Vom Abriss zum Abriss – der Wandel von Stadterneuerungsansätzen
1. Problem- und Selbstverständnis
Ziel einer Stadtplanung ist es immer gewesen, Ordnung in den Wildwuchs von Siedlungsentwicklung zu bringen. Da »Ordnung« ein normativer Begriff ist, stellt sich die Frage danach, wessen Ordnung damit gemeint ist – die der Männer, die der Bürgerlichen, die der Älteren, die der Alt-Eingesessenen? »Ordnung« bedeutete nach einem professionellen Konsens der PlanerInnen vor allem »Anordnung« im doppelten Sinne: »von oben« und »in Reih´ und Glied«. Ordnung bedeutet nach der Charta von Athen auch Funktionstrennung und schließlich die Unterordnung unter den Kfz-Verkehr. Ordnung wurde schließlich durch »Aufräumen«, »Ausräumen«, »Behübschen« und »Beruhigen« sichergestellt.
Stadtplanung und Stadterneuerung waren auch immer der Versuch, Ordnung in die Gesellschaft zu bekommen und »unausgewogene« Bevölkerungszusammensetzungen zu vermeiden und zu zerstreuen. Mittels baulicher, landschaftsplanerischer und städtebaulicher Maßnahmen meint(e) man, die Gesellschaft »retten«, zumindest aber »heilen« zu müssen und zu können. De facto stand hinter der Gebäudereparatur also der verwegene Gedanke, durch eine bauliche Aufwertung eine »bessere« Zusammensetzung der Bevölkerung, zufriedenere Menschen und die Wieder-Erlangung nachbarschaftlicher Netze und gesellschaftliche Integration zu erreichen – notfalls auch mit Mitteln der Verdrängung.
2. Flächensanierung – Gebäudereparatur – Anwaltsplanung – Quartiersmanagement – Abriss der Symbolik sozialer Probleme
Flächensanierung durch Abriss und Neubau
In einer Kontinuität der Zwischenkriegsplanung und aufgrund der spekulativen Erwartungen der EigentümerInnen, waren Mitte der 1960er-Jahre den PlanerInnen die innenstadt- und industrienahen ArbeiterInnengebiete ein Graus: Eine schlechte sanitärtechnische Ausstattung (in Wiener Dimensionen: Kategorie D), verfallene Baustrukturen, abgewohnte Wohnungen, Leerstand, lärmendes Gewerbe, dicht verbaute Innenhöfe und dann noch die vier A's (Arme, Alte, Arbeitslose, Ausländer).Grund genug also, tabula rasa zu machen und die »bewährten Methoden« des Städtebaus auf frei geräumter Fläche anzuwenden. Chic waren damals weder Gründerzeit und Jugendstil, noch Terrassenwohnungen, Gangwohnungen oder Lofts, sondern die Moderne der massenhaften Bauproduktion, die sich als »neues Wohnen« auf den grünen Wiesen ausbreitete.
Man hatte jedoch nicht mit dem Widerstand der Menschen gerechnet, die nicht wollten, dass man ihnen das Dach über dem Kopf wegreißt oder sie vertreibt. Sie besetzten im Übergang zu den 1970er-Jahren die verlassenen Häuser oder verteidigten ihr Recht auf Immobilität und auf preisgünstigen Wohnraum.
Gebäudereparatur
Da jedoch die Gewinnerwartung durch die Ausdehnung des zentralen Geschäftsbezirkes auf die innenstadtnahen, mit Gewerbe durchmischten Gebiete unterhalb der Hoffnungslinie der EigentümerInnen blieb, beschloss man in den 1970er-Jahren in den Stadtplanungsabteilungen, den Wohnungsbestand wieder marktfähig zu machen. Über Kataster des Wohnungsbestandes wurden die Gebäude ausgewiesen, die abgerissen, dringend saniert oder mit entsprechenden Modernisierungsmaßnahmen wieder an die aktuellen Erwartungen angepasst werden konnten.
Und wieder hatte man sich bei den BewohnerInnen verrechnet. Statt Dankbarkeit über so viel staatliche und kommunale Fürsorge ein erneuter Protest und der Anlass zahlreicher städtischer Bürgerinitiativen, denn man wollte sich weder »umtopfen« noch »beplanen« lassen. Man wollte auch keine SpekulantInnen sehen, sondern von der Stadt vor Entmietungen und spekulativen Mietpreis-Anstiegen geschützt werden. Mühsam dämmerte es der Planungszunft, dass es ein Unterschied ist, ob man neue Stadtteile (die in Wirklichkeit Großsiedlungen mit kleinem Einkaufs- und Ärztezentrum waren) »auf der grünen Wiese« plant oder massiv in den Baubestand und damit in die Lebenswelten von Menschen eingreift.
So standen sich »neue soziale Bewegungen« (vgl. Roth & Rucht 1987) und der Beginn einer »neuen Planungskultur« ursprünglich feindselig gegenüber. Während sich die zunehmende Zahl der BürgerInnen-Initiativen überwiegend nicht mehr damit begnügte, nur bis zur Innenseite der Wohnungstür zu denken, sondern den Zustand der Gebäude und des Wohnumfeldes kritisierte (zu viel ruhender und fahrender Individualverkehr, zu wenig Spiel- und Erholungsflächen, zu viele Hunde und Ausländer) und Mitbestimmung bei der Umwandlung der Wohnquartiere einforderte, schickte der Staat entweder Polizei (gegen HausbesetzerInnen und DemonstrantInnen) oder die mutigsten VerwaltungsmitarbeiterInnen in Informations- und Anhörungsveranstaltungen, die heute Bestandteil von Gesetzen sind und gern unter der Überschrift »Bürgerbeteiligung« geführt werden.
Es dauerte in vielen Städten lange, bis die planende Verwaltung Mittel und Wege fand, in die Abwägung der planerischen Maßnahmen auch die oftmals heterogenen Bedürfnisse und Wünsche der BewohnerInnen angemessen zu integrieren und daraus konstruktive Prozesse zu gestalten. Wegweiser waren in Deutschland das Städtebauförderungsgesetz (StBauFG), mit den darin enthaltenen vorbereitenden Untersuchungen der Bevölkerungsstruktur, aber auch der Erwartungen und Befürchtungen im Zusammenhang mit den Sanierungen. Die Massivität des BürgerInnen-Protests aber auch die Weit- und Einsicht von Stakeholdern in der planenden Verwaltung (mit entsprechenden finanzwirksamen politischen Beschlüssen im Rücken) waren wichtige Voraussetzungen dafür, in der Stadterneuerung neue Wege zu gehen und eine wirklich »neue Planungskultur« zu entwickeln.
Anwaltsplanung und Modernisierungsförderung
Aus den USA wurde eine völlig neue Haltung des politisch-administrativen Systems gegenüber dessen WählerInnen und BürgerInnen bekannt: Man beriet die BewohnerInnen über ihre Rechte, baute diese aus (Mietrecht, Deckelung der Mietanstiege durch Mietenspiegel und Erhaltungssatzungen, etc.) und fand Wege, die BürgerInnen schrittweise in die Gestaltung des Wohnumfeldes stärker einzubinden.[1] In Wien, Berlin und Hamburg (später auch Hannover) fand diese Haltung Mitte der 1970er-Jahre rasch mit den Gebietsbetreuungen, den Sanierungs- und Modernisierungsträgern eine institutionelle Form und begründete die »behutsame« resp. »sanfte Stadterneuerung«. Man ging dabei einerseits behutsamer mit dem Baubestand um und bemühte sich, möglichst viel von der Bausubstanz zu erhalten (jedoch die Innenhöfe zu entkernen), und versuchte andererseits aber auch die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und die Bestandsgrundlage von Gewerbebetrieben[2] zu wahren.
Diese kommunale Steuerung war nur möglich, indem die Wieder-In-Wert-Setzung dieser lange durch Des-Investitionen gekennzeichneten städtischen Teilgebiete massiv aus öffentlicher Hand subventioniert wurde. Dennoch gab es kaum eine Garantie für die Treffsicherheit dieser Mittel, denn windfall profits der privaten Wohnungswirtschaft waren nicht auszuschließen. Lediglich die Vergabe öffentlicher Fördermittel für Instandsetzung und Modernisierung waren der Hebel dafür, zumindest zeitweilig diesen Wohnungsbestand aus dem Markt zu nehmen, indem den EigentümerInnen Mietpreis- und Belegungsbindungen auferlegt wurden.
In vielen Fällen erwies sich die Sanierung dieser Gebiete jedoch als take off für Gentrification-Prozesse[3] (vgl. Dangschat 1995). Die Ursache für die Revitalisierung der Gründerzeitgebiete war auch eine in den 1980er-Jahren gestiegene Nachfrage nach innenstadtnahem Wohnraum: die Babyboomer traten erstmalig am Wohnungsmarkt auf, die Hochschulen wurden massiv ausgebaut, d.h. die Ausbildungsphasen verlängerten sich, und viele beschlossen, Ehe und Familie auf später zu verschieben. Diese Nachfragergruppen unterschieden sich jedoch sehr stark nach ihren Einkommen und Vermögen, so dass eine soziale Spaltung der innenstadtnahen Standorte eintrat: Von Marktprozessen aufgewerteten und auf gehobenem Mittelschicht-Niveau verankerten Segmenten standen kleinräumig vernachlässigte Gebiete gegenüber, die von Sanierungsnotwendigkeit und der Akkumulation von als »Problemfällen« angesehenen Haushalten geprägt waren.
Quartiersmanagement
Trotz aller Gebäudereparatur und traditioneller Beteiligungsverfahren hat sich seit den 1990er-Jahren gezeigt, dass die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung manchen Fachleuten immer noch als zu »problematisch« erschien: immer noch zu viele AusländerInnen, Alte, Arme und Arbeitslose (vgl. Andersen & van Kempen 2001). KommunalpolitikerInnen und PlanerInnen lernten von den SoziologInnen, dass »unausgewogene Bevölkerungsverteilungen« einer integrativen Stadtbevölkerung im Wege stünden. Für Friedrichs (1995: 80) ist das Ausmaß der ungleichen Verteilung der Wohnbevölkerung im Stadtgebiet (Segregation) ein unmittelbarer Indikator für das Ausmaß gesellschaftlicher Desintegration.
Anhut & Heitmeyer (2000) kommen demgegenüber zu anderen Ergebnissen: Nicht der AusländerInnenanteil ist für gute Integrationschancen relevant, sondern die Art und Weise, wie die sozialen Gruppen miteinander umgehen (Inter-Gruppen-Beziehungen, politische Kultur, lokales Klima, etc.). Genau hier setzt das Quartiersmanagement an, das mittlerweile in den meisten west- und nordeuropäischen Ländern etabliert wurde (vgl. Becker & Löhr 2000, Franke & Löhr 2002, JRF 2000, Kemper & Schmals 2000, Andersen 2001, Friedrichs & Vranken 2001, Schader-Stiftung 2001, Walther 2002, Breitfuss et al. 2004).
Dem Ansatz des Quartiersmanagements liegt ein grundsätzliches Umdenken zu Grunde: Nicht mehr die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung sollte verändert werden, sondern der Umgang mit den vorhandenen Haushalten und Betrieben. Hinzu kam die Erkenntnis, dass noch so engagierte »sanfte Stadterneuerung« die soziale Situation in den Gebieten der Stadterneuerung nicht verbessert (vgl. Dangschat 2004a). Das Quartiersmanagement unterscheidet sich daher von Ansätzen der klassischen Sanierung in drei wichtigen Punkten:
o Neben den klassischen Sanierungsaufgaben treten Qualifizierungsstrategien der Wohnbevölkerung (durch empowerment), das Schaffen von Arbeitsplätzen im Quartier durch Projekte resp. durch die Förderung der meist ebenfalls verarmten und überalterten lokalen Ökonomie.
o Eine systematische (nicht nur informelle) Vernetzung unterschiedlicher AkteurInnen auf der lokalen Ebene (horizontale Integration) und
o die Einbindung dieser Maßnahmen in eine regionale resp. gesamtstädtische Strategie gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung (vertikale Integration).
Quartiersmanagement ist demnach ein wichtiges Element der Verwaltungsmodernisierung und ein zentraler Baustein strategischer Stadtentwicklungskonzepte in Großbritannien, den Niederlanden, Skandinavien und Deutschland. Allerdings – so zeigt der internationale Vergleich (vgl. Parkinson 1998, Alisch 2001, Breitfuss et al. 2004) – gibt es offensichtlich zwei strukturelle Problemcluster, welche dafür verantwortlich sind, dass die mit dem Quartiersmanagement verbundenen »Idealvorstellungen« ausbleiben:
o Qualifikation der Umsetzenden: Da die Umsetzenden in der Regel entweder aus der Stadterneuerung oder aus der beruflichen Qualifikation und Arbeitsmarktpolitik kommen, bleibt einer der beiden inhaltlichen Schwerpunkte unterentwickelt; zudem sind die QuartiersmanagerInnen oftmals nicht in der Lage, sowohl eine breite Vernetzung der Gebietsbevölkerung und der lokalen Ökonomie, als auch intensive und distanzierte Beziehungen zur Verwaltung und Kommunalpolitik einzunehmen.[4]
o Nur selten werden seitens der Verwaltungsspitzen und KommunalpolitikerInnen die strategischen Ansprüche erfüllt; Dazu gehören eindeutige politische Beschlüsse, eine sachgerechte Mittelausstattung, klare Zielsetzung und Evaluation, horizontale und vertikale Verknüpfung sowie Entscheidungsfreiräume für Partizipationsprozesse.
Ein Urteil zur Sinnhaftigkeit solcher Programme nach Kriterien der Effizienz und der Effektivität abzugeben, erscheint gegenwärtig noch nicht möglich, weil abschließende Evaluierungen dieser Programme noch nicht vorliegen.
Abriss von Sozialwohnungen und Neubau von Eigentumswohnungen
Die aktuelle Phase der Stadterneuerung ist an manchen Orten durch einen Bruch in der Kontinuität einer zunehmenden Sensibilisierung gegenüber der Wohnbevölkerung gekennzeichnet. Da bauliche Mängel und soziale Probleme in der Regel zur Abwanderung all derer führen, die noch mobil sind, hatten sich seit den 1980er-Jahren gerade die Großsiedlungen[5] als die Orte erwiesen, denen man dann den Rücken kehrt, wenn andere Wohnungsmarktsegmente einen Angebotsüberhang aufweisen. Der daraus resultierende Leerstand verstärkte die Negativ-Symbolik und die Belegungspolitiken führten zur Verschärfung der strukturellen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung.
Die Folge daraus ist eine Skepsis darüber, ob »der Ort« noch zu retten sei, da die Kosten zur Beseitigung der Schäden aus Vandalismus steigen und die Mieteinnahmen rückläufig sind. Daher beschloss man vielerorts – beginnend in Lyon, Brüssel, Amsterdam und in Ostdeutschland – die »Problemhäuser« zu sprengen und häufig durch Eigentumswohnungen zu ersetzen. Die BewohnerInnen der »Problemhäuser« wurden zuvor umverteilt – es ist zu bezweifeln, dass es ihnen am neuen Lebensmittelpunkt wesentlich besser geht und sie es leichter haben, in die Gesellschaft integriert zu werden.
3. Quartiersmanagement zwischen »Fass ohne Boden« und permanenter Überforderung
Quartiersmanagement hat eine Reihe sehr unterschiedlicher Ziele (Stadterneuerung und Arbeitsmarktpolitik, Integration von Armen/Zugewanderten und Aufwertung der Gebiete, Integration in gesamtstädtische Prozesse und Lösung von Vor-Ort-Problemen), demgegenüber eine einfache Umsetzungslogik: Konzentration auf investive Zahlungen, »zeitgerechte« Evaluation (meist: rechtzeitig vor der Kommunalwahl) und Orientierung an formalen Regeln (beispielsweise zur Zahl der zu schaffenden, zusätzlichen Arbeitsplätze).
Auf der anderen Seite ist Quartiersmanagement ein oftmals hilfloses Bemühen städtischer Verwaltungen, die Probleme von Armut und sozialer Ausgrenzung dort in den Griff zu bekommen, wo sie als Erscheinungsform auftreten, während ein Großteil der Ursachen außerhalb zu suchen ist (De-Industrialisierung aufgrund von Globalisierung mit der Folge struktureller Arbeitslosigkeit im Produktionssektor, Flexibilisierung der Arbeitsmarktbedingungen insbesondere im Dienstleistungssektor mit dem Phänomen der working poor, Zunahme neoliberaler Elemente in den nationalen und EU-Politiken mit der Folge abnehmender Sozialstaatlichkeit und Zunahme eines demokratisch abgesicherten Rassismus durch die Ungleichbehandlung von EU- und Nicht-EU-BürgerInnen im Arbeits- und Wohnungsmarkt, etc.) (vgl. Dangschat 2004b). Hinzu kommt, dass Städte mit ihren Politiken selbst Motor der Globalisierung sind. Die durch die Wettbewerbssituation angeheizte Modernisierung der Arbeitsmärkte und der Arbeitsbedingungen, die städtebaulichen Maßnahmen zur massiven In-Wert-Setzung der Innenstädte und die daraus folgenden Gentrification-Prozesse drängen die Armutsbevölkerung in immer stärkerem Maße in wenigen Stadtquartieren zusammen, wo sie – aufgrund der hohen Konzentration »sozialer Problematik« – der Sonderbehandlung durch ein Quartiersmanagement unterworfen wird.
Quartiersmanagement – auch wenn es noch so engagiert durchgeführt und respektabel finanziell gefördert wird – kann in den Feldern der Qualifikation, im Schaffen von Arbeitsplätzen und schließlich in der verlässlichen und pro-aktiven Integration von Zugewanderten nicht erfolgreich sein, wenn durch andere Politiken der Stadt, der Region, des Nationalstaates und der EU gleichzeitig in weit stärkerem Maße die Probleme geschaffen werden, welche durch das Quartiersmanagement »bekämpft« werden sollen (vgl. Dangschat 2004 a, b). Wie alle sozialpolitischen Ansätze kann es schließlich auch gegen die Interessen der Klientel selbst gerichtet sein (vgl. Krummacher et al. 2003: 202).
Ein wesentliches Ziel des Quartiersmanagements ist die Integration der benachteiligten Bevölkerungsgruppen, die - neben der (schwierigen) Integration in den ersten Arbeitmarkt - vor allem durch die soziale Vernetzung erreicht werden soll. Inwieweit diese gelingen kann, ist schwierig zu beurteilen. Zunächst gehen unter SozialwissenschaftlerInnen die Meinungen auseinander, ob diese benachteiligten sozialen Gruppen bereits durch die Tatsache, räumlich konzentriert zu leben, zusätzlich benachteiligt werden (negative Sozialisation und Lerneffekte, Herausbilden einer culture of poverty, schließlich auch eines abweichenden und kriminellen Verhaltens) oder ob vor allem die benachteiligenden Wohn- und Wohnumfeldbedingungen ausschlaggebend sind (und sicherlich vom jeweiligen konkreten Stadtquartier abhängig). Ob und welche Nachbarschaftseffekte man empirisch konstatiert, hängt nach Atkinson & Kintrea (2004: 440) vor allem davon ab, was man darunter versteht.
Auch eine Evaluation hilft hier kaum weiter, weil ein »Erfolg« schließlich auch sein kann, wenn einzelne Haushalte in einer Weise unterstützt werden, dass sie den Absprung aus dem benachteiligten Quartier aus eigener Kraft schaffen. Da mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut einkommens- und artikulationsschwache Gruppen nachziehen werden, ändert sich in der Quartiersbilanz kaum etwas, obwohl es möglicherweise viele »empowerte«, aber weggezogene Haushalte gibt.
4. Warum doch: Quartiersmanagement?
Dennoch sollte man den Quartiersmanagement-Ansatz weiter verfolgen, aber diesen nicht überfordern. Vor allem ersetzt das Quartiersmanagement nicht die klassische Umverteilungspolitik und die Absicherungspolitik der Armen; das Quartiersmanagement kann also eine ausbleibende Sozialstaatlichkeit nicht ersetzen. Es ist darüber hinaus wenig geeignet, Arbeitsplätze zu schaffen, schon gar nicht eine umfangreiche Tendenz des Verlustes von Arbeitsplätzen und die Flexibilisierung des Dienstleistungssektors zu kompensieren oder gar aufzuhalten.
Das Quartiersmanagement ist vor allem geeignet, die Lebensverhältnisse zu verbessern und insbesondere das konstruktive Zusammenleben unterschiedlicher sozialer Gruppen in einem Stadtquartier zu unterstützen. Es ist ein Ansatz, der nicht nur den beteiligten Menschen mehr Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl verleiht und sie intensiver in die lokalen sozialen Netze einbindet (individuelles soziales Kapital), es ist auch gut geeignet, ein an den Ort gebundenes soziales Kapital (institutional social capital) zu kreieren (vgl. Schnur 2003), eine offene politische Kultur mit hoher kultureller Toleranz und einer Bandbreite an Lebensstilen auszubilden (vgl. Anhut & Heitmeyer 2000) und ein Netzwerk unterschiedlicher AkteurInnen und Institutionen zu etablieren (institutional thickness).
Oftmals sind die AkteurInnen an einem solchen Ort auch in der Lage, soziale Kreativität mit hoher Bandbreite zu entwickeln, die von ökonomischen Überlebensstrategien in prekären Situationen bis zu kreativen Clustern reicht, welche den Kern einer lokalen Zivilgesellschaft bilden. Hierzu braucht es Räume – baulich-physische und normative – und Strategien, die Räume zu nutzen und sich ein Stück auch anzueignen. Letztlich geht es darum, dass BürgerInnen lernen, ein Stück ihrer Stadt wieder einzunehmen und selbstverantwortlich zu benutzen. Eine Analyse britischer Städte hat deutlich gezeigt, dass Kennwerte über die Infra- oder Sozialstruktur wenig darüber aussagen, ob die Wohnbevölkerung in den »Problemvierteln« besser integriert ist, sondern das Ausmaß der sozialen Netzwerke und der individuellen Referenzgruppen sowie letztlich die Wertvorstellungen sind bedeutsam, die in diesen Netzwerken entwickelt werden (vgl. Atkinson & Kintrea 2004: 453) – genau bei dieser Zielsetzung sind die Ansätze des Quartiersmanagements erfolgreich.
Fußnoten
Die Stadterneuerung ist sicherlich das Feld in der großstädtischen Verwaltung, in dem zuerst und am intensivsten Erfahrungen damit gesammelt werden konnten, BürgerInnen in die top-down-Entscheidungen einzubinden. ↩︎
Vor allem in Hamburg war man mit dem so genannten Gewerbehof-Konzept sehr erfolgreich, indem man Gewerbebetriebe in unmittelbarer Nähe des alten Betriebsstandortes in einem Block zusammenfasste und auf diese Weise die Wohnqualität aufwertete und für die Betriebe neue Synergieeffekte erzeugte. ↩︎
Unter Gentrification wird die sozio-ökonomische Aufwertung und die sozio- kulturelle Umwertung (neue Lebensstile) von innenstadtnahen Wohngebieten verstanden (vgl. Alisch & Dangschat 1996). ↩︎
Um diesem Defizit abzuhelfen, sind die Stadt Essen und das ISSAB der Uni Essen einen Ausbildungs- und Übernahmevertrag eingegangen, und in Hamburg wurde an einer Fachhochschule ein entsprechender Studiengang eingerichtet. ↩︎
Hier sollte man differenzieren, denn »problematisch« sind nicht die Großsiedlungen, sondern in der Regel allenfalls einzelne Objekte in den Quartieren, die strukturelle Probleme aufweisen. ↩︎
Jens S. Dangschat
Monika Alisch (Hg.), Stadtteilmanagement. Voraussetzungen und Chancen für die Soziale Stadt. Opladen: Leske + Budrich, 2. Auflage, 2001. Monika Alisch, Jens Dangschat, Die Akteure der Gentrifizierung und ihre »Karrieren«. In: J. Friedrichs, R. Kecskes (Hgg.): Gentrification. Theorien und Forschungsergebnisse. Opladen: Leske + Budrich, 1996, S. 95-129. Rowland Atkinson, Keith Kintrea, ‘Opportunities and Despair, It’s All in There’: Practitioner Experiences and Explanations of Area Effects and Life Changes. In: Sociology 3/38, 2004, S. 437-455. Hans Thor Andersen, New Urban Politics of Europe: The Area-based Approach to Regeneration Policy. In: Hans Thor Andersen & Ronald van Kempen (Hgg.) (2001), S. 233-253. Hans Thor Andersen, Ronald van Kempen (Hgg.), Governing European Cities. Social Fragmentation, Social Exclusion and Urban Governance. Aldershot et al.: Ashgate, 2001. Reimund Anhut, Wilhelm Heitmeyer, Desintegration, Konflikt und Ethnisierung. Eine Problemanalyse und theoretische Rahmenkonzeption. In: Wilhelm Heitmeyer, Reimund Anhut (Hgg.), Bedrohte Stadtgesellschaft. Soziale Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle Konfliktkonstellationen. Weinheim/München: Juventa, 2000, S. 17-75. Heidede Becker, Rolf-Peter Löhr, Soziale Stadt. Ein Programm gegen die sozialräumliche Spaltung in den Städten. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 11, 2000. Andrea Breitfuss, Jens S. Dangschat, Oliver Frey, Alexander Hamedinger, Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzungen – Herausforderungen für eine sozialverträgliche Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungspolitik, Wien: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 2004. Jens S. Dangschat, »Stadt« als Ort und als Ursache von Armut und sozialer Ausgrenzung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 31-32, 1995, S. 50-62. Jens S. Dangschat (2004a), Integration oder Ablenkungsmanöver? Zielsetzungen und Beitrag des Bund-Länder-Programms »Soziale Stadt« zur Integration sozialer Gruppen. In: S. Greiffenhagen, K. Neller (Hgg.), Praxis ohne Theorie? Wissenschaftliche Diskurse zum Bund-Länder-Programm »Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt«. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004. (In Druck) Jens S. Dangschat (2004b), Eingrenzungen und Ausgrenzungen durch »Soziale Stadt«-Programme. In: W. Hanesch (Hg.), Lokale Beschäftigung und Ökonomie. Herausforderungen für die »Soziale Stadt«. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004. (In Druck) Thomas Franke, Rolf Löhr, Überlegungen zum Quartiermanagement. Soziale Stadt. In: Info 2, 2000. Jürgen Friedrichs, Stadtsoziologie. Opladen: Leske + Budrich, 1995. Jürgen Friedrichs, Jan Vranken, European Urban Governance in Fragmented Societies. In: H.T. Andersen, R. van Kempen (Hgg.) (2001), S. 19-40. JRF (Joseph Rowntree Foundation), Tackling Social Exclusion at Local Level: Neighbourhood Management. York: JRF, 2000. Stephan Kemper, Klaus Schmals, Steuerungsinstrumente der sozialintegrativen Stadtentwicklung. Dortmund: IRPUD, 2000. Michael Krummacher, Roderich Kulbach, Viktoria Waltz, Norbert Wohlfahrt, Soziale Stadt – Sozialraumentwicklung – Quartiersmanagement. Herausforderungen für Politik, Raumplanung und soziale Arbeit. Opladen: Leske + Budrich, 2003. Michael Parkinson, Combating Social Exclusion. Lessons from Area-based Programmes in Europe. Bristol: Policy Press, 1998. Roland Roth, Dieter Rucht (Hgg.), Neue soziale Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 1987. Schader-Stiftung (Hg.), Politische Steuerung der Stadtentwicklung. Das Programm »Soziale Stadt« in der Diskussion. Darmstadt: Schader-Stiftung, 2001. Olaf Schnur, Lokales Sozialkapital für die »soziale Stadt«. Politische Geographien sozialer Quartiersentwicklung am Beispiel Berlin-Moabit. Opladen: Leske + Budrich, 2003. Uwe-Jens Walther (Hg.), Soziale Stadt - Zwischenbilanzen. Ein Programm auf dem Weg zur Sozialen Stadt? Opladen: Leske + Budrich, 2002.