Robert Temel

Robert Temel ist Architektur- und Stadtforscher in Wien.


Das Thema gemeinschaftliches Wohnen ist im Deutschen Architekturmuseum (DAM) angekommen: Der vorgestellte Band ist der begleitende Katalog zur Ausstellung Daheim. Bauen und Wohnen in Gemeinschaft und thematisiert einen Aspekt solcher Projekte, der bisher nicht oft im Zentrum des Interesses stand. Während gemeinschaftliche Wohnformen meist aus stadtplanerischen und wohnpoliti- schen Perspektiven – neben individuellen Wohn- und Gemeinschaftswünschen – diskutiert werden, ist architektonische Gestaltung selten zentraler Antrieb – von einigen Ausnahmen abgesehen, wie bei Teilen der Berliner Baugruppenszene und bei den Zürcher Genossenschaften. Ausstellung und Katalog des DAM zeigen nun, dass man den Projekten damit nicht genügt. Insgesamt 26 Projekte aus der ganzen Welt mit starkem Fokus auf dem deutschsprachigen Raum werden präsentiert, die nicht nur sozial, sondern auch architektonisch interessant sind. Der Begriff »gemeinschaftliches Wohnen« wird dafür allerdings ein wenig gar weit aufgespannt, so dass nicht bei allen Projekten klar ist, ob sie tatsächlich einen Beitrag zum Ausstellungsthema leisten. Ein Beispiel dafür: Die beschrieb- enen Bremer Stadtmusikanten, die 2010 von Artec Architekten in Wien- Donaustadt realisiert wurden, sind zweifellos architektonisch herausragend, und es ist eindrucksvoll, dass ein solches Projekt im Rahmen des geförderten Wohnbaus möglich ist; besonders gemeinschaftlich ist daran allerdings nichts. Das Gebäude wurde von einem gemeinnützigen Bauträger errichtet, so wie fast alle geförderten Wohnbauten in Wien.
Eine Reihe von Essays diskutiert mit dem gemeinschaftlichen Wohnen verbundene Themen: soziale Aspekte von Wohnprojekten, die Frage des Selbermachens, eine Geschichte gemeinschaftlicher Wohnformen, ein »Erlebnisbericht« des ehemaligen Bremer Bürgermeisters über sein Wohnprojekt, ökonomische Aspekte, der Weg zum Grundstück, Rechtsformen, volkswirtschaftliche Thematiken und die Übertragbarkeit von Qualitäten gemeinschaftlichen Wohnens auf das Wohnen insgesamt. Der Ausstellungskatalog rückt damit in die Nähe von Wohnprojekt-Handbüchern, wie sie mittlerweile von vielen AkteurInnen, Kommunen und Ländern als Anleitung für Interessierte publiziert wurden.
Ergänzt wird dieser Serviceteil durch eine Darstellung der 26 Projekte aus Deutschland (12), Österreich (5), der Schweiz (3), den Niederlanden (1), Finnland (1), Italien (1), Kanada (1), Argentinien (1) und Japan (1). Die Auswahl weist, abgesehen von der Konzentration auf deutsch- sprachige Länder, deutliche Auslassungen bei zentralen Regionen des gemeinschaftlichen Wohnens auf – so fehlen etwa Dänemark und Schweden komplett. Während die Projekte in der Frankfurter Ausstellung durch vielfältige Materialien – Videos, Fotos, Texte, Modelle, Diagramme und so eindrucksvolle Objekte wie der Konstruktionsbaukasten des Wohnprojekts Spreefeld in Berlin – dargestellt werden, wird im begleitenden Band versucht, durch einheitliche Darstellung mit Fotos, Texten und Tabellen Vergleich- barkeit herzustellen.
Dafür zeigt die Auswahl ein relativ breites Spektrum an Formen, allerdings naheliegenderweise nur solchen, die besonderen Nachdruck auf die architektonische Qualität gelegt haben. Darunter sind etwa die typische Berliner Baugruppe, allerdings mit hochwertiger Erdgeschoßnutzung, eine Bauherrengemeinschaft für ein Fünffamilienhaus in Almere, ein gewerkschaftliches, von der städtischen Wohnbaugesellschaft errichtetes Projekt in Toronto und das zweite Kraftwerk- Projekt in Zürich: ein Umbau durch eine neue, innovative Genossenschaft. Das dritte Projekt der neuen Münchner Genossenschaft Wagnis wird ebenso gezeigt wie Townhouses mit gemeinsamem Garten in Berlin-Prenzlauer Berg. Ein völlig anders angelegtes, aber gut ins Thema passendes Projekt ist VinziRast in Wien, ein Wohnbau, in dem Studierende und ehemals Obdachlose zusammen in Wohngemeinschaften leben. Experimente in planerischer Hinsicht erprobte das Projekt R50 in Berlin; außerdem wurde versucht, durch niedrigeren Ausbaustandard die Kosten zu senken. Der Wiener PaN-Wohnpark ist wiederum ein Bauträgerprojekt, entstanden ohne Beteiligung, bei dem immerhin ein so genanntes »intermediäres soziales Besiedlungsmanagement und Community-Building« nach Fertigstellung umgesetzt wurde, um den anfangs einander unbekannten BewohnerInnen zu helfen, eine Quartiersgemeinschaft zu bilden. Beim Projekt Tila in Helsinki werden Leerräume verkauft, welche die KäuferInnen anschließend selbst ausbauen. Das aktuelle Wiener Paradebeispiel Wohnprojekt Wien ist ebenso vertreten wie der gemeinsame Umbau einer Tabakfabrik in Dresden zu Wohnungen. Für das lateinamerikanische Modell des Fideicomiso steht ein Projekt in Buenos Aires, bei dem die Architekten selbst als Bauträger für eine Gruppe von AuftraggeberInnen agieren. Das herausragende genossenschaftliche Projekt Spreefeld in Berlin und die Genossenschaft Kalkbreite in Zürich stehen als sehr große Beispiele (65 bzw. 93 Wohnungen) dem Wiener Dachausbau Tunesisches Dorf mit vier Wohnungen gegenüber. Die Schweizer Chasa Reisgia ist ein Projekt im ländlichen Raum, entwickelt von einer eigens gegründeten Genossenschaft mit starker Unterstütz- ung durch die Gemeinde. Die Hamburger Szene repräsentieren die Neuen Hamburg Terrassen in Wilhelmsburg, initiiert allerdings nicht von der Gruppe selbst, sondern von der Stadt Hamburg im Rahmen der IBA. Dem in Südtirol üblichen Genossenschaftsmodell folgt das einzige italienische Beispiel, die Wohnsiedlung am Hang in Kaltern. Die Genossenschaft wird in diesem Fall nach Errichtung aufgelöst, die Häuser stehen dann im Eigentum der einzelnen Familien.


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