Carbon and Captivity
Wer derzeit nach Berlin kommt, hat noch bis 31. Juli die Gelegenheit, Olivers Resslers Barricading the Ice Sheets im Berliner Kunstverein n.b.k. anzusehen. Dabei handelt es sich um ein 2019 vom FWF gefördertes Forschungsvorhaben zur Klimagerechtigkeitsbewegung, welches den Kampf und die damit verbundenen Protestaktionen gegen den Klimawandel begleitet. Als Einzelausstellung wurde das Projekt erstmals in der Camera Austria in Graz gezeigt, gefolgt von einer Ausstellung im Museum of Contemporary Art Zagreb. Es wird heuer noch in der Tallinn Art Hall in Tallinn und kommendes Jahr im The Showroom in London und in Spanien im LABoral Centro de Arte y Creación Industrial in Gijón zu sehen sein.
Die Themen, die Oliver Ressler für seine Projekte aussucht, stehen meist noch vor einem breiten Diskurs, wiewohl sie politisch und gesellschaftlich äußerst brisant sind. Vielmehr sind es die dahinterliegenden Machtstrukturen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft, die Ressler zu seinen künstlerischen Projekten macht. So auch bei Carbon and Captivity, wo es um ein Verfahren geht, das CO2 beim Raffinerievorgang extrahieren und dann im Meeresboden in ehemalige Ölreserven verpresst bzw. gespeichert werden soll (Carbon Capture and Storage). Diese noch unausgereifte Methode wird aber bereits als eine zukunftsweisende Möglichkeit von der Industrie gefeiert. Mehr noch: Es werden von der Industrie riesige Förderungen von der EU für die Entwicklung dieser Methode beantragt und bezogen. Natürlich bedient CCS die Komfortzone kapitalistischer Strukturen unter Beibehaltung fossiler Brennstoffe. CCS soll wohl als internationales Flaggschiff des Greenwashing fossiler Energie etabliert werden.
Oliver Ressler misstraut CCS im höchsten Maße und begibt sich dafür nach Norwegen, nördlich von Bergen in das Technology Centre Mongstad, wo die größte Versuchsanlage steht. Dort dreht er seinen 33-minütigen Film, dessen Stills auch die Basis für dieses Insert bilden. Gleich am Anfang widmet er den Film ganz im Sinne Donna Haraways allen zukünftigen Generationen und Arten. In vier Kapiteln nähert er sich zuerst über den Meeresboden dem sensiblen Kontext der Nachbarschaft zur Versuchsanlage, um dann nach der Erklärung des Entwicklungsstands der Methode in den letzten beiden Kapiteln kritische Fragen hinsichtlich Technologie, Kapital und Gesellschaft zu stellen.
Das Insert benötigt nur drei Bilder, um die Kontrastierung der norwegischen Vegetation und der Raffinerieanlage mit ihren schwindelerregenden Höhen von Schornsteinen als Umweltterminator erscheinen zu lassen. Die drei Bilder, erweitert um den Titel Carbon and Captivity, führen virulent zu CCS (Carbon Capture and Storage) und lassen auch ganz unabhängig Fragen aufkommen:
Wie sicher ist diese Methode? Könnte das CO2 nicht wieder aus dem Meeresboden entweichen? Könnte hier ein ähnlicher Effekt wie bei der Entweichung von Methan aus aufgetautem Tundraboden auftreten? Welche Gefahren bietet diese Methode für die Nachwelt? Kann dieses Verfahren womöglich zur zukünftigen ›Klimabombe‹ ausarten? Verzögert sich der Ausstieg aus fossiler Energie damit nur noch mehr?
Der in Knittelfeld geborene Oliver Ressler studierte bis 1995 an der Universität für angewandte Kunst in Wien, wo er auch heute seinen Lebensmittelpunkt hat. Ressler war Teilnehmer der Documenta 14, hat unter anderem den Internationalen Medienkunstpreis des ZKM in Karlsruhe und den Schweizer Kunstpreis Prix Thun für Kunst und Ethik erhalten. Neben den erwähnten Ausstellungen Barricading the Ice Sheets sind derzeit noch die Gruppenausstellungen arm&reich im Dom Museum Wien (bis 28. August) und Homosphere in der Kunsthalle Mainz (bis 25. September), an denen Oliver Ressler mit Arbeiten beteiligt ist, zu sehen, sowie die Einzelausstellung Assets must be stranded in State of Concept in Athen (noch bis 24. September).
Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.
Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.