessen, Interessen, Auswirkungen und Widersprüchen. Denn Stadtgemüse ist nicht immer für alle toll und konfliktfrei. In Maisfeldern lässt es sich nicht gut Fußball spielen, öffentliche Parkflächen werden durch eingezäunte Gemeinschaftsgärten (teil)privatisiert, und bunte Gärten sind oft Teil von Aufwertungsprozessen, die Stadtteile attraktiver für InvestorInnen machen, wodurch viele BewohnerInnen verdrängt werden. Vor diesem Hintergrund wäre eine kritische Auseinandersetzung mit urbaner Landwirtschaft in ihrer Widersprüchlichkeit äußerst notwendig. Die Aufzählung der sozialen, ökologischen und ökonomischen Vorteile reicht dafür wohl nicht aus.


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