Johannes Bretschneider

Johannes Bretschneider forscht und lehrt am Forschungsbereich Städtebau der TU Wien.


Hans Hollein begreifen zu wollen, ist kein leichtes Unterfangen. Neben der schillernden Persönlichkeit des 2014 verstorbenen und umstrittenen Architekten liegt das vor allem am Umfang seines Nachlasses. An dieser Material- und Zitatflut, die er bereits zu Lebzeiten geschickt nutzte, um zusätzlich zu seinen Bauten auch sich selbst in Szene zu setzen, werden sich noch Generationen von Gestalter:innen abarbeiten. Allein die Katalogisierung des Holleinschen Treibguts, das im Archiv von Az W und MAK schlummert und eine eigene Halle vor den Toren Wiens füllt, ist eine Mammutaufgabe. Erfreulich sind daher die Vorhaben, das vielfältige Werk eines der polarisierendsten Architekten Österreichs und Pioniers der Postmoderne bereits heute der Öffentlichkeit näher zu bringen und zur Diskussion zu stellen. Einen ersten gelungenen Versuch machte 2019 die Az W-Ausstellung Hans Hollein ausgepackt: Das Haashaus von Mechthild Ebert und Alexander Barina.
        Einen weiteren Annäherungsversuch unternehmen nun drei Wiener Architekt:innen im Rahmen der Ausstellung Hollein Calling: Architectural Dialogues im Az W. Die von Theresa Krenn, Benni Eder und Lorenzo de Chiffre kuratierte Ausstellung wirft einen umfassenderen Blick auf das Gesamtwerk Holleins, indem sie 15 seiner Projekte mit den Positionen und Arbeiten von 15 zeitgenössischen Architekturbüros in Dialog setzt. Ziel war laut den Kurator:innen auch hier keinesfalls eine Kanonisierung, sondern vielmehr ein unvoreingenommenes Neubetrachten Holleinscher Zeichenarchitektur und Gestaltungsmotive in Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen gestalterischen Praxis. Hollein folgend war alles zulässig, was assoziativ hervortrat. Folgerichtig geschah die Auswahl der beteiligten Büros also zunächst anhand der Vermutung Holleinscher Bezüge im Werk, die sich dann in Gesprächen, wie Kuratorin Krenn erläutert, manches Mal explizit herausstellten, dann wieder implizit blieben. Diese Dialoge sind im zur Ausstellung gehörigen Katalog abgedruckt und bilden einen interessanten Diskurs über den Einfluss der Postmoderne auf zeitgenössische Entwurfspraktiken ab.
        Eine Zeichen- und Spurensuche als Ausstellungskonzept, das klingt erfrischend ungewöhnlich und geht im ersten Moment auch auf. Wer sich mit assoziativem Blick durch die Ausstellung bewegt, gerät in einen sorgfältig kuratierten und perfekt aufbereiteten Sog aus architektonischen Zeichen, Bezügen und Bedeutungen. Nebenbei erkundet man so einige der wichtigsten Arbeiten Holleins und die bemerkenswerte Vielfalt seines entwerferischen Könnens. Zugleich sind die Werke Holleins mit denen der beteiligten Büros in Form von Skizzen, Collagen, Zeichnungen und Modellen so dicht miteinander verwebt, so nah nebeneinander gestellt, so geschickt ineinander collagiert, dass selbst Expert:innen eine Unterscheidung nicht leicht fallen dürfte. Wer auf der Suche nach Klarheit ist, dürfte hiermit seine Schwierigkeiten haben. Das Verschwimmen der Grenzen der Urheberschaft ist gewollt und stellt damit die auch in der heutigen Zeit der Bilderflut hochaktuelle Frage nach Autor:innenschaft und Originalität: Hollein könnte, so Theresa Krenn, als Pionier der Bilderflut gedeutet werden. Dass er es, anders als Hermann Czech etwa, mit dem Verhältnis von Original und Kopie nicht immer ganz genau nahm, gehöre auch in diesem Zusammenhang erwähnt. In Holleins Sicht- und Herangehensweise war das Verwischen der Grenzen zwischen eigener Idee und Zitat, solange es der Inszenierung diente, legitim.
        Die gesamte Ausstellung kann als Einladung zur assoziativen Auflockerungsübung im Diskurs über architektonische Form- und Gestaltungsprozesse durch postmodernes Spiel mit Zeichen gelesen werden. Keine Deutungshoheit über das Werk des Architekten zu beanspruchen, sondern eine Reise ins Reich der Assoziationen anzubieten, ist ein interessanter Ansatz, wirft aber auch Fragen auf. Eine Ausstellung, die mehr dem Essay als der geschlossenen Erzählung gleicht, erscheint sinnvoll. Das gilt insbesondere in Zeiten, in denen Ambivalenz und Komplexität vielen zunehmend als schwer erträglich gelten. So gesehen ist die Schau ein gelungenes Plädoyer für Vielschichtigkeit und Uneindeutigkeit. All das wäre wohl im Sinne Holleins, der seine Bezüge und Inspirationen von überall hernahm und daraus in akribischer Arbeit seine eigene Formensprache generierte und Bedeutungszusammenhänge hervorbrachte. Einen Einblick in das zeitfressende Tun von Architekt:innen im Ringen mit der Gestalt gibt die Ausstellung mit Sicherheit.
        Sich allein dem Treiben der Assoziationen hinzugeben, ist mit Fortdauer des Besuchs allerdings schwieriger durchzuhalten. Offen bleibt, was aus der assoziativen Überlagerung folgt und was aus dem Wiederauftauchen Holleinscher Bezüge im Spiegel der zeitgenössischen Arbeiten für Rückschlüsse zu ziehen wären. Diese Form der Auseinandersetzung droht leicht im klassischen postmodernen Dilemma zu enden: wenn am Ende alles eine zulässige Assoziation ohne Bedeutung ist, besteht immer auch die Gefahr, im Reich der Zeichen verloren zu gehen. Aus jedem ernst begonnenen Dialog kann schnell Durcheinandergeplapper werden. Eine Reflexion über die gesellschaftliche Dimension von (Holleinscher) Gestaltungspraxis beispielsweise klingt an einigen Stellen an, kann sich aber unter Berufung auf das Assoziative und innerhalb des engen Rahmens formaler Gestaltungsfragen stets ans sichere Ufer der Grenzen der eigenen Disziplin retten.
        Kritische Stimmen werden daher anmerken, dass sich die Ausstellungsmacher:innen so wie Hollein selbst einem Diskurs über die gesellschaftliche Dimension von Gestaltung durch den Rückzug in eine rauschende Flut aus Formen und Bildern entziehen. Architektur, die nur um sich selbst und ihre formalen Entstehungsbedingungen kreist, dient dann vor allem der Relevanzbildung innerhalb der eigenen Disziplin und bleibt einer fachfremden Öffentlichkeit schwer zugänglich. Wenn diese Auflockerungsübung aber als Auftakt zu einer mutigen kontroversen Auseinandersetzung begriffen würde, die auch kritische Antworten auf aufkommende Fragen nicht scheut, dann wäre dieser Versuch gelungen. Nächstes Jahr anlässlich des 100. Geburtstages Holleins bietet sich dazu Gelegenheit.


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