Iris Meder


Die MAK-Ausstellung Wege der Moderne ist das Resultat langjähriger Forschungen der beiden Kuratoren Christian Witt-Dörring und Matthias Boeckl, die als ausgewiesene Experten für die Geschichte der Architektur und Gestaltung in Österreich seit dem 19. Jahrhundert gelten können. Entsprechend fundiert ist das Ergebnis – aber auch entsprechend umfangreich. Je größer das Fachwissen und je intensiver und leidenschaftlicher die wissenschaftliche Forschung, desto schwieriger wird es ja, Ergebnisse so zu simplifizieren, dass sie auch für Personen ohne fachliche Vorbildung nachvollziehbar bleiben. Das ist hier gelungen – notwendigerweise um den Preis vieler Textpassagen, auf jeden Fall aber um den Preis einer enorm dichten, enorm umfangreichen Zusammenstellung von mehr als 600 Exponaten, die schwerlich bei einem Besuch zu erfassen sind.
Dennoch vermag die Ausstellung offenbar auch unvoreingenommen Hineingeratene zu begeistern, wie sich zeigte, als sich nach einem Zeitzeugen-Gespräch mit Friedrich Kurrent über die Wiederentdeckung der Wiener Moderne in den 1950er und 1960er Jahren ein deutscher Tourist aus dem Publikum meldete mit dem Wunsch, mehr über die beiden Architekten Adolf Loos und Josef Hoffmann zu erfahren, die er vor seinem Ausstellungsbesuch nicht gekannt habe.
Um Josef Hoffmann geht es also, der, wie böse Zungen meinten, dekorative Entwürfe produzierte, »wie eine Kröte Eier legt«, und um Adolf Loos, der noch im Delirium im Sanatorium Kalksburg die Krankenschwester eindringlich vor Hoffmann warnte. So komisch, wie die damaligen Grabenkämpfe heute anmuten, waren sie schon damals, nichtsdestotrotz aber absolut ernstzunehmen: Gerade für den Moralisten Loos waren seine kämpferisch verfochtenen Überzeugungen Ausdruck prinzipieller Grundhaltungen, moralischer, ethischer, charakterlicher Art.
Die Ursprünge der beiden Ausrichtungen macht der hauptsächlich von Christian Witt-Dörring betreute chronologische erste Teil der Ausstellung in der Mitte des 18. Jahrhunderts aus, als es erstmals eine Auswahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Stilen zum Beispiel bei Möbelentwürfen gab, der subjektive Terminus Geschmack (der saisonal mit der Mode wechseln konnte) einen einheitlichen Stil ersetzte und sich dank einer wachsenden Mittelschicht der englische Einfluss im Kunstgewerbe gegenüber dem als Luxusgeschmack codierten französischen durchzusetzen begann.
Es war auch die Zeit – so zeigt die Ausstellung –, die eine zunehmende Trennung von Entwurf und Ausführung mit sich brachte, nicht zuletzt durch die technischen Fortschritte des Industriezeitalters, die die Herstellung von Pressglas, in Model gegossenes Bronze-Imitat, Stukkaturen aus Pappmaché und anderen Ersatzmaterialien in großem Maße möglich machten – zuerst in hoher Qualität, dann immer preisgünstiger und schließlich nur noch billig.
Damit waren den Diskussionen über den moralischen Überbau ästhetischer Fragen, der letzten Endes die gesamte Moderne bestimmte, Tür und Tor geöffnet. Es folgten, orientiert an der englischen Arts-and-Crafts-Bewegung, die Kunstgewerbereform (hier u. a. am Beispiel von Theophil Hansens Umbau und Ausstattung von Schloss Hernstein gezeigt), die die Gedanken des Werkbundes in vieler Hinsicht vorwegnahm. Dann ging es Schlag auf Schlag: Otto Wagner (mit Möbeln u. a. aus der jüngst in völliger Ignoranz der Entscheidungsträger verscherbelten Postsparkasse und einer 1:1-Rekonstruktion der Fassade des Depeschenbüros Die Zeit), Secession, Wiener Werkstätte, Werkbund, Bauhaus, Haus und Garten, CIAM und die Charta von Athen, bevor die Moderne selbst grundsätzlich in Frage gestellt wurde.
Der von Matthias Boeckl betreute zweite Teil der Ausstellung bringt zahlreiche erhellende Gegenüberstellungen von Loos- und Hoffmann-Interieurs, darunter eine Rekonstruktion des mit Angorafellen und weißem Batist ausgekleideten Schlafzimmers bei Loosens. Hier dionysische Sinnlichkeit, dort ein »Quadratl-Hoffmann«-Mikrokosmos – »Das Hakenkreuz lässt sich ja gut ins Quadrat einpassen«, erinnert sich Friedrich Kurrent an die Hoffmann-Tapeten auf heute verschollenen Fotografien des kriegszerstörten Hauses der Wehrmacht, die ihm einst Hoffmanns Witwe zeigte.
Die Zwangsverheiratung von Loos und Hoffmann, die Kurrent und Johannes Spalt in den 1960er Jahren mittels einer gemeinsamen Betrachtung und Ausstellung zu beiden Architekten unternahmen, ist, soviel ist klar, auch aus hundert Jahren Distanz nicht ohne Brüche möglich. Zudem bildete sich ab 1910 jenseits der beiden Lager mit der Wiener Schule um Oskar Strnad und Josef Frank eine zusätzliche neue Richtung der Wiener Moderne heraus, die moralisch auf der Loos-Seite stand, ihren Anti-Dogmatismus aber ungleich unverkrampfter, spielerischer und selbstironischer umsetzte. Auch diese fast zur Gänze mit dem Anschluss von 1938 ins Exil getriebene Moderne ist in der Ausstellung ausführlich repräsentiert. Eine weitere Gegenüberstellung zweier rekonstruierter Einrichtungen zeigt Hoffmanns auf der Expo Paris 1937 gezeigtes luxuriöses Boudoir d‘une grande vedette neben Margarete Schütte-Lihotzkys Wohnung der berufstätigen alleinstehenden Frau – mehr muss über die Parallelwelten der Ersten Republik nicht gesagt werden.
Rücken an Rücken auf der anderen Seite der Schütte-Lihotzky-Wohnung wird eine Fortführung der Ausstellungsthesen bis in die Gegenwart versucht, die nur teilweise überzeugt: Die Wiederbeschäftigung mit Loos bei Hans Hollein in allen Ehren, haben Holleins postmoderne Möbel mit Loos doch schwerlich etwas zu tun – eher schon Hermann Czechs Interieurs, deren Ansatz sich aber stärker an Josef Franks Prinzipien orientiert. Sind der Zwangsehe von Hoffmann und Loos also Kinder entsprungen? Diese Frage darf jede Besucherin, jeder Besucher selbst für sich beantworten.


Ausstellung
Wege der Moderne –
Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen

Kuratoren: Matthias Boeckl, Christian Witt-Dörring
MAK-Ausstellungshalle
7. Dezember 2014 – 19. April 2015


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