Susanne Karr


1. Sich im Raum treffen zu einer Stadtführung der anderen Art. 20 WienerInnen – ob gebürtig, temporär oder wahlweise – stellen ihre Wege durch die Stadt vor. Alltagswege oder Lieblingswege, deren besondere Merkmale, Wahrzeichen, Schandflecke: All diese Elemente haben in ein ungewöhnliches Wien-Portrait Eingang gefunden, das aus der Sicht derjenigen entwickelt wurde, die die Stadt benutzen, bewohnen und bearbeiten. Eine Art Psychogeografie, in der die jeweils eigene Version von Stadt vorgestellt wird, in der biografische Anker entdeckt und offenbart werden. In der jede Veränderung bemerkt und interpretiert wird, etwa das Verschwinden oder Auftauchen von Geschäften, neue Hauswandfarben und vielem mehr. Elke Krasny begleitete diese 20 Personen auf ihren Routen, hörte die Geschichten, betrachtete die äußeren Fixpunkte, spürte dem Erzählten nach und sammelte Hinweise und Erläuterungen zur speziellen Bedeutung eben jener Wege.

2. Historische Recherche. In einem zweiten Durchgang ging Elke Krasny einer Vielzahl von Fragen nach: Wer war dort, an den vorgestellten Orten, früher, was hat sich abgespielt? Sie suchte nach den historischen Pendants der heutigen Akteurinnen, denjenigen Frauen, die, auf einer nach hinten verschobenen Zeitachse, diese Wege ebenfalls gekreuzt haben. Auf diese Weise fand sie Unbekannte und Bekannte: Adler, Arnstein, Blau, Canetti, Demel, Flöge, Schalek, Neuwirth, um nur ein paar der Letzteren zu nennen, manche Namen im Kollektivgedächtnis eher mit männlichen Vornamen bestückt und erinnert.

Wie aber findet man Personen, wenn sie nicht – wie oft bei männlichen Protagonisten – durch Denkmalplaketten oder Straßennamen zumindest namentlich verfügbar sind? Ein paar beeindruckende Fakten: Für das Projekt wurden 700 Frauen biographien recherchiert, doch zuerst stellte sich natürlich die Frage nach dem Wie. Wo ist Frauengeschichte archiviert?

3. Die Methode. Lexika studieren, beispielsweise das Lehmann’sche Adressverzeichnis. Bezirksmuseen besuchen und mit den zuständigen Personen sprechen. Sich auf Recherchestreifzügen mit unterschiedlichen Quellenlagen und unterschiedlicher Kooperationsbereitschaft auseinandersetzen. Für die Online-Recherche gibt es die Ariadne der Österreichischen Nationalbibliothek (<www.onb.ac.at/ariadne>), eine frauenspezifische dokumentarische Datenbank und ein umfangreiches Lexikon österreichischer Frauen; es gibt die biografiA (<www.biografiA.at>) der Dokumentationsstelle Frauenforschung am Institut für Wissenschaft und Kunst oder das Musieum (<www.musieum.org>).

Unterstützung methodischer und finanzieller Art erhielt Krasny vom Frauenbüro der Stadt Wien. Ambitioniert und erfolgreich durchsuchten kundige Archivarinnen die unergründlichen Tiefen der Wienbibliothek, deren Sammlungsbereiche Druckschriften, Vereinsblätter, Handschriften, Vor- und Nachlässe, Tagblatt-Archive, Plakate und Flugschriften sowie eine umfangreiche Musiksammlung beinhalten. Das Ergebnis ist reichhaltig und zeigt, wie viele Komponistinnen und Musikerinnen es in Wien etwa gab und gibt: Prominente wie Maria Theresia Paradis, die 1808 eine Musikschule für Mädchen gründete, nicht ganz so bekannte wie Henriette Fahrbach, Komponistin und Kapellmeisterin einer eigenen Damenkapelle, oder Alma-Maria Schindler-Mahler, die sich bei ihrer Hochzeit mit Gustav das Komponieren verbieten lassen sollte ...

4. Die Ausstellung funktioniert wie eine groß angelegte Skizze mit assoziativen Memos. Zu den aufgezeichneten Routen gibt es kleine Schildchen, Memos, die wie Post-its über Farb-Codes funktionieren. Sie verknüpfen die im Heute die Wege beschreitenden AkteurInnen mit ihren historischen Gegenstücken. Die Portraitdrucke verschiedener Frauen, etwa der Geigerin Alma Rosé, die mit ihren Wiener Walzermädeln durch Europa tourte und später von den Nazis verfolgt und ermordet wurde, verleihen den präsentierten Frauen ephemere Auftritte im Jetzt. In den Vitrinen gibt es intellektuelle, wissenschaftliche Texte, Briefe, die sich mit Arbeit befassen und auch manches Bonmot. Vieles in Handschriften, manches ordentlich und leicht entzifferbar, manches verschnörkelt. Auch eine Partitur von Olga Neuwirth mit Skizzen gehört zu den Exponaten.

An der hinteren Wand entwirft der mit Straßennamen von Frauen überarbeitete große Stadtplan von Wien eine andere Topografie. Denn momentan gibt es auch auf dieser Repräsentationsschiene eine schiere Übermacht männlicher Geschichte: Straßen, Plätze und Denkmalplaketten an Häusern erinnern an sie, wohingegen weibliche Spuren ohne umfassende Recherche kaum verfügbar sind. Die Vorschläge für Straßenumbenennungen führt die Tatsache männlicher Dominanz in ihrer strengen Eindimensionalität vor. Auf die andere Hälfte, die Beiträge der Frauen, soll und kann aber weder verzichtet noch vergessen werden!

Wie viel Substanz an kreativen und wissenschaftlichen Leistungen von Frauen vorhanden war und ist, lässt sich in dieser Ausstellung und auch in der Publikation Stadt und Frauen eindrücklich nachvollziehen. Zahlreiche Literaturhinweise und Internetadressen laden ein, sich selbst weiter in die Thematik zu vertiefen. Es ist Ansporn und Beruhigung gleichzeitig, Vorläuferinnen zu haben, und es ist wichtig, Role Models für jüngere Frauen zu kennen: Hier werden viele gezeigt.

--
Ausstellung
Stadt und Frauen Eine andere Topographie von Wien
24. Oktober 2008 bis 26. Juni 2009
Wienbibliothek im Rathaus, 1082 Wien
Eingang Lichtenfelsgasse, Stiege 4, 1. St.


Heft kaufen