Harald Zechmeister

Harald Zechmeister ist Dozent in der Abteilung für Naturschutzforschung, Vegetations- und Landschaftsökologie an der Universität Wien.


Indikatoren (lat. indicare = anzeigen) sind Instrumente der Wahrnehmung vergangener, aktueller und künftiger Prozesse. Der Dow-Jones Index, die Wettquoten, das Vorkommen des Drehmooses – sie zeigen dem etwas an, der diese Indikatoren zu deuten weiß.
Bioindikatoren sind als Lebewesen definiert, welche Auskunft über die Qualität der Umwelt(veränderungen) ergeben. Die Ebenen der Bioindikation sind vielfältig und reichen von biochemischen Prozessen, über die Beobachtung von Gewebestrukturen, physiologischen Abläufen bis hin zur Ebene der Organismen, Populationen, Ökosysteme und Landschaften. Im weitesten Sinn ist jedes Lebewesen ein Bioindikator, weil es über die Lebensumstände, unter denen es lebt, Auskunft gibt. Es zeigt sowohl die Eigenschaften der belebten als auch unbelebten Natur (z.B. Klima, Gestein etc.) an. Diese Definition schließt sowohl die natürlichen als auch die durch den Menschen modifizierten Umwelteinflüsse ein, und ist die breitest mögliche Definition eines Bioindikators. Ist eine Quantifizierung des Einflussfaktors möglich (z.B. die Menge eines Schadstoffes) sprechen wir vom Biomonitor (Markert et al. 1997).
Neben der wissenschaftlichen Gemeinde haben verschiedene internationale Organisationen, wie OECD oder European Environmental Agency, Ansätze zum Thema Bioindikation entwickelt. Die dabei zu Grunde liegenden Intentionen unterscheiden sich von den rein wissenschaftlichen und sollen sowohl zur Entwicklung von anwendungsorientierten (Monitoring)systemen, als auch politischen Strategien beitragen.

Der Vorteil der Verwendung von Bioindikatoren ist vielfältig. Bioindikatoren und -monitore sind im Allgemeinen Organismen, welche in einem natürlichen oder menschlich veränderten Lebensraum mit allen ihren Lebensfunktionen auf Umwelteinflüsse reagieren. Sie sind Teile der Nahrungskette und somit Zeiger einer Momentaufnahme des Ist-Zustandes des Gesamtsystems, aus dem sich Trends über künftige Entwicklungen ableiten lassen. Sie sind in vielen Fällen rein technischen Ansätzen (z.B. Stoffflussberechnungen, Messung/Berechnung von Einzelparametern) überlegen, weil die Reaktionsnormen von Lebewesen häufig über eine simple Addition von Einzelwerten hinausgehen. Multidimensionale Lösungsansätze lassen sich nur am betroffenen Organismus selbst erforschen, wenngleich bei diesen Untersuchungen Rückschlüsse auf Einzelfaktoren nur bedingt gezogen werden können (Zechmeister, 1994).

Indikatoren sind immer nur im Zusammenhang mit einer Fragestellung zu sehen und jeder Indikator ist nur so gut wie die ihm zu Grunde liegende Fragestellung. Je detaillierter eine Frage desto speziellere Indikatoren können eingesetzt werden. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Basis-Indikatoren. Diese sind für sehr konkrete Fragestellungen geeignet, z.B. Bleigehalt in Gräsern. Aus einer Fülle von Basis-Indikatoren werden für komplexe Fragestellungen agglomerierte Indikatoren entwickelt. Ein solcher Indikator ist umso wertvoller, je mehr Variablen zu einem sich ergänzenden Ganzen zusammengefasst werden können (z.B. der Strukturreichtum einer Landschaft als Zeichen für nachhaltige Entwicklung). Grundsätzlich unterscheidet die Wissenschaft zwischen Reaktionsindikatoren und Akkumulationsindikatoren. Reaktionsindikatoren zeigen in Abhängigkeit von der Art und Menge eines einwirkenden Schadstoffes eine bestimmte Reaktion (z.B. Verbräunen der Blätter, Verminderung der Fortpflanzung). Akkumulationsindikatoren reichern einen bestimmten Stoff mehr oder weniger gleichmäßig an. Durch chemische Analyse kann auf dessen Eintrag ins Ökosystem geschlossen werden.

Bioindikatoren, wie Indikatoren im Allgemeinen geben die Möglichkeit, Zusammenhänge zu erkennen, sie sind aber wert- und zeitabhängig und erfordern deshalb eine regelmäßige Überprüfung ihrer Aussagekraft.

Grundsätzlich unterscheiden sich die Methoden der Bioindikation in Städten nicht von denen in weitgehend natürlichen Ökosystemen (Arndt et al. 1987, Wittig, 1991, Breure et al. 2001). Aufgrund der oft erhöhten Belastung mit stadtspezifischen toxischen Substanzen (z.B. Schwermetalle, PCBs etc.) werden aber manche Methoden besonders forciert.
Bioindikation in Städten ist alt. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hat man in den großen industrialisierten Städten (vor allem Mittelenglands) den Rückgang einer Vielzahl an Lebewesen (Flechten, Moose, Schmetterling) beobachtet und das unmittelbar mit der sich verschlechternden Umweltqualität in Verbindung gebracht.
In den letzten drei Jahrzehnten wurden aufgrund gesteigerten Umweltbewusstseins neben einer Reihe an enorm kostspieligen technischen Überwachungsgeräten, eine Vielzahl an mehr oder weniger standardisierten Verfahren der Bioindikation entwickelt, um die Lebensqualität in städtischen Lebensräumen zu überwachen. Primär sollen diese Indikatoren den Zustand der Luft-, Wasser- und Bodenqualität wiedergeben. Leider vermögen nur wenige Bioindikatoren einwandfreie quantitative Rückschlüsse auf die Menge und Art des einwirkenden Umweltgiftes wiederzugeben.
Ein diesbezüglich hervorragendes Beispiel ist der Tabak (Nicotiana tabacum). Bestimmte Sorten (z.B. Bel-W3) sind hoch empfindlich gegenüber Ozon. Was vielen amerikanischen TabakanbauerInnen in den 50er-Jahren den finanziellen Ruin gebracht hat, wird heute zur Überwachung der Ozonbelastung ausgenützt. Unter Ozoneinfluss werden die Blätter des Tabaks ›nekrotisch‹, d.h. sie bekommen braune Flecken. Die Menge und Dauer des einwirkenden Ozons korreliert linear mit der Menge an Nekrosen. Das heißt, es kann im Umkehrschluss aus der Größe der verbräunten Blattfläche auf den Ozongehalt geschlossen werden. Dieses Verfahren, welches durch eine Richtlinie des VDI (Verein Deutscher Ingenieure; Normierungsinstitut) standardisiert ist, (VDI, 1989) wird in vielen Städten Europas standardmäßig eingesetzt.
Schwermetalle sind auch in nicht von Schwerindustrie geprägten städtischen Lebensräumen eine maßgebliche Ursache für Gesundheitsgefährdung (z.B. Wappelhorst et al. 2000). Trotz rückläufiger Tendenzen in den letzten Jahren bei so bekannten Metallen wie Blei oder Cadmium, erfolgt in einzelnen Fällen auch weiterhin eine Zunahme (z.B. Antimon). Nicht zuletzt aufgrund der langen Verweildauer in den Ökosystemen und der Unmöglichkeit einer Reduktion z.B. durch Abbau sind aber weiterhin effiziente Indikatoren gefragt. Die bekanntesten und besten pflanzlichen Schwermetall-Indikatoren sind nach heutigen Erfahrungen Moose. Früher fand auch das Weidelgras (Lolium multiflorum) weite Verwendung. Während Moose direkt dem Standort entnommen werden, an dem sie wachsen (passives Monitoring), müssen unter einheitlichen Bedingungen gezogene Weidelgraskulturen erst an den Untersuchungsort gebracht und exponiert werden (aktives Monitoring). In den meisten Fällen sind passive Verfahren günstiger, aktive Monitoring-Verfahren ermöglichen allerdings auch Untersuchungen an Standorten, wo keine natürliche Vegetation zu finden ist. Auch Säugetiere (z.B. Ratten) und Fische sind nicht zuletzt aufgrund ihrer Stellung als Endglieder der Nahrungskette und der damit verbundenen hohen Anreicherung an nicht abbaubaren Schadstoffen in Stadtökosystemen klassische Bioindikatoren für Schwermetalle. Die gilt auch für eine Reihe anderer schwer ausscheidbarer Gifte (z.B. Pestizide).
Toxische organische Verbindungen, wie sie bei einer Vielzahl an industriellen Prozessen oder Verbrennungen (z.B. fossiler Brennstoffe, Hausmüll) entstehen, sind eine äußerst problematische Stoffgruppe (5. Umweltkontrollbericht 1998). Adäquate Bioindikationsverfahren zur Erfassung der einzelnen Stoffgruppen in Qualität und Quantität sind z.B. die Schalen von Taubeneiern, die Nadeln von exponierten Fichten oder die Blätter des Kohls.
Schwefeldioxidemissionen sind zwar auch in Städten stark rückläufig, trotzdem bewirken sie Verbräunungen an Blättern verschiedenster pflanzlicher Organismen (z.B. Ahorn, Buche, Flechten, Moose), welche alle auch als diesbezügliche Indikatoren Verwendung finden. Der ähnliche Einfluss der stark zunehmenden Stickoxide bzw. das Wechselspiel der beiden Gifte kann aber mit diesen Methoden nicht unterschieden werden. Neben dem Erfassen von direkt sichtbaren Schäden an Pflanzen wurden zur Indikation von Schwefel und Stickoxiden bzw. von deren Umwandlungsprodukten (»Saurer Regen«) auch die Veränderungen in der Zusammensetzung von Organismengruppen beobachtet. Kartierungen der Verbreitung von empfindlichen Organismen können gleichfalls Auskunft über Depositionsmuster dieser Schadstoffe geben. In Wien wurde dies z.B. für Flechten und Collembolen (im Boden lebende Kleinlebewesen) durchgeführt.
Eine Reihe von experimentellen Verfahren der Bioindikation (Lochplattentests, Biomarker etc.) entstammen primär dem Gebiet der angewandten, experimentellen Mikro- bzw. Molekularbiologie und sind eine wertvolle Bereicherung der »klassischen« Verfahren. Sie werden auf den meisten der oben genannten Untersuchungsgebiete bzw. Stoffgruppen eingesetzt und erleben einen starken Aufwärtstrend.


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Literaturliste

Arndt, U., Nobel, W. & Schweitzer, B. 1987. Bioindikatoren: Möglichkeiten, Grenzen u. neue Erkenntnisse. Ulmer. Stuttgart.

Breure, A.M., Markert, B.A, Zechmeister, H.G. (eds.) 2001. Bioindicators / Biomonitors - principles, assessment, concepts. Elsevier, Amsterdam.

Markert, B., Oehlmann, J., Roth, M. 1997. Biomonitoring von Schwermetallen - eine kritische Bestandsaufnahme. Zeitschrift für Ökologie und Naturschutz 6: 1-8.

Wappelhorst, O., Kühn, I., Oehlmann, J. & Markert, B. 2000. Deposition and disease: a moss monitoring project as an approach to ascertaining potential connections. The science of the Total Environment 249: 243-256.

Wittig, R. 1991. Ökologie der Großstadtflora. G. Fischer. Stuttgart.

Zechmeister, H.G. 1994. Biomonitoring der Schwermetalldepositionen mittels Moosen in Österreich. Monographien des Umweltbundesamtes Wien 42: 1-168.