Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.


Ist in Österreich von MigrantInnen die Rede, denkt man zuerst einmal an aus den klassischen „Gastarbeiterländern“ Türkei und Jugoslawien Eingewanderte. Dann fällt einem vielleicht die dauerpräsente und unmenschliche Asyldebatte ein oder man erinnert sich als Wiener daran, dass Wien einst Metropole eines Vielvölkerstaates war, Anziehungspunkt für viele Menschen aus allen Ecken der Monarchie.
Dass es nun seit einigen Jahren so etwas wie deutsche „GastarbeiterInnen“ in Österreich gibt, die nicht als ManagerInnen eines deutschen Konzerns für die Niederlassung in Österreich arbeiten, sondern als SaisonarbeiterInnen in Tourismusbetrieben, führt in letzter Zeit immer öfter zu verwunderten Berichten in den Medien. Wirft man einen genaueren Blick auf diese neueste Migrationsroute, wie das Michael Zinganel, Hans-Hermann Albers, Michael Hieslmair und Marusa Sagadin in ihrem Buch Saison Opening getan haben, merkt man schnell, dass es starke strukturelle Ähnlichkeiten zur Migration in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gibt. In beiden Fällen gibt bzw. gab es einen (vermeintlichen) Arbeitskräftemangel bzw. einen nicht funktionierenden Arbeitsmarkt und (ganz wichtig!) aktive Anwerbeversuche im Zielgebiet. Ähnlich wie in Istanbul, wo 1964 ein staatliches Anwerbebüro eingerichtet wurde, um TürkInnen zur „Gastarbeit“ in Österreich zu überreden, wurden in ostdeutschen Städten ab Mitte der 1990er Jahre Jobbörsen eingerichtet, um für die Saisonarbeit in den Tiroler Bergen zu mobilisieren. Erfolgreich waren diese Anwerbeversuche allerdings erst ab dem Winter 1999/2000, als eine private Vermittlungsfirma beauftragt und mit EU-Geldern bezahlt wurde. Der Bedarf an Arbeitskräften im Tourismus ist nicht zuletzt eine Folge des österreichischen EU-Beitritts. Davor waren z.B. viele JugoslawInnen in der Branche tätig, deren rechtliche Stellung auf dem österreichischen Arbeitsmarkt sich jedoch plötzlich insofern änderte, als es nun entscheidend wurde, ob jemand EU-BürgerIn war oder nicht.
Die AutorInnen des Buches zeigen sehr schön, wie kleine Tiroler Gemeinden im Winter zu „Saisonstädten“ anwachsen, die nicht nur tausende Gäste unterbringen, sondern auch hunderte zusätzliche Saisonkräfte beschäftigen. Das erfordert auch eine hohe Flexibilität der Infrastruktur: Der Verbrauch an Energie und Wasser steigt um ein Vielfaches, ebenso wie die Müllmenge. Die Verkehrsbelastung ist enorm, der Einzelhandel und Dienstleistungsbetriebe müssen extrem anpassungsfähig sein. Überraschend gering dagegen ist die Auslastung der Tourismusbetriebe: Selbst Topdestinationen wie Ischgl oder Sölden kamen z.B. im Winter 2003/04 nicht über 50 Prozent hinaus, im Sommer 2004 lag die Auslastung tirolweit bei gerade einmal 26,6 Prozent. Der Umstand, dass Dörfer mit wenigen EinwohnerInnen durch den Ansturm an wenigen Tagen im Jahr enorme Infrastrukturkosten haben, die noch dazu oft von der öffentlichen Hand bezahlt werden, ist kein großes Thema. Auch die hohe Arbeitslosigkeit in Tourismusbezirken scheint einfach dazuzugehören. In der Nebensaison gehen schließlich alle in die Arbeitslose, die Familienangehörigen des Fünfsternehotels ebenso wie der Abwäscher. Interessant ist auch zu lesen, dass in Gemeinden wie Sölden, deren Wertschöpfung fast ausschließlich auf dem Tourismus beruht, weniger als die Hälfte der BewohnerInnen im Kerngeschäft tätig ist. Viele wollen Ganzjahresjobs und nehmen dafür auch in Kauf zu pendeln. Somit ergibt sich z.B. für das Ötztal eine unerwartete Parallele zu den Herkunftsregionen der neuen SaisonarbeiterInnen: ein negatives Pendlersaldo. Das Buch schildert ganz konkret die Beispiele mehrerer Ostdeutscher, die in Tiroler Tourismusbetrieben tätig sind und – auch ganz klassisch für MigrantInnen – selber im Freundeskreis oder in der Familie weitere SaisonarbeiterInnen anwerben. Eindrucksvoll wird beschrieben, wie trotz enormer Arbeitsbelastung und geringem Stundenlohn fast immer ein positives Bild von der eigenen Tätigkeit entsteht. Obwohl die Arbeit als sehr anstrengend empfunden wird, entsteht oft ein Gefühl des Stolzes, es geschafft zu haben und (aufgrund der enormen Stundenanzahl) mit relativ viel Geld nach Hause zu fahren. Ein wichtiges Moment ist auch der Zusammenhalt der Saisonkräfte untereinander und der Umstand, dass der Großteil der Unternehmen Familienbetriebe sind, deren ChefInnen große Einsatzbereitschaft zeigen und in denen es eine soziale Nähe gibt. Das Buch, ein Ergebnis eines Projekts im Rahmen von Schrumpfende Städte, schafft es auf wenigen Seiten einen interessanten und informativen Beitrag zur Migrationsforschung zu bieten und erfreut durch eine gelungene Gestaltung.


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