Automat Sospeso
Kunstinsert von Leopold KesslerAktuell ist im MUSA Wien Museum die Ausstellung Arbeiten im öffentlichen Raum von Leopold Kessler zu sehen. Diese sehr zu empfehlende Schau zeigt einen großen Teil des umfangreichen Werks des Künstlers als ›mid career workshow‹. Hier steht vor dem Gebäude im öffentlichen Raum das im Insert gezeigte Projekt Automat Sospeso für eine Vielzahl von ähnlich ausgerichteten Projekten eines »taktischen Urbanismus«, wie es der Kurator Vincent Weisl im Ausstellungskatalog treffend formuliert.
Leopold Kessler wurde in Wien durch seine aufsehenerregende Diplomarbeit an der Akademie der bildenden Künste bekannt, als er mit einem Elektrokabel seine Wohnung im 1,2 Kilometer Kilometer entfernten zweiten Wiener Gemeindebezirk mit der Akademie verband, um von dort den Strom abzuzapfen. Ganz klar wurden schon hier die wesentlichen Fragen des Öffentlichen in der Arbeit Leopold Kesslers sichtbar: Wer hat das Recht, ein Kabel zu verlegen? Wem gehört eigentlich der Strom einer öffentlichen Institution? Wo ist die Grenze zum privaten Raum? Letztlich ist die dort schon sichtbare Manipulation in Form aktiver Bricolage von Dingen bis heute ein wesentliches Element in der Arbeit des Künstlers geblieben. Leopold Kessler geht es fast immer um strukturelle Eingriffe, die die Frage nach dem ›Gemeingut des öffentlichen Raums‹ stellt. Dabei spielen Camouflage und Aneignung eine entscheidende Rolle. Neben offiziellen, oft interaktiven Objekten im öffentlichen Raum (Kollektive Rüttelplatte, Kooperativer Dreh-Gong, Nordbahnzeh) verlaufen viele seiner Arbeiten am Rande der Legalität und werden ohne Genehmigung als ›unauthorized intervention‹ durchgeführt. Für die Kunstwelt werden sie als Videoarbeit dokumentiert. Die in dérive vorgestellte Arbeit ist ein vom Land Tirol gefördertes Kunst-im-öffentlichen-Raum-Projekt, das in Innsbruck entstanden ist.
Caffè sospeso nennt sich die italienische Tradition, einen Espresso für eine:n Unbekannte:n mitzubezahlen. Leopold Kessler greift diese Tradition auf, um sie in Form eines manipulierten Kaffeeautomaten anonym aufleben zu lassen und in den öffentlichen Raum zu transferieren. Der Automat Sospeso ermöglicht aktuell Besucher:innen des MUSA, sich großzügig zu zeigen und ein oder auch mehrere Getränke für eine unbekannte Person im Voraus zu bezahlen. »Anders als bei der italienischen Variante des Caffè sospeso ist die Schnittstelle zwischen den Unbekannten eine Maschine. Funktioniert das Prinzip also auch ohne zwischenmenschlichen Kontakt? Wie steht es um Solidarität in der kühlen Anonymität einer technologisierten und distanzierten Gesellschaft? Eine nicht erst seit Corona-Zeiten zentrale gesellschaftliche Frage. Gerade durch den anonymisierten Akt der Solidarität soll ein Ort entstehen, der Menschen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten auf Augenhöhe miteinander verbindet«, so Leopold Kessler.
Automat Sospeso wurde erstmals im September 2024 bis Februar 2025 am Platz vor dem Landestheater in Innsbruck installiert und steht derzeit in einer vom Wien Museum geförderten, verbesserten Ausführung vor dem MUSA in Wien. dérive hat das interaktive Objekt selbstverständlich getestet: Es funktioniert sowohl mit Münzen als auch mit Karte einwandfrei. Für einen Euro pro Getränk ist man dabei und mit einem oder mehreren weiteren Euro kann man dem oder der Nächsten eine Freude machen. Sowohl der Automat als auch die Ausstellung können noch bis 25. Jänner 2026 benutzt beziehungsweise besucht werden.
Barbara Holub / Paul Rajakovics
Leopold Kessler (geboren 1976 in München) lebt und arbeitet in Wien. 2026 wird der Künstler eine Residency und Ausstellung im chinesischen Hangzhou auf Einladung des Künstlerkollektivs the_delta_inst. wahrnehmen.
Publikation: www.distanz.de/leopold-kessler/arbeiten-im-oeffentlichen-raum
Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.
Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.