Am Ende der Anfang?
Besprechung von der Ausstellung »Am Ende: Architektur. Zeitreisen 1959-2019« Kuratiert von Karoline Mayer, Sonja Pisarik und Katharina RitterDie Schau Am Ende: Architektur. Zeitreisen 1959–2019 und die Begleitpublikation Steiner ́s Diary – Über Architektur seit 1959 adressieren gleichzeitig das kollektive Gedächtnis aller Architektur- und Stadtinteressierten, wie sie auch eine subjektive Zeitreise von Dietmar Steiner darstellen. Steiner, der seit der Gründung des Wiener Architekturzentrums im Jahr 1993 dessen Direktor war, verabschiedet sich mit Ende des Jahres in den Ruhestand. Das scheint insofern konsequent, waren doch Institution und Person in der Ära Steiner schon immer untrennbar miteinander verbunden. So stehen auch in der aktuellen Schau und im nun veröffentlichten »Tagebuch« die biografische Notiz, der Brief, die Erinnerung an eine persönliche Begegnung, gleichberechtigt neben der Nachlese unterschiedli- cher Positionierungen in Praxis und Theorie. Dabei ist das Namedropping unausweichlich, handelt es sich doch auch um die Vorstellung eines erweiterten Freundeskreises. Streift man durch Schau und Katalog wird rasch deutlich wie eng die vielen Ismen der letzten fünfzig Jahre mit charismatischen Persönlichkeiten verbunden waren, die eine Idee, einen Stil, eine Haltung nicht nur behaupteten, sondern regelrecht verkörperten.
Chronologisch setzt die Schau mit dem letzten Kongress der CIAM – den Congrès Internationaux d’Architecture Moderne – 1959 in Otterloo ein, auf dem eine jüngere PlanerInnengeneration viele Dogmen der alten Modernen endgültig über Bord warf und so das einläutete, was wir heute vereinfacht als Postmoderne bezeichnen. Der Funktionalismus der Moderne, der zum letzten Mal eine Einheit von Politik und Raumproduktion proklamiert hatte, war da längst durch interne Kritik, als auch durch äußere Erschütterungen in die Krise geraten. Nach den CIAM fehlte der universale beziehungsweise der universalistische Bezugsrahmen und der Diskurs zersplitterte in den 1960er Jahren und den darauffolgenden Jahrzehnten in unzählige parallele Entwicklungen. Selbst Positionen, die sich auf einen Ismus einigen konnten, trennte oft mehr als sie auf den ersten Blick einigte. Driftet man in der Schau von den Collagen, Utopien, Manifesten der 1960er Jahre zu italienischen, österreichischen, Schweizer und angloamerikanischen Positionen der sogenannten Postmoderne bis man – schon etwas erschöpft – zur Signatur-Architektur der Gegenwart gelangt, so wirkt die Buntheit erst einmal gefährlich versöhnlich. So sehr sind wir schon an die Versuchsanordnungen, das Labor, den stilistischen Pluralismus und an die Stadt als Patchwork gewöhnt. Die Glasscheibe ist zersplittert und schon die Rekonstruktion kleinerer Fragmente erscheint schwierig. Dennoch kann man der Versuchung unterliegen – vielleicht etwas paranoid – nach subkutanen Strömungen zu suchen, die un- ter den charismatischen Oberflächen verborgen liegen mögen und die Ismen der letzten Jahrzehnte zu transzendieren vermögen. Man will sich ja nicht mit dem Geschichtsunterricht begnügen und hofft – auch wenn sich eine rückblickende Evaluierung aus der Perspektive der Gegenwart aus Gründen der Redlichkeit verbieten mag – etwas aus der Vergangenheit ableiten zu können. Wer genau hinsieht, kann vielleicht eine Pendelbewegung wahrnehmen. Und die geht hin und her zwischen einer Forderung nach einer weitgehenden Autonomie der Architektur (und des Städtebaus) und der Proklamation des Gegenteils, einer weitgehenden Ausdehnung der Disziplin, bis hin zur Selbstauflösung: »Alles ist Architektur!« hieß es Ende der 1960er. Das kann rückblickend auch als eine Flucht nach vorn interpretiert werden. Die Welt und somit die Stadt waren da bereits ein unwirtlicher Ort, der Wohlfahrtsstaat, die Technikgläubigkeit, der Fortschrittsglaube insgesamt brüchig geworden. Da man nicht mehr so recht an eine tiefgehende Transformation der Wirklichkeit glaubte, träumten die einen von Parallelwelten, Blasen und Sciencefiction, die anderen von der Glitzerwelt des Pop und des Konsums. Ein anderer entdeckte die Stadt als Theater der Erinnerung wieder, dem seltsamerweise – und das fällt vielleicht gerade Nachgeborenen auf – die Gegenwart abhanden gekommen scheint, die ja gerade die Vergangenheit permanent hervorbringen muss.
Es lohnt sich in der Schau, wie auch bei der Lektüre des Katalogs, da und dort vom vorgegebenen Pfad abzuweichen und den Film rückwärts laufen zu lassen. Dann wachsen dem arrivierten Avantgardisten der Signatur-Architektur, der einen Anzug von Prada oder vielleicht auch nur einen von Knize trägt, wieder lange Haare und man kann ihm zuschauen, wie er Manifeste an die Wand wirft, die noch gegen das Establishment gerichtet sind, dem er später selbst angehören soll. Auch kann es seltsam anmuten, wie exotisch gerade Strömungen wirken, die nur kurz zurückliegen. In diesem Sinn ist die Schau ehrlich und ungeschönt. Die subjektive Erinnerung Steiners ist nicht so selektiv und glättend wie der Zeitgeist. Und gerade das Unreine ist ja auch immer das Sympathische. Es hat ja auch etwas mit dem Alltäglichen zu tun und der Welt außerhalb der Akademien und Hochschulen. Der Aufruf eines ebenso aberwitzigen, wie intelligenten amerikanischen Ehepaars Anfang der 1970er, der sich nicht zuletzt gegen verstaubte Institutionen der Architektur- und Städtebaulehre richtete und forderte, doch endlich die Augen zu öffnen und in die Welt hinaus zu gehen, ist ja noch immer nicht verhallt. Zwanzig Jahre später war es ein Büro, das sich generell für metropolitane Angelegenheiten zuständig erklärte, das sich von dem Aufruf besonders angesprochen fühlte und das »Lernen von...« zum (Anti)-Dogma erhob. Aber: Wer lernen will, darf nicht im selben Augenblick kritisch sein. Doch von einer radikalen Kritik war man Anfang der 1990er Jahre ohnehin schon meilenweit entfernt. Die kritische Theorie und die negative Dialektik waren längst zu Grabe getragen. 1989 hörte für viele die Uhr zu ticken auf. Das Ende der Geschichte wurde – vorschnell wie wir heute wissen – ausgerufen. Der postmoderne Zeitgeist in der Planungswelt hatte sich in einen spät-modernen Flattergeist verwandelt, der sich aus einem Cocktail von Affirmation und (oft nur ersehnter) Subversion nährte. An einem bestimmten Punkt gerinnt dann auch die Ambivalenz, die Eigenschaftslosigkeit zur Signatur. Die Sehnsucht nach langen Phasen der Nabelschau wieder part of the game zu sein, kann eben auch zu Risiken und Nebenwirkungen führen. Wer mutig auf der Welle surft, droht an die Felsen zu knallen. Das mag dann mitunter auch mehr mit Goethes Faust zu tun haben als mit der Wirklichkeit. Aber ist das nicht allemal besser, als am Strand in der Sonne zu liegen und dort von der Schönheit der Jugend (der Stadt) zu schwärmen?
Doch es gibt subkutane Strömungen, die auch in der Schau vertreten sind, die da und dort den Boden wieder zu verfestigen scheinen. Es sind wohl am ehesten jene, die vom alten Funktionalismus die soziale Frage geerbt haben, ohne an universelle Antworten zu glauben. Von einer orchestrierten Festlegung des Gebrauchs ist man bei der Wunschproduktion und der Ermöglichung angelangt. Die Fragen, die da gestellt werden, sind oft sehr einfach. Etwa: Wie kann man kostengünstig für die und mit der verarmte(n) Landbevölkerung im ländlichen Alabama bauen? Oder grundsätzlicher: Wie könnten neue Formen einer gemeinschaftsbasierten Raumproduktion aussehen? Eine Verschiebung vom Ismus zum Prozess wird da spürbar, die darauf hoffen lässt, endlich dem Spiegelkabinett zu entkommen, ohne wiederum in falschen Gewissheiten zu landen. Bedürfnisorientiertes Bauen Bottom-Up ist auch eine Form von Funktionalismus – der Kreis scheint sich dann doch zu schließen – aber im besten Fall kein kontrollierender und verfestigender, sondern ein offener.
Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.