Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.


Emmanuel Chukwujekwu wurde am 8. Mai 2001 im Rahmen der Operation-Spring-Prozesse zu neun Jahren Haft verurteilt. Damals saß er bereits fast zwei Jahr in Untersuchungshaft. Für die Polizei war Emmanuel Chukwujekwu neben Charles Ofoedu einer der Köpfe der »nigerianischen Drogenmafia«. Charles Ofoedu wurde vom Vorwurf der organisierten Kriminalität und des Drogenhandels mittlerweile freigesprochen. Nachdem der oberste Gerichtshof am 15. Jänner dieses Jahres das Urteil gegen Emmanuel Chukwujekwu aufgehoben und die Strafsache an die Erstinstanz zurückgewiesen hat, wurde Chukwujekwu von dieser am 13. Juli (noch nichts rechtskräftig) freigesprochen.

Prozess Nr. 1

Der ursprüngliche Prozess gegen Chukwujekwu hat in einem Klima stattgefunden, in dem die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt schien. Bei Chukwujekwu wurden niemals Drogen oder Drogengeld gefunden, noch wurde er jemals direkt beobachtet, wie er Drogen verkauft hat. Die Begründung für die Berufung des Staatsanwaltes, dem neun Jahre noch zu wenig waren, ist an Fadenscheinigkeit kaum noch zu überbieten. Chukwujekwu hat eine »nicht mehr genau feststellbare Menge Heroin und Kokain ... mit nicht mehr festellbarem ... Wirkstoffgehalt gewerbsmäßig, als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung solcher strafbarer Handlungen durch Verkauf an unbekannt gebliebene Organisationsmitglieder in Verkehr« gesetzt. Dazwischen gestreut ein paar durch nichts belegte Mutmaßungen über die Menge der Drogen etc. In der Begründung für die Aufhebung des Urteils schreibt der Oberste Gerichtshof den Zeugenaussagen seien »keine Details zum Beobachtungs- und Tatzeitraum, zu Art, Menge oder Qualität der übergebenen Suchtmittel und keine hinreichenden Anhaltspunkte für die gewerbsmäßige Weitergabe übergroßer Suchtgiftmengen im Rahmen einer so genannten ,Großbande’ zu entnehmen.«. Das Urteil war von Rechtsanwalt Binder mit einer auf mehrere Gründe gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft worden. Die Angelegenheit war für den Obersten Gerichtshof so klar, dass er, nach der Feststellung, die Mängelrüge sei gerechtfertigt, keine Notwendigkeit sah, auch die anderen Beschwerdepunkte zu prüfen und das Urteil aufhob und an die Erstinstanz zurückverwies.

Die ZeugInnen

Die ZeugInnen, die Emmanuel Chukwujekwu belasteten, waren u. a. eine Kronzeugin, die unter Polizeischutz stand, die selbst angeklagt war und reihenweise in Operation-Spring-Prozessen aussagte, und ein ursprünglich anonymisierter Zeuge. Die Aussagen der beiden in der Hauptverhandlung sind so unkonkret, dass sie kaum als Belastungszeuginnen gesehen werden können. Chukwujekwu musste übrigens den Verhandlungssaal während der Zeuginnenanhörung ohne nähere Begründung verlassen. Der Kronzeugin musste der Richter die Antworten schon in den Mund legen, um ihrer Ahnungslosigkeit wenigstens den Anschein einer Begründung zu geben.

Anwalt: Kennen Sie den Beschuldigten, haben Sie ihn schon einmal gesehen?
Zeugin: Weiß ich nicht, ich kann mich nicht erinnern.
A: Wo haben Sie ihn kennen gelernt, wo gesehen?
Z: Weiß ich nicht.
(...)
A: Gibt es eine Erklärung dafür, dass Sie jetzt keine Erinnerung daran mehr haben?
Z: (keine Antwort)
A: Wollen Sie nichts mehr aussagen?
Einwurf des Richters: Damals (bei den Einvernahmen; Anm.) haben Sie die Wahrheit gesagt?
Z: Ja sicher, ich habe die Wahrheit gesagt.
Richter: Und heute können Sie sich nicht mehr erinnern, Sie haben ihr Leben umgestellt, nicht wahr?
Z: Es ist lange her, ich habe mein Leben umgestellt,
R: Und das ist jetzt ein Verdrängungsmechanismus?
Z: Ja, ich habe alles verdrängt.

Das überaus große Verständnis des Richters für die Belastungszeugin lässt ihn in der Urteilsschrift noch einmal einen Grund dafür finden, warum die Zeugin nicht die erwartete Aussagen von sich gab: »Dass die Zeugin J. in der Hauptverhandlung am 8.5.2001 sich an nichts mehr erinnern (sic!) wollte oder konnte und auf ihre bisherigen Angaben verwies, ist nicht verwunderlich; wurde sie doch in einer Vielzahl von Verhandlungen gegen Akteure der ,Aktion Spring’ in z. T. äußerst unangenehmer Weise befragt.« Der ursprünglich anonymisierte Zeuge hat, nachdem er selbst verurteilt worden war und offenbar eine Strafe erhielt, die er sich aufgrund seiner zahlreichen Zeugenaussagen nicht erwartet hatte, sich selbst deanonymisiert und brachte den Richter fast zur Weißglut, weil er nicht mehr bereit war Chukwujekwu zu beschuldigen.

A: Haben Sie gesehen, dass der Beschuldigte mit Suchtgift dealte, oder in der Hand gehabt hat?
Z: Never at all!
(…)
A: Hat er gesehen, dass der Beschuldigte größere Geldbeträge in der Hand hatte, als normal ist, um eine Speise in einem Restaurant zu bezahlen?
Z: Nein.

All das reichte offenbar nicht, um die Haltlosigkeit der Anklage zu erkennen. Nur vom Vorwurf der organisierten Kriminalität wurde Chukwujekwu freigesprochen. Das Urteil lautete neun Jahre Haft. Bemerkenswert auch einige Aussagen des Richters in der Urteilsbegründung. Er spricht davon, dass die »kriminelle Organisation« (von diesem Vorwurf wurde Chukwujekwu freigesprochen) ein »Massenmörder unserer Jugend« sei. Die Video-bänder, die im Rahmen von Observationen aufgenommen wurden, hätte er aufgrund der schlechten Qualität und seines schlechten Augenlichts zwar nicht heranziehen können, »eine Bekräftigung der Schuld ist aber als gegeben anzunehmen«, so der Richter. Über die akustischen Überwachungsaufzeichnungen, die regelmäßig in den Prozessen gegen Angeklagte der »Operation Spring« als Belastungsmaterial Verwendung fanden, urteilte vor kurzem das Institut für Schallforschung, dass die einzelnen Stimmen nicht erforschbar sind, weil die Hintergrundgeräusche zu laut sind. Ein Umstand, der den »Übersetzer« offenbar nicht störte. In der Öffentlichkeit ist über die Folgen der »Operation Spring« kaum noch etwas zu hören. Der Schriftsteller Charles Ofoedu war noch ein Thema für die Medien. Die restlichen Gefangen interessieren kaum jemanden. Gäbe es nicht die Gruppe Gemmi und ein paar engagierte Anwälte wäre wohl schon längst Gras über diesen Polizei- und Justizskandal gewachsen. So bleibt zu hoffen, dass weiteren der unschuldig Eingesperrten durch eine Aufhebung der Ersturteile und einen neuen Prozess Gerechtigkeit widerfährt und als Folge davon vielleicht auch innerhalb der Justiz klar wird, dass wohl weniger die Fakten als rassistische Stereotypen der Grund für viele, wenn nicht die meisten der Verurteilungen waren. Wer sich über die Operation Spring informieren will, dem sei die erste Ausgabe von dérive empfohlen, die bei uns bestellt werden kann. Zusätzlich gibt es auf unserer Website zahlreiche Dokumente, Protokolle, Briefe etc. Weitere Informationen gibt es auf der Website von Für eine Welt ohne Rassismus (www.no-racism.net), dort befinden sich auch Informationen von und über GEMMI.


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