Elke Rauth

Elke Rauth ist Obfrau von dérive - Verein für Stadtforschung und Leiterin von urbanize! Int. Festival für urbane Erkundungen.


The Rise of the Creative Class, Richard Floridas einflussreiches Werk, bildet rund zehn Jahre nach seinem erscheinen den Ausgangspunkt für eine praxisnahe Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Kreativität, Stadtentwicklung, Immobilienmarkt und individuellen Lebensbedingungen. Vieles ist darüber bereits gesagt und geschrieben worden, Gentrification hat als Fachbegriff Karriere gemacht und längst Eingang in den allgemeinen Wortschatz gefunden. Doch der Forschungsgegenstand ist vielschichtig, die AkteurInnen sind nicht leicht in gut und böse zu sortieren, die Zusammenhänge global und Lösungsstrategien nur zaghaft in Sicht. eines scheint jedoch klar: Die Basis für notwendige Kurskorrekturen in der neoliberalen Stadt bildet zivilgesellschaftliches Engagement. Nicht zuletzt deshalb wählt der Stadtforscher und INURA-Aktivist Tino Buchholz für seine Forschungsarbeit rund um Floridas »dominantes Stadtentwicklungsmantra« das Medium Film als breitenwirksames Transportmittel. Herausgekommen ist die Dokumentation Creativity and the Capitalist City, eine Bestandsaufnahme der Kreativstadt-Politik und ihrer Auswirkungen am Schauplatz Amsterdam.
»Wer kann schon gegen Kreativität sein?« fragt Buchholz und macht sich in der europäischen Kreativstadt-Metropole mit dem liberalen Image auf die Suche nach den AkteurInnen im »struggle for affordable space«, blickt auf Squatting, Anti-Squatting, Zwischennutzung und Brutplätze, trifft KünstlerInnen, AktivistInnen, ForscherInnen, UnternehmerInnen und PolitikerInnen. Amsterdam, das sich als globale »Top-Stadt« im internationalen Wettbewerb positioniert, bildet einen Prototyp der Kreativstadt, mit hohem Bewusstsein für die wichtige Rolle von KünstlerInnen und Kreativen für das erreichen des ambitionierten Zieles. Gleichzeitig ächzt die Stadt unter Raumnot und explodierenden Immobilienpreisen, staatliche Wohnbauprogramme sind eingestellt, Sozialwohnungen werden im Verhältnis 2:1 abgebaut, günstiger Wohn- und Arbeitsraum als Voraussetzung für künstlerische Entfaltung und Experiment ist kaum mehr zu finden. Angesichts des drohenden Verlusts des kreativen Fundaments hat die Stadtregierung daher das Programm »Broedplaatsen« aufgelegt, ein institutionalisiertes, strategisches Raumprogramm »für das Basissegment der Kreativindustrie« wie es in der dazugehörigen Imagebroschüre heißt. »Brutplätze« wie die ehemalige Schiffswerft NDSM Amsterdam, creative Industries cluster wie die Beehive Foundation und viele mehr sind dadurch bisher entstanden. Trotzdem reicht der Platz längst nicht für alle und der Balanceakt zwischen subkultureller Entfaltung und stadtpolitischer Umarmung macht nicht jeden glücklich.
Dazu liefert der kaum noch vorhandene leistbare Wohnraum in einem durch die internationale Immobilienentwicklung angeheizten Markt auch in Amsterdam enorme soziale Sprengkraft. Squatting, das in den Niederlanden mit langer Tradition verbundene legale Besetzen von Immobilien Leer stand, wurde zudem im Herbst 2010 per Gesetz verboten und mit einer Höchststrafe von einem Jahr Gefängnis belegt. Amsterdams große Squatting community zeigt sich davon bisher relativ unbeeindruckt: Das Gesetz bringe die Thematik von Hausbesetzungen nur an die Front einer ohnedies dringend zu führenden Debatte über allgemeine soziale und gesellschaftliche entwicklungen, meint einer der AktivistInnen von KSU east Amsterdam, einer Beratungsstelle für Hausbesetzungen, im Interview und beschreibt Squatting als gesellschaftspolitische PR Aktion mit Wohn und Arbeitsraum als Nebeneffekt.
Für alle, die sich reguläres Wohnen nicht mehr leisten und trotzdem nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen wollen, bietet das Unternehmen Camelot Europe die passende Lösung: Wohnen als Job. Das Modell ist ebenso einfach wie bestechend: Krisen bedingter Leerstand verursacht Kosten, zahlreiche Gebäude erreichen das ende ihres Lebenszyklus und müssen in absehbarer Zeit transformiert werden. Bis es soweit ist, werden die Flächen zu günstigen Preisen an ebenso flexible wie verlässliche Menschen mit 1A Leumund vergeben, die statt eines Mietvertrages einen Hausmeistervertrag mit Zero Sicherheit und weitreichenden ein schnitten in die Privatsphäre unterschreiben. Dazu zählt ein völlig offener Nutzungszeitraum, eine Kündigungsfrist von wenigen Wochen oder die Meldepflicht, sollte ein Gast einmal über Nacht bleiben wollen. Aufgeräumt muss die Wohnfläche natürlich auch immer sein, schließlich kann jederzeit kontrolliert werden. Die »Hauswächter« ersparen den BesitzerInnen der Immobilien somit die Kosten eines Wachdienstes, schützen vor Vandalismus und Verfall und tragen ganz nebenbei zur Grundfinanzierung des Leerstandes bei. 50.000 Menschen wohnen in den Niederlanden bereits nach diesem Prinzip, Zweigstellen in Deutschland, Frankreich, Belgien, Großbritannien und Irland sind schon eröffnet.
»Elastische Wohlfühlpolitik« nennt der Geograph Jamie Peck im Film Floridas Stadtentwicklungsphilosophie, perfekt adaptierbar für orthodoxe wirtschaftliche Ideen und weltweit von Stadtregierungen kompatibel anwendbar. Tino Buchholz’ Film fragt nach dem, was bleibt, wenn der Creative Class Hype vorüber ist und lädt die verschiedenen Player im vielschichtigen Gewebe der Kreativstadt vor die Kamera. Auf angenehm undogmatische Weise stellt er für und wider in den Raum und lässt die Fakten sprechen. Creativity and the Capitalist City verweist auch so eindringlich auf die Notwendigkeit, sich in der Stadtentwicklung (auch) mit den sozialen Folgen des Kreativstadt Hypes auseinander zu setzen und die Bekämpfung von Armut, Ungleichheit und Wohnungsnot prioritär zu behandeln. Gleichzeitig wird klar, dass ohne nachdrückliche Forderungen der Stadtgesellschaft an die Politik keine Änderung in Sicht ist. Nicht umsonst empfiehlt auch Jamie Peck als dringend anstehende Zukunfts Maßnahme: »Reclaim the city for it‘s citizens.«


Creativity and the Capitalist City The Struggle for Affordable Space in Amsterdam
Regie: Tino Buchholz
NL, 2011, 55 min
engl. OF m. dt. Untertiteln erhältlich als DVD um 10 Euro
unter www.creativecapitalistcity.org


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