» Texte / Architektur­ und Stadtbildpolitik als ideologisches Spielfeld

Maik Novotny


Es war wohl der größte Architekturstreit der letzten Jahre in Deutschland. Die Debatte um Rechte Räume wurde mit typischer Gründlichkeit und Argumentierfreude in nahezu allen Medien abgehandelt. Die Initialzündung dafür war ein Gastbeitrag von Stephan Trüby, Professor für Grundlagen moderner Architektur an der Universität Stuttgart, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 16. April 2018 gewesen. Darin zeigte er die personellen Verschränkungen zwischen den Initiator*innen des Rekonstruktionsprojekts Neue Frankfurter Altstadt und AfD-nahen rechtsextremen Kreisen auf.
        Der Furor, der ihm daraufhin unmittelbar entgegenschlug, bewies, dass Trüby in ein Wespennest gestochen hatte. Nicht selten wurden seine Aussagen dabei absichtlich missverstanden und mit gespielter Unschuld gefragt, ob man denn Fachwerk jetzt nicht mehr schön finden dürfe. Trüby, der auch heftigen persönlichen Anfeindungen ausgesetzt war, versuchte immer wieder, geduldig zu erklären, dass es ihm nicht darum ging, Architektur oder Architekturstile selbst als rechts zu identifizieren, sondern darum, welche Räume durch Rechtskonservative und Rechtsextreme ideologisch aufgeladen werden und warum.
        In Österreich wurde die Debatte interessanterweise fast völlig ignoriert. Abgesehen von der defizitären öffentlichen Streitkultur lag dies wohl daran, dass hier die Verschränkung von Architektur und Ideologie nie als problematisch gesehen wurde, weil der Wiederaufbau von Österreichs Städten nach der NS-Zeit relativ konfliktfrei ablief, und dass Österreichs Rechtsextreme sich eher wenig für Stadtbild und Architektur interessieren.
        Eine Ausweitung der Rechten Räume lieferte eine gleichnamige Ausgabe von ARCH+ im Mai 2019 in Kooperation mit Trübys Institut, die den Begriff erweiterte: Die gezielte Instrumentalisierung von Stadt- bild- und Rekonstruktionsdebatten in Frankfurt und Potsdam, die Landnahme deutscher Rechtsextremer in Burgen, Dörfern und Bauernhöfen in Ostdeutschland, aber auch Beispiele aus ganz Europa. Nach dem Erscheinen der ARCH+ flammte die öffentliche Debatte erneut auf, ihr Schwerpunkt verschob sich aber von Frankfurt nach Berlin, und zwar auf den Streit um das zweifellos antisemitische Zitat von Ezra Pound, das im Pflaster des von Hans Kollhoff geplanten Walter-Benjamin-Platzes eingelassen war. Eine legitime Diskussion, die letztlich in der Entfernung des Steins mündete, die aber im Grunde einen Nebenschauplatz der Problematik darstellte, auf dem sich deshalb alle tummelten, weil er sich medial gut dafür eignete: Ein einzelnes, greifbares Objekt, das symbolpolitisch für jeden zu begreifen war und nach seiner Entfernung praktischerweise als erledigt abgehakt werden konnte. Die wirklich gefährlichen, weil visuell weniger greifbaren Aspekte der Rechten Räume blieben dabei außen vor.
        Trübys Buch Rechte Räume, jetzt in der Reihe Bauwelt Fundamente erschienen, bündelt nochmals die divergenten Aspekte in handlicher Form. Er macht dabei nachvollziehbar deutlich, wie rechte bis rechtsextreme Kreise die Architektur- und Stadtbildpolitik als ideologisches Spielfeld entdeckt haben und sie in einem Ausmaß instrumentalisieren, das immer noch dramatisch unterschätzt wird. Nicht nur in Deutschland wird mit scheinbar harmlosen Begriffen wie Schönheit die Idee des »guten alten (gemeint: völkischen, weißen) Europa« ins Bewusstsein eingespeist. Aber Deutschlands Rechtsextreme, mit ihrer raunenden Beschwörung des Heidnischen und Mittelalterlichen und ihrer Verachtung von Aufklärung und Internationalismus bedienen sich besonders gerne aus diesem reichen symbolischen Fundus.
        Trüby zieht hier die Verbindungslinien vom Anfang des 20. Jahrhunderts über die NS-Zeit bis zu führenden Köpfen der sogenannten Neuen Rechten, mit prägenden Personen wie Paul Schultze-Naumburg oder Armin Mohler, der die konservative Revolution propagierte. Damals wie heute finden sich der Antisemitismus des Antiurbanen, die Rückkehr zu einer (vage umschriebenen) Erdigkeit und die wütende Ablehnung von Gleichheit und Gleichmacherei als Leitideen. Zusammenfassende Erkenntnis: Die Neue Rechte ist eine permanente Rechte, und der Schoß bleibt immer fruchtbar, aus dem das kroch.
        Rechte Räume versammelt Texte und Interviews, die in diversen Medien erschienen sind, was einerseits zu manchen Wiederholungen führt, andererseits nahelegt, dass es sich hier nicht um ein homogenes, geschlossenes Traktat handelt, sondern um das Einkreisen eines Bedeutungsfeldes, eine Beweissammlung, ein Auf- zeigen von Querverbindungen.
        Einen Schlüssel zum Verständnis bietet Trübys auf Slavoj Žižek basierendes Vierecks-Diagramm der »doppelten Rechten und doppelten Linken.« Darin berühren sich die universalistische Linke und der Rechts-Libertarismus in ihrer Internationalität, und die Anti-Globalisierungs-Linke und die patriotisch-völkische Rechte im Antisemitismus. Trüby: »Es liegt auf der Hand, dass mit diesem Diagramm nicht nur ein Orientierungsmodell politischer Überzeugungen, sondern auch eine Art Weltkarte impliziter oder expliziter Architekturideologien von Architekt*innen [kursiv im Original] vorliegt. Wohlgemerkt von Architekt*innen, nicht von Architekturen. Die Rede ist also vielmehr von Sprechakten als von Bauwerken.« Sie alle lassen sich in diesem Diagramm verorten: Völkische Biobauern mit heidnischem Thule-Tick, die sich Ökologie und Esoterik mit linken Positionen teilen, Frankfurter und Potsdamer Rekonstruktions-Aficionados aus dem preußisch-soldatischen Milieu, oder der ebenfalls hier gewürdigte Patrik Schumacher (Zaha Hadid Architects), der sich als marktradikaler Extremneoliberaler nicht im Geringsten für die Wiederherstellung von Altstädten oder Garnisonskirchen interessieren dürfte.
        Ein Kapitel widmet sich der Kritik am Deutschen Institut für Stadtbaukunst und rekapituliert den deutschen Städtebaustreit im Dreieck von Düsseldorfer Erklärung, Kölner Erklärung und Leipziger Charta, bei denen sich in diesem Institut die eher bildhaft denkende Blockrandbebauungs-Fraktion um Christoph Mäckler versammelte, mit eher strukturell-politisch denkenden Planer*innen und Professor*innen auf der Gegenseite. Nicht überraschend, dass Trüby für letztere Partei ergreift. Dieses Gegenüber von Camillo-Sitte-Konservativismus und offenem Experiment bietet eine ergiebige Diagnostik des deutschen Architekturdiskurses, die man aber lieber woanders und ausführlicher gelesen hätte als hier Seite an Seite mit Neonazis, trotz mancher personeller und örtlicher Über-Eck-Verbindungen.
        Was sich stilistisch durch alle Texte zieht, ist Trübys fast literarische Sprachgewandtheit, die immer wieder ins Süffisante kippt, wenn er etwa den Schriftsteller Botho Strauß als »ganz einsamer Dichter gewordenes Tourette-Syndrom des kulturbürgerlichen Ressentiments« bezeichnet oder wenn ihn das ostdeutsche Rittergut des rechten Vordenkers Götz Kubitschek an »ranzige Vereinsgaststätten mit Draußen-nur-Kännchen-Tristesse« erinnert. Das ist zwar feuilletonistisch pointiert, banalisiert aber auf Dauer die tatsächlich ernsthafte Bedrohung, um die es hier geht.
        Auch wenn man sich am Schluss fragt, ob Trüby sein Netz nicht etwas zu weit auswirft, um noch den letzten kleinen rechten Fisch zu fangen, der einmal Praktikant bei Kollhoff und dann bei der AfD war, wodurch die Differenz zwischen dem wirklich gefährlichen Kern rechter Räume und ideologischen Randerscheinungen verschwimmt, und ob eine konzentrierte Stoßrichtung nicht besser gewesen wäre als ein Rundumschlag, bietet Rechte Räume eine eminent wichtige Bestandsaufnahme, wie mit Metapolitik via Kultur-, Architektur- und Stadtbilddebatten diskursiv rechter Raum geschaffen und immer weiter nach rechts erweitert wird. Es steht zu befürchten, dass wir erst am Anfang dieser Entwicklung stehen und wachsam bleiben müssen.


Heft kaufen