Bahnhofsoffensive gegen soziale Randgruppen
Während bei den ÖBB in der Fernsehwerbung mit Gorbatschow Glasnost einzieht, setzt die Bahnhofsrealität neuerdings andere Akzente: Am Eingang erwartet die BesucherInnen ein geharnischter Ordnungsruf. Seit kurzem hängt in allen österreichischen Bahnhöfen ein Schild, das mit dem eye catcher-Titel »Sie schätzen Ordnung? Wir auch« mit weißer Schrift auf rotem Grund zum Nähertreten einlädt. Im Kleingedruckten erwartet die Neugierigen eine ganze Liste von Taten und Verhaltensformen, die jetzt auf Bahnhöfen verboten sind. So wird das Handeln mit Drogen und das Klauen von Gepäck gleichrangig mit Tatbeständen wie »Herumlungern«, Verstellen von Fluchtwegen, Betteln und übermäßigem Genuß von Alkohol als unerwünscht eingestuft. Abschließend wird mit »wir meinen es Ernst« darauf hingewiesen, daß die Durchsetzung dieser Gebote notfalls gewaltsam erfolgt. Einsicht in die Forderungen soll das gemahnte Publikum durch den Hinweis gewinnen, mensch möge sich am eigenen Wohnzimmer orientieren, das mensch ja ebenso sauber halten wolle.
Während bei den ÖBB in der Fernsehwerbung mit Gorbatschow Glasnost einzieht, setzt die Bahnhofsrealität neuerdings andere Akzente: Am Eingang erwartet die BesucherInnen ein geharnischter Ordnungsruf. Seit kurzem hängt in allen österreichischen Bahnhöfen ein Schild, das mit dem eye catcher-Titel »Sie schätzen Ordnung? Wir auch« mit weißer Schrift auf rotem Grund zum Nähertreten einlädt. Im Kleingedruckten erwartet die Neugierigen eine ganze Liste von Taten und Verhaltensformen, die jetzt auf Bahnhöfen verboten sind. So wird das Handeln mit Drogen und das Klauen von Gepäck gleichrangig mit Tatbeständen wie »Herumlungern«, Verstellen von Fluchtwegen, Betteln und übermäßigem Genuß von Alkohol als unerwünscht eingestuft. Abschließend wird mit »wir meinen es Ernst« darauf hingewiesen, daß die Durchsetzung dieser Gebote notfalls gewaltsam erfolgt. Einsicht in die Forderungen soll das gemahnte Publikum durch den Hinweis gewinnen, mensch möge sich am eigenen Wohnzimmer orientieren, das mensch ja ebenso sauber halten wolle. Was ist plötzlich los, daß Bahnhöfe zu Kasernenhöfen mutieren? Das Konzept dahinter heißt nicht ganz unpassend »Bahnhofsoffensive« und wurde im Herbst 2000 der Öffentlichkeit vorgestellt. Binnen fünf Jahren sollen demnach 43 österreichische Bahnhöfe generalsaniert oder neu gebaut werden. Dafür werden acht Milliarden Schilling veranschlagt. Die Bahnhöfe sollen in neuer Pracht erstrahlen, so daß Fahrgäste noch lieber kommen und damit private Investoren Geld investieren, die sich in den neuen Bahnhöfen Geschäfte erhoffen. Gemeinsam mit privaten Partnern sollen auf aufgelassenen Gleisen und statt alten Gebäuden Hochbauten errichtet werden, die dann verkauft oder vermietet werden. Die Bahnhöfe selbst werden zu shopping malls und Erlebniszentren umgebaut, die dann ordentlich Gewinne abwerfen sollen. Der erste Bahnhof, der laut Plan in Wien an die Reihe kommt, ist der Bahnhof Wien Mitte bei der Landstraße, der im Jahr 2003 fertig sein soll, dann folgen der Südbahnhof, Hütteldorf, Heiligenstadt, der Westbahnhof und schließlich der Bahnhof Wien Nord am Praterstern. Außerhalb Wiens sind Linz und Graz noch in diesem Frühjahr geplant, Innsbruck und Baden noch 2001 und Salzburg und Klagenfurt im Jahr darauf. Im Finanzierungsplan für die Bahnhofsoffensive ist vorgesehen, daß drei von den für die Sanierungen nötigen acht Milliarden aus Kooperationen mit privaten Unternehmen kommen, sogenannten Public-Private Partnerships, der Restbetrag aus dem Bundesbudget. Einen Modellfall gibt es schon: In Linz beteiligt sich Raiffeisen an dem Umbau des Hauptbahnhofs. Doch eigene Milliardeninvestitionen der Bahn sind als Vorleistung notwendig, um private Investoren überhaupt zu interessieren. Und die Stadt muß die Umwidmung der Bahnfläche in Baugrund vornehmen. Wenn das soweit ist, könnten die Privaten einsteigen. Die ÖBB überlegt auch letztlich einige Bahnhöfe zu verkaufen, wie es zum Beispiel die Bahngesellschaft in Italien dieses Jahr getan hat. Dort hat der Konzern Grandi Stazioni, eine Gesellschaft, an der große Kapitalgeber wie Benetton beteiligt sind, den neuen Zentralbahnhof von Rom errichtet. Roma Termini gilt Bahnhofsentwicklern in ganz Europa als vorbildhaft – vom kommerziellen und ästhetischen Gesichtspunkt. Nach dem Vorbild internationaler Flughäfen wurden dort Luxusgeschäfte, Boutiquen und Restaurants angesiedelt – in einem prächtigen Ambiente. Grandi Stazioni hat vor kurzem Expansionsgelüste nach Österreich signalisiert und plant den Einstieg in die Bahnhofssanierung der ÖBB. Der Einstieg wird freilich sehr selektiv sein – nicht alle Bahnhöfe zwischen Bregenz und Eisenstadt werden zu Konsumtempeln werden. Für den Großteil der knapp über 1000 Bahnhöfe gibt es praktisch keine Interessenten, nur einige wenige Hauptlagen können Investoren locken.
Unternehmen Bahn
Hintergrund dieser Bemühung ist die Verwandlung der Staatsbahn ÖBB in ein Unternehmen, das in naher Zukunft endgültig privatisiert werden soll. Damit geht natürlich eine Änderung der Aufgabenstellung der Bahn einher. Weg vom Ziel der flächendekkenden Versorgung möglichst vieler Menschen und Räume zu möglichst günstigen Preisen, hin zum Ziel der möglichst hohen Gewinnerzielung. Dazu gehört, daß die ÖBB unprofitable Regionalverbindungen einstellt und sich auf den Ausbau von Hauptverkehrsstrecken konzentriert, sowie der Versuch, aus den hauseigenen Immobilien das Maximum herauszuholen. Das ist keine Idee, die die ÖBB selbst geboren haben. Sie kupfern da 1:1 ab, was in Italien und Deutschland bereits stattgefunden hat. Dort sind die Bahnhöfe in einer Art und Weise saniert worden, die sie zu sauberen Erlebniswelten für kaufkräftige TouristInnen und einheimische Wohlhabende machen. Gefinkelte architektonische Maßnahmen und private Sicherheitswachmannschaften halten Gruppen und Ereignisse fern, die dieses sonnige Ambiente stören könnten, damit sich die drinnen Befindlichen voll auf den Konsum konzentrieren können. Gemeinsam mit anderen zentralen Plätzen sollen die Bahnhöfe als eine Art »Visitenkarte« der Stadt fungieren. Diese in Repräsentations- und Konsumräume umgewandelten Orte werden gemäß kleinstädtischer Normalitätsvorstellungen »sauber« gehalten. Das bedeutet Vertreibung und Platzverbote für Personengruppen, die bestimmte unerwünschte Merkmale aufweisen. Dabei werden Tatbestände sanktioniert, die eher konservativen Moralvorstellungen als dem Strafrecht widersprechen, wie Unsauberkeit oder Betteln, Alkoholkonsum, Flugzettel verteilen, ungewöhnliche Kleidung oder sonstwie fremdes Aussehen. Auf diese Weise werden Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit definiert und das bürgerliche Gleichheitspostulat verabschiedet, Persönlichkeitsrechte der Nichtzugehörigen eingeschränkt und diese Einschränkung von staatlichen und privaten Sicherheitskräften gemeinsam durchgesetzt. So wird versucht, sozial homogene Räume zu schaffen – die exklusiven Konsumzonen für die Wohlhabenden, und irgendwelche Sonderzonen – oder auch überhaupt nichts – für die Marginalisierten. Immer größer werdende Teile der Städte werden so in privat kontrollierte Räume umgewandelt, in denen eine Art Hausrecht gilt. Die öffentliche Sphäre wird zusehends ausradiert (Ronneberger 2000).
Befürworter des Sanierungskonzepts halten dem entgegen, daß bei vorbildlichen Projekten wie dem Bahnhof in Dresden sehr wohl etwa an die Obdachlosen gedacht worden sei: An der unbelebten Hinterseite des Gebäudes ist eine Suppenküche eingerichtet worden, von Ignoranz und brutaler Vertreibung sei also keine Spur. Das zeigt aber genau worum es geht – die Durchsetzung von Segregation – egal mit welchen Mitteln.
Offensive und Widerspruch
Diese Entwicklung ist nicht unwidersprochen geblieben: In Deutschland haben AktivistInnengruppen 1997 auf die Sanierungsoffensive der Deutschen Bahn und anderen ähnlichen Entwicklungen mit einer Kampagne reagiert, die gegen die zunehmende Einschränkung der Bewegungsfreiheit in vormals öffentlichen Räumen, die Sicherheitshysterie und die Vertreibung von unerwünschten Personengruppen mobil gemacht hat. Neben vielen öffentlichen Auftritten und Demonstrationen unter dem Titel »Innenstadtaktionen« gab es eine Reihe von Videospots dieser Gruppe, die in den großen Kinos im Werbeprogramm geschalten wurde. VideokünstlerInnen haben sich darin kritisch mit der Innenstadtsanierung und ihren sozialen Folgen auseinandergesetzt (Bareis 1997, AG Baustop.Randstadt 1999). In Österreich ist so etwas bislang nicht zu merken. Immerhin gibt es Reibereien zwischen den Gemeinden und den ÖBB über die Details der Bahnhofssanierung. In Wien und Linz hat es von seiten der Städteverwaltung Einwände gegen die Pläne der ÖBB gegeben. Die Shopping-Mall-Szenarien wurden als überdimensioniert zurückgewiesen und eine Bremse für die völlige Kommerzialisierung eingemahnt. Denn einerseits bedeutet ein Shopping-Standort am Bahnhof heftige Konkurrenz für den Einzelhandel an anderen Standorten. Und renovierte Bahnhöfe mit Geschäften heizen natürlich die Immobilienpreise in der umliegenden Region an. Wie steht es nun um eine emanzipatorisch gesinnte Kritik und Gegenstrategien? Der Bahnhof soll wie ein Wohnzimmer behandelt werden, das ebenso sauber zu halten ist, sagen uns die neuen Ordnungstafeln an den Bahnhofseingängen. In diesem absurden Vergleich wird deutlich gemacht, worum es geht: Bislang öffentlicher Raum soll zu privatem Raum umgewandelt werden – privatisiert. Ein für alle zugänglicher Platz, auf den niemand ein Eigentumsinteresse geltend machen kann, wird umdefiniert in Privatbesitz, von dem die BesitzerInnen jene ausschließen wollen, die nicht in das neue Bahnhofskonzept passen: Leute ohne eigenes Wohnzimmer, ohne Kaufkraft und ohne vollen Terminkalender fliegen hinaus.
Fast könnte mensch den ÖBB dankbar sein für die plumpe Art und Weise, mit der sie ihr Anliegen transportieren. Slicke corporate design Profis schlagen die Hände über dem Kopf zusammen – Hausordnungsschilder mit offenen Drohungen auszuhängen entspricht ganz und gar nicht der in zeitgemäßen Unternehmenskonzepten vorherrschenden Form, seine Anliegen zu transportieren und seine Raumordnungsvorstellungen durchzusetzen. In der Privatwirtschaft werden subtilere, unsichtbare Maßnahmen wie Architektur, bedrohlich aussehendes Wachpersonal und sonstige diskrete atmosphärische Maßnahmen bevorzugt – doch niemals der obrigkeitsstaatliche Anweisungston. Diese unsensible Hand im Umgang mit den Gepflogenheiten modernen Managements ist es auch, das privaten Unternehmen Ansatzpunkte für ihre Forderungen bietet, die Revitalisierungsgeschäfte anstelle der ÖBB zu betreiben. Die Bahn könne das nicht selbst, solle lieber Aufträge an Private vergeben, wünschen sich Immobilienentwickler, Gebäudedesigner, Architekten und Investmentbanken. Sie wollen mitschneiden an dem Kuchen, den das ÖBB-Management lieber allein verzehren will. Eine Kritik, die sich an Äußerlichkeiten wie dem Ordnungsvorschriften-Aushang festkrallt, läuft also Gefahr, mit kosmetischen Maßnahmen ausgehebelt zu werden. Denkbare Vorgangsweise des Managements: Das Schild wird entfernt, die darin vorgestellte Politik wird umgesetzt. Eine weitere problematische Kritik-Strategie ist die Mitleidsmasche, die mit dem Hinweis auf die Verdrängung von Obdachlosen arbeitet. Die genaue Benennung und Kategorisierung von Betroffenen ahmt polizeiliche Erfassungslogik nach und stützt gesellschaftliche Konstruktionen von exludierten Personengruppen – arbeitet mit an einem Konsens, einer gemeinsamen Vorstellung davon, wer gemeint ist, wenn von »unerwünschten Personengruppen« die Rede ist, und plädiert gegenüber der konsensual definierten Gruppe nur für eine andere Einstellung (Mitgefühl statt Ausschluß). Stattdessen müßte es darum gehen, diese Ein- und Ausschlüsse vorproduzierenden Vorstellungen von Normalität zu unterlaufen, zu bekämpfen. Zudem muß klargemacht werden, daß diese Exklusions- und Normalisierungsstrategien nicht bei extrem und sichtbar Stigmatisierten halt macht, sondern nur der Ansatz- und Ausgangspunkt für eine Kontrollstrategie ist, die letztlich alle Mitglieder der Gesellschaft erfaßt und ihrem Regime unterwirft.
Auch sind nicht alle GegnerInnen der Bahnhofssanierung BündnispartnerInnen für eine emanzipatorisch gesinnte Kritik. In Salzburg etwa stößt die Bahnhofssanierung auf Widerstand von DenkmalschützerInnen, die den architektonischen Klassiker nicht gegen den schnöden Funktionalismus moderner Einkaufszentren tauschen wollen. Daß diese etwas gegen die gesellschaftlichen Leitvorstellungen haben, die der Bahnhofsoffensive zugrunde liegen, ist nicht zu erwarten. Ansatzpunkte zur Verteidigung öffentlicher Interessen gegen die neuen Bahnstrategien gibt es in anderen Bereichen schon: Gegen die Stillegung von Nebenbahnen gibt es Basisinitiativen wie das niederösterreichische »Aktionskomitee Unsere Westbahn«, die sich seit geraumer Zeit im Expertise-Clinch mit den ÖBB befinden, um den Erhalt guter Verkehrsverbindungen zu erreichen, die die ÖBB aus Profitabilitätsgründen lieber einstellen würden. Mittlerweile stellt sich heraus, daß ausgerechnet die österreichische Regierung sich als Killer der Bahnhofsoffensive entpuppen könnte: Das Verkehrsministerium relativierte unter der neuen Ministerin Anfang 2001 plötzlich die im Vorjahr eingegangenen Finanzierungsversprechen. Damit wird zwar die aufwendige Sanierung in Frage gestellt, die soziale Säuberung aber wohl kaum. Also: Heute ordentlich frisiert? Ausreichend Geld in der Brieftasche? Ein klares Reiseziel vor Augen? Mehrheits-Österreicher-Tracht angezogen? Vor dem Betreten eines Bahnhofs lieber zuerst checken, ob mensch nicht zu einer der aufgelisteten unerwünschten Personengruppen gehört. Denn die Bahnhofsoffensive rollt...
Beat Weber
AG Baustop.Randstadt. Baustop.Randstadt, Berlin 1999.
Bareis, Ellen (1997): Innenstadtaktion. Einleitungsreferat für das Innercity Treffen in Frankfurt,
http://www.icf.de/b_books/innercity.
Ronneberger, Klaus (2000): Disney World ist authentischer als Wien, dérive Nr. 1 (Juli).