30 Jahre unkontrollierter Bewegung in Plakaten
Besprechung von »vorwärts bis zum nieder mit. 30 Jahre unkontrollierter Bewegungen« herausgegeben von HKS 13HKS 13 (Hg.)
vorwärts bis zum nieder mit 30 Jahre unkontrollierter Bewegungen
Berlin 2001 (Assoziation A)
288 S., EUR 26,45
Als erweiterte Neuauflage des Bandes hoch die kampf dem ist nun vorwärts bis zum nieder mit erschienen. Nicht nur der untersuchte Zeitraum ist von 20 auf 30 Jahre angewachsen, auch die Thematik ist breiter geworden. Waren es im ersten Teil noch vorrangig die Plakate der autonomen Bewegung, die dokumentiert wurden, haben sich die Herausgeber jetzt auf das Spektrum der »unkontrollierten Bewegungen« konzentriert.
Politische Plakate sind unverzichtbarer Teil politischer Bewegungen und damit ebenso historische Dokumente wie Zeitschriften oder Flugblätter. Keine Demonstration findet statt, ohne dass in den Tagen und Nächten davor Leute durch die Stadt schweifen und wild plakatieren. Hätte sich irgendjemand in Wien in den letzten 15 Jahren die Mühe gemacht, regelmäßig Fotos von den Plakatwänden in der U-Bahnstation Pilgram- oder Kettenbrückengasse zu machen, ergäbe sich alleine dadurch vermutlich ein ganz guter Überblick über die linke und linksradikale Szene in Wien. Der vorliegende Band hat als wichtigen Zusatz eine CD-Rom, die 8300 Plakate enthält, die es mittels Stichwort- und Volltextsuche erlaubt, gezielt Plakate ausfindig zu machen bzw. Plakate nach Themen zu suchen. Nicht nur diese Möglichkeit macht das Buch dann zu mehr als einem schön gemachten Schmöker für sentimentale Gemüter bzw. zu einem Wickie, Slime und Paiper für Linksradikale – wie es nach dem in der Hausbesetzerszene spielenden Film »Was tun wenn's brennt« ja nicht völlig undenkbar scheint. Vorwärts bis zum nieder mit enthält nicht nur durchgehend farbige Abbildungen von Plakaten, sondern auch einen Text zu jedem Themenbereich. Besonders wichtig ist dabei der Beitrag »... dass auschwitz nicht noch einmal sei« von Elfriede Müller – eine kritische Auseinandersetzung mit antisemitischen Plakaten. Diese tauchten lange Zeit gar nicht so selten auf und existieren – wie nicht nur die Illustrationen des brasilianischen Zeichners Latuff zeigen (siehe dazu die Diskussionen auf den Websites von Indymedia Schweiz, Österreich und Deutschland) – leider nach wie vor innerhalb der Linken. Im Vorwort räumen die Herausgeber ein, dass der Beitrag über Antisemitismus Ursache für einige Streitgespräche mit der Autorin war, was vermuten lässt, dass auch ihnen diese Selbstkritik nicht ganz leicht gefallen sein dürfte.
Der überwiegende Teil der Plakate stammt aus Deutschland, darüber hinaus sind eigene Kapitel den Plakaten der Anti-Apartheid-Bewegung und den Solidaritätsbewegungen mit nationalen Befreiungsbewegungen gewidmet. Ein Abschluss-Kapitel nennt sich »Revue International« und zeigt eine Reihe politischer Plakate aus aller Welt. Dazwischen verstecken sich auch einige Plakate aus Wien, die zur Opernballdemo (»Bagger mitbringen«), zur Verteidigung des Rotstilzchens oder zur Demo gegen den EU-Gipfel 1998 in Wien aufrufen.
HKS 13 (Hg.)
vorwärts bis zum nieder mit 30 Jahre unkontrollierter Bewegungen
Berlin 2001 (Assoziation A)
288 S., EUR 26,45
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.