Iris Meder


Vielfach bearbeitet in Essay- und Bildbänden zu Infrastruktur, Architektur und Kulturgeschichte, ist das Semmeringgebiet dennoch ein vergessenes, aus der Welt gefallenes Habitat langsamer Zugfahrten, leerstehender Hotelbauten und verstaubter Ferienimmobilien geblieben. Während die Semmering-Aufenthalte der Wiener Intellektuellen als zumindest teilweise erforscht gelten können, lässt sich dies überraschenderweise von der Infrastruktur der Semmeringbahn nur bedingt sagen. Das zeigt das vor kurzem erschienene Buch von Roland Tusch über die Wächterhäuser der Semmeringbahn. Mit ebensoviel Liebe zur Materie bis ins Detail wie wissenschaftlicher Sorgfalt hat Roland Tusch, ausgebildeter Architekt und Lehrender am Institut für Landschaftsarchitektur der BOKU, mit seinem Team die Häuser erforscht, katalogisiert und analysiert. Dabei tut sich ein Panorama einer unter der Ägide der Südbahn entstandenen »Architektur der Einfachheit« (Tusch) auf, in Form einer dichten Reihung an der Bahnstrecke stehender Häuser mit einheitlichem Grundriss- und Fassadenschema, aber modifiziert, wie die Untersuchung anschaulich macht, nach Fassadenoberfläche, Detailaufrissen, vor allem aber topografischer Situierung, abhängig von den Gegebenheiten des Geländes und der Trassenführung der Bahn, die die Standorte und Orientierungen der schlichten Satteldachhäuser bestimmte. Die Herleitung der eigentümlichen Bruchsteinfassaden mancher Häuser fehlt ebenso wenig wie ausführliche Zitate aus Primärquellen zu Planung, Bau und Nutzung der Häuser.
Was zunächst als Randgruppensujet für Eisenbahnfreaks erscheinen mag – in der Tat ist das Buch als Band 8 der Publikationen des Südbahn Museums erschienen –, entfaltet sich, lässt man sich darauf ein, als kammermusikalische Studie zu einem Thema, das mangels Blockbuster-Qualität eine breite Öffentlichkeit nicht finden wird. Umso wichtiger sind aber, wie hier geschehen, ernsthafte wissenschaftliche Dokumentationen und Auseinandersetzungen mit derartigen Beispielen von Landschaftsplanung – ein eigenes Kapitel widmet sich dem Landschaftsbezug der Häuser – und Architektur. Gerade sie sind am stärksten von Verfall, entstellender Umnutzung und schleichender bis plötzlicher Zerstörung bedroht.
Einer allgemeinen Analyse lässt das Buch einen Katalog der Häuser mit Planzeichnungen folgen, im Anschluss zeigt ein Fotoessay von Gisela Erlacher die lakonische Ästhetik der Häuser an den Schienen und in der Landschaft. Dennoch bleibt der Band keineswegs in kontemplativer Bahn-Nostalgie verhaftet: Auch eine Untersuchung zum Berufsbild und zum alltäglichen Leben der Bahnwärter und Bahnwärterinnen – auch diese gab es – ist Teil des Bandes. Nicht zuletzt ist das Buch auch als Objekt äußerst angenehm – in seiner inhaltlich wie optisch und redaktionell sorgfältigen Behandlung, mit grafisch reduziertem Erscheinungsbild, ohne dabei minimalistisch sein zu wollen, und mit gutem Lektorat gibt es sich ruhig und sachlich. Ein Mehr an Text hätte man sich lediglich für das Kapitel »Die Zukunft der Wächterhäuser« wünschen können. Dort konstatiert Roland Tusch: Für eine zukünftige Nutzung der heute teils bewohnten, teils sanierungsbedürftigen, teils leerstehenden und verfallenden Häuser »müssen neue Konzepte entwickelt werden«. Hier wäre es interessant, wie diese aussehen könnten.

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Band 8 der Reihe Publikationen des SÜDBAHN Museums


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