Beispielsweise »Frank und frei«
Besprechung von »Texte zur Architektur« von Friedrich KurrentNach Städtezeichnungen und Häuser, Kirchen und Dergleichen ist nun – rechtzeitig zum 75. Geburtstag von Friedrich Kurrent – ein weiteres Buch des Architekten erschienen. In der vor sieben Jahren erschienenen Mappe Städtezeichnungen finden sich analytische Blickpunkte von Städten und Landschaften, die Kurrent zwischen 1965 und 1996 bereist hat. In Einige Häuser Kirchen und Dergleichen – zum 70. Geburtstag veröffentlicht – erzählt Kurrent über sein Leben und Werk, chronologisch in Dekaden gegliedert. Der nun erschienene Band Texte zur Architektur ergänzt die beiden vorangegangenen, sehr persönlichen Publikationen durch eine (durch Gabriele Kaiser vorgenommene) Auswahl von Artikeln und Vorträgen aus den Jahren 1964 bis 2006. Sie umspannt gemeinsam mit den beiden anderen Veröffentlichungen die Stationen Leben – Bauen – Sehen – Reflektieren – Kritisieren – Lehren.
In den 53 Texten positioniert sich Kurrent in Wort und Bild zu Themen seiner Wirkungsstätten Wien, München und wieder Wien und den mit diesen Orten verbundenen, ihm wichtig erscheinenden Architekten. Drei große Bereiche finden sich in den Texten wieder: Betrachtungen über historische Architektenpersönlichkeiten, Fragen zur Architekturpolitik und theoretische Betrachtungen.
Die Beiträge über Architekten wie Josef Frank („Frank und frei“), Adolf Loos, Otto Wagner, Josef Hoffmann, Jože Pležnik, Jan Kotžra, Gottfried Semper, Ernst A. Plischke, Clemens Holzmeister, Edoardo Gellner, Hans Döllgast, Konrad Wachsmann, Theodor Fischer und Rudolf Schwarz oder Künstler wie Oskar Kokoschka und Michael Guttenbrunner reduzieren sich nicht auf das Werk. Deren Arbeiten werden von Kurrent in einen menschlichen, gesellschaftlichen und historischen Kontext gestellt. Gleichzeitig nutzt er ihre Werke und Gedanken, um Bezüge zu aktuellen Themen herzustellen und auf die jeweilige Architekturdebatte Einfluss zu nehmen.
Die „Kontinuität und Diskontinuität der Wiener Stadtentwicklung“ beschäftigt Kurrent seit Jahrzehnten. Ihr widmete er 1966 seinen ersten öffentlichen Vortrag genau so wie einen Text aus dem heurigen Jahr. 1966 analysierte er anhand von Zeichnungen die Stadtentwicklung Wiens von der römischen Stadt bis ins 20. Jahrhundert und die weitere Entwicklung über die Donau nach Nordosten. In Teil zwei von 2006 kommentiert Kurrent die letzten 40 Jahre Stadtentwicklung und spricht vom „Biegen und Verbiegen“ (über die Routenführung der Wiener U-Bahn-Linien) oder vom „kollektiven Blackout“ bei der Umnutzung der Wiener Gasometer. Beides kommentiert der Kritiker mit „Schilda grüßt Wien“. Der ironische Unterton untergräbt keineswegs die Ernsthaftigkeit der Beiträge. Wie sehr Kurrent diesen liebt, zeigt sich beispielsweise beim Vortrag zu Münchner Architekturfragen, für den er die Bildergeschichte Architekt Sachlich will München neu aufbauen von Karl Valentin verwendet, oder wenn er für einen Vortrag den Untertitel Lernen vom Oktoberfest wählt. Ebenso wenig scheut sich Kurrent davor, für stadtplanerische Fehler deutliche Worte der Kritik zu finden, die er auch konkret adressiert.
Bei theoretischen Texten nähert sich Kurrent dem Thema meist über Begriffe. Aneinaderreihungen von Zitaten der vorher genannten, ihm wichtigen Architekten, das Drehen und Wenden von unterschiedlichen Definitionen oder die Betrachtungen der Gegensätze führen zu neuen, logischen und überraschend einfachen Feststellungen, nicht ohne das für Kurrent typische Augenzwinkern. „Ja, Döllgast, wenn das so einfach wäre, dann täten´s die Bauern den ganzen Tag“ (Peter Behrens zu seinem Assistenten), aus „Reduktion und Gestalt“, Vortrag am 9. 10. 2005 beim Rothenfelser Gespräch. Tatsächlich wird Schwieriges und Komplexes durch Kurrents Betrachtungen frappierend einfach.
Der Lesegenuss, den die Lektüre der vorliegenden Publikation zweifellos bietet, wird nur durch das Erlebnis eines Vortrags von Kurrent übertroffen. Eine Erfahrung, auf die das Buch Lust macht und die man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte. Bleibt zu hoffen, dass wir noch mehr von Kurrent zu hören, zu sehen und zu lesen bekommen, und die Frage: Was erscheint zu seinem 80. Geburtstag?
Susanne Veit