Das Gebäude und seine Umwelt
Besprechung von »Anti-Object. The Dissolution and Disintegration of Architecture« von Kengo KumaKengo Kuma nennt sein Buch Anti-Object und untertitelt es mit The dissolution and disintegration of architecture, womit er bereits Neugierde weckt. Die acht Kapitel beinhalten einen längeren Essay und eine Auswahl seiner Projekte. Das Buch ist der zweite Band der neuen Reihe AA Words der Londoner Architectural Association School of Architecture.
Jeder der Bände aus der AA Words-Serie beginnt mit einem Preface direkt auf dem Buchcover. Kengo Kuma kommt gleich hier zur Sache und stimmt auf ein Manifest ein: „My purpose in writing this book is to criticize architecture that is self-centered and coercive.“ Dass er es sich nicht einfach machen will, zeigt, dass er neben dem Anti-Object-Manifest und einer kritischen Bestandsaufnahme der Architektur bis heute auch den Weg zur kritischen Selbstanalyse eigener Projekte sucht.
Doch zunächst ist im ersten Kapitel Making a connection: The Hyuga Residence by Bruno Taut alle Aufmerksamkeit dem Object gewidmet. Kuma „verabscheut“ das Objekt, ja er diagnostiziert beim Objekt eine Erkrankung. Was Kuma so verabscheut, ist die Tatsache, dass, wenn man von schöner Architektur spricht, im Allgemeinen die Schönheit des Objekts gemeint ist und die Verbindung zur Umgebung fehlt. Die Neugier der LeserInnen ist ab diesem Zeitpunkt garantiert, und gespannt folgt man dem Manifestierungswillen Kumas. Ein Gebäude ist für Kuma ein Objekt und präziser: „an independent material object distinct from its environment“. Beispielhaft zeigt er dies an Bruno Tauts Villa Hyuga und nennt sie ein als Anti-Object gebautes Objekt. Das Haus ist für ihn das beste Beispiel für seine Idee eines Anti-Object, weil durch seine Hanglage ist das Kellergeschoß halb im Erdboden eingelassen und damit mit seiner Umgebung verbunden. Die Villa als von der Umgebung unabhängig zu sehen, ist schwer möglich. Liest man zwischen den Zeilen, wird der Eindruck deutlich, dass es Kuma, wie oben bereits erwähnt, um eine Kritik am egozentrischen Präsentieren von Gebäuden durch StararchitektInnen geht: „By an excellent architect one generally means an architect with the ability to design beautiful objects. “
Es geht Kuma um „connecting“ und „illusion of disconnectedness“, die Suche nach einer Verbindung von subject und object, consciousness und matter, space und time. Er stellt fest: „space has become continuous with time“ und noch deutlicher „everything has become connected“. Erfreulich an diesem Kapitel ist, dass es Kuma gelingt, einen guten Überblick über die Architektur des 20. Jahrhunderts zu geben. In Bruno Tauts Werk führt Kuma, wie bereits erwähnt, anhand des Hauses Hyuga ein und motiviert sorgfältig und respektvoll dessen „leidenschaftliche“ Idee von Architektur: „To understand the reason for Taut’s pride, we must first examine the idea of architecture as an object“. Der Leser wird dann Absatz um Absatz mit Erstaunen feststellen, dass es Kuma hier schafft, ohne den Leser zu ermüden, einen logischen Faden zu spannen, der von Tauts Lebensaufgabe, Kants Philosophie in Architektur zu übersetzen, über die Epochen der Renaissance, des Barock, des Klassizismus, Tauts Glas-Pavillon für die Werkbundausstellung von 1914, wo er sich mit Bewusstsein und Materie auseinandersetzt, den Vergleich mit Le Corbusiers und Mies van der Rohes Arbeiten im Kontext von Raum und Zeit bis hin zu Keynes’ wirtschaftlichen Konzepten reicht. Schlussendlich im 21. Jahrhundert angelangt, erklärt Kuma das Versagen der Architektur und im speziellen des Objekts mit dem elektronischen Zeitalter und der Konsequenz „everything has become connected“: „When electronic technology connected the world, people began to register the failure of architecture, and the failure of objects.“ Wie ambitioniert der Versuch ist, den Begriff des Objekts zu ersetzen oder zumindest einen neuen Namen zu finden, formuliert Kuma im letzten Absatz seines Essays: „Nevertheless, we are composed of matter and live in the midst of matter. Our objective should not be to renounce matter but rather to search for a form of matter other than objects. What that form is called – architecture, gardens, computer technology – is not important. Until a new name is given to that form, I will call it the ‚anti-object‘“.
Es folgen sechs Kapitel, in denen Kuma, wie bereits oben erwähnt, ausgewählte eigene Projekte kritisch und ausführlich beschreibt. Die Baugrundstücke, geschichtlicher Hintergrund und der Entwurfsprozess werden vorgestellt. Besonders interessant ist Kapitel sechs, in dem Kuma seine Gedanken zur 1997 durchgeführten Gestaltung des 1955 von Takamasa Yoshizaka entworfenen japanischen Pavillons für die Biennale für Architektur in Venedig darlegt.
Peter Schmidt