Andre Krammer

Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.


Der vorliegende erste Band der Dortmunder Vorträge zur Stadtbaukunst – herausgegeben vom Deutschen Institut für Stadtbaukunst – eröffnet eine geplante Publikationsfolge, die eine Vortragsreihe zur Stadtbaukunst begleiten wird. Grundlage der Texte der Publikationen sind die Referate der Vortragenden. Das Wort Stadtbaukunst verweist in aller Offenheit auf seine diskursideologische Herkunft. Für Eingeweihte ist schnell eine Zuordnung gefunden. Die ProponentInnen der „Stadtbaukunst“, des „traditionellen Städtebaus“, des „New Urbanism“ (USA) bilden eine zunehmend einflussreichere Strömung innerhalb des städtebaulichen Diskurses, die sich auf die vormoderne (europäische) Stadt als Vorbild beruft. War die Moderne „aus der Geschichte ausgestiegen“, mit der Doktrin einer „tabula rasa“, so geht es den neuen TraditionalistInnen um eine Wiederanknüpfung an historische städtebauliche Tugenden („good manners“ statt „bad manners“). Hatte die Moderne den Funktionalismus in den Vordergrund gestellt und eine „kohärente Gestaltung des Stadtraums“ vernachlässigt oder ganz aufgegeben, so geht es den TraditionalistInnen um eine „nachhaltige Stadtästhetik“ und eine zusammenhängende Gestaltung von Stadträumen (Straßen und Plätze).

Schon im Vorwort der Dortmunder Vorträge wird beinahe trotzig festgehalten, dass es um nichts Geringeres gehe als um die „Kunst, schöne Städte zu gestalten“. „Schönheit“ wird zu einem Slogan, um dessen provokative Wirkung man weiß. Die Texte im vorliegenden Band (Hans Stimmann, Christoph Mäckler, Robert Adam, Dieter Hoffmann-Axthelm, Harald Heinz, Harald Bodenschatz) integrieren aber auch gleich mögliche Kritik. So wird die Frage behandelt, ob denn eine „allgemeine Ästhetik“ der Stadt im Gegensatz zu einer Privatästhetik (wie sie sich beispielsweise in den selbstbezogenen Objekten der Stararchitekten manifestieren) in einer demokratisch verfassten Gesellschaft möglich sei. Das wird mit dem Hinweis auf historische Beispiele wie Washington mit Ja beantwortet. Der Ästhetikbegriff wird – kaum aufgebracht – hinterfragt und darauf hingewiesen, dass dieser nur in Zusammenhang mit einem ganzheitlichen Blick auf die Stadt zu sehen sei. „Reine Stadtbaukunst ist eine Illusion“. Damit soll die Kritik gemildert werden, die die Bewegung von ihrer Geburtsstunde an begleitete – es gehe um ein „Bild der Stadt“, um falsche Idylle, hinter falschen Fassaden. Hoffmann-Axthelm fordert weiters, dass die Stadtbaukunst auf dem Schock der Moderne aufzubauen und sich deren inhärenten Kräften zu stellen habe. Diese wohl berechtigte Ermahnung weist denn auch auf einen seltsamen Widerspruch hin, unter dem der „traditionalistische Blick“ zu leiden scheint. Angesichts der Kritik an der ahistorischen Haltung der Moderne, aufgrund derer historisch gewachsene Stadtgrundrisse oft ignoriert oder gar ausgelöscht wurden, mutet es seltsam an, wenn die Moderne als Feindbild aufgebaut wird, als geschichtlicher Fehler, den man am liebsten ungeschehen machen würde. Darin begründet sich nicht zuletzt eine ahistorische Sicht auf unsere unmittelbare städtebauliche Vergangenheit und die Weigerung, auch die Moderne vor ihrem geschichtlichen Hintergrund zu kontextualisieren und ihr ihren historischem Platz zuzuweisen.

Berechtigt ist die Kritik an der gegenwär­tig­en Planungskultur (Hoffmann-A­xthel­­m­). Denn in festgefahrenen Planungsinstrumentarien und Normierungen bildet sich das Erbe der Moderne weitgehend ungebrochen und unhinterfragt ab (siehe auch den Beitrag von Christoph Luchsinger in dieser Ausgabe). Ob die künftigen Dortmunder Vorträge zur Stadtbaukunst einen lebendigen Diskurs entfalten werden können, wird wohl nicht zuletzt davon abhängen, ob man „unter sich bleiben“ oder auch kritische Stimmen in das Programm integrieren wird.


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