Das Urban Projekt
Imageprodukt oder städtischer Freiraum?Das Erscheinungsbild des sogenannten West-Bereichs des Gürtel hat sich durch die jüngst stattgefundenen Umgestaltungen auf den ersten, flüchtigen, vorbeifahrenden Blick zum Positiven verändert. Geht der Blick aber tiefer oder kommt er aus der Perspektive von FussgängerInnen und Radfahrerlnnen, zeigen sich die Schwachstellen des Konzepts in der Verwirklichung.
Kritik an Analyse und Konzept
Unter www.guertel.at kann nachgelesen werden, was sich in dieser städtebaulich interessanten und sensiblen Zäsur in und durch
‘Wien verändert und bewegt, seit das von der
EU geforderte Projekt in Angriff genommen
wurde.
Die ‘Website bietet neben zahlreichen Bildern
und Werbung in eigener Sache einiges an
Analysen zur Ausgangssituation und
beschreibt die Veränderungen im Rahmen des
URBAN-Projekts. Die »rauhe Zone«, als die
der Gürtel bezeichnet wird, die nicht näher
definiert, aber mit der Verkehrssituation und
der »Rotlichtszene« immer wieder in
Verbindung gebracht wird, soll trotz ihrer
Schrägheit wieder zu einem Raum für
»Menschen« werden. Abgesehen vom nostalgifizierenden »wieder«, das den städtischen
Freiraum der industriellen Revolution als primär für die »schönen« Bedürfnisse der
Menschen produzierten Raum versteht, und
so eine historisierende Paradigmenbildung des
städtischen Freiraums, seiner Funktion und
seiner Nutzung produziert, wird in der
Analyse ein negatives Bild des Gürtels vermittelt, welches aber nicht weiter definiert
wird, sondern durch die schwammig:
Beschreibung zu subjektiv-negativen Interpretationsmöglichkeiten auffordert. Das Bild von
einem Ort, auch wenn es nur mehr in der
Erinnerung existiert, prägt diesen Ort und hat
somit auch Einfluss auf die Nutzung. Das
produzierte Bild des Gürtelraums erscheint
dabei als ein entfremdetes, abweisendes, nicht
menschengerechtes und bereitet ein neues
Bild vor, in dem der Mensch, die Stadt und der
Freiraum als harmonisierte Einheit begriffen
werden kann. Die bloße Erwähnung der
»Schrägheit« und »Rauhigkeit« der Zone, die
offensichtlich eher an die Adresse der zeitgeistigen Betrachtungsweise gerichtet, denn als
planerisch-gestalterische Auseinandersetzung
gemeint ist, reicht weder für die Darstellung
der Problemlage, noch für die
Herausarbeitung von vorhandenen Qualitäten. Stattdessen wird die Illusion erzeugt,
dass durch die Umgestaltung der Oberfläche
alle Probleme gelöst wären. Zwar können
nicht alle Konflikte durch architektonische
oder freiraumplanerische Eingriffe gelöst werden, doch manifestiert sich der Umgang mit
verschiedenen Themen in konkreten baulichen Maßnahmen. Soziale Probleme wie
Obdachlosigkeit, Prostitution oder Drogenkonsum werden in der URBAN-Analyse nie
konkret angesprochen und können dadurch
auch gestalterisch nicht gelöst, sondern nur
verdrängt werden. Berücksichtigung finden
nur Ansprüche einer eingeschränkten Bevölkerungsgruppe, die mit marktwirksamen
Strategien befriedigt werden, wie die
Schaffung der »Kulturmeile«. So stellt sich
auch die Frage, ob diese Umgestaltungen für
Anwohnerinnen des Gürtelbereichs von
Nutzen und somit funktionell sind. Denn die
Zielgruppe der »Kulturmeile« unterscheidet
sich mit großer Wahrscheinlichkeit 1'011 der am
Gürtel lebenden Bevölkerungsgruppe.
Als Ziele der Umgestaltung werden unlösbare
‘Widersprüche angeführt, die darauf ausgerichtet sind. ein Gebiet mit »Verkehrsüberlastung« und »drohender Verslumung« zu einem
fußgängerfreundlichen »Naherholungsraum«
aufzuwerten. Anstatt den Gürtel als stark frequentierten Bereich der Stadt zu akzeptieren.
wird versucht. einen parkartigen »Grünraum«
mit linearer Ausbreitung und einzelnen
Verdichtungszonen zu schaffen. Verkehr wird
nur als Problem definiert, der Freiraum als
»Grünraum« behandelt. Nicht nur wird durch
die Dichotomisierung »Freiraum = Grünraum
menschenfreundlich« und »Verkehr = Lärm
und Abgase = menschenfeindlich« die Sichtweise extrem verkürzt, sondern auch übersehen, dass auch vom motorisierten Individualverkehr stark frequentierte Bereiche einer
Stadt Potentiale für verschiedene Arten der
Nutzung aufweisen. Zudem befinden sich in
den angrenzenden Bezirken verschiedene
Freiräume unterschiedlicher Qualitäten, die
durch den Freiraum am Gürtel hätten vernetzt
werden können, was in keiner Weise angedacht wird.
Konkrete Schritte
Die teilweise schon oben erwähnten
Ansprüche an das Projekt sind zusammengefasst die Schaffung von Naherholungsräumen.
die Einbeziehung der Bevölkerung in das
Projekt und der Aspekt der Sicherheit im
öffentlichen Raum.
Jedoch gibt es auch verdeckte Ansprüche, die
sich subtil, im Test und in der baulichen
Umsetzung manifestieren. So soll das projizierte negative Image beseitigt werden. Dies
geschieht einerseits durch die Neugestaltung
an sich. andererseits durch Verdrängung
bestimmter Bevölkerungsgruppen. Vor der
Beratungsstelle für Obdachlose in der U-
Bahn-Station Josefstädterstraße wurden die
Beeteinfassungen mit einem Metallrohr versehen, sodass das Sitzen auf den ohnehin schmalen Betonsockeln unmöglich wird, während
die selben Betonsockeln ohne Metallrohr sich
vor dem »Rhiz« reger Nutzung erfreuen.
Durch diese baulichen Maßnahmen werden
Gruppen von der Nutzung des Freiraums bewusst ausgeschlossen. Diverse Bevölkerungsgruppen werden marginalisiert behandelt, immer nur als Problem gesehen und nie
als Teil des städtischen Lebens betrachtet.
Weiters stellt sich die Frage, inwieweit
Migrantlnnen. die einen Gutteil der Wohnbevölkerung in diesem Gebiet der Stadt ausmachen. die »Kulturmeile« nutzen, nutzen können und nutzen wollen.
Die neu entstandene Hundezone in der Nähe
der Station Jorsefstädterstraße, bestehend aus
einem mit Metallzaun und Türen eingefassten
Stück Rasen, wirkt mehr wie ein liebloses
Zugeständnis an die BewohnerInnen, denn
wie ein durchdachter Schritt der Beteiligung,
Die Beleuchtung der U-Bahn-Bögen und der
Durchgänge durch Strahler und die bessere
Ausleuchtung des Straßenraumes sind
Kernpunkte des Projekts Im Zusammenhang
mit der Entfernung der Strauchgruppen vor
den Stadtbahnbögen entsteht ein in der Nacht
gut ausgeleuchteter. überschaubarer Raum.
Das subjektive Gefühl der Sicherheit konnte
dadurch gegenüber der Ausgangssituation
sicher gesteigert werden. Auch die »Belebung«
der Lokale in den Stadtbahnbögeti trägt dazu
bei, da Sicherheit im öffentlichen Raum
immer mit sozialer Kontrolle einhergeht. Ob
die gesetzten Maßnahmen ausreichen, und ob
sie in allen Nutzerinnen des Gürtels ein
Sicherheitsgefühl auslösen, und ob das auf
alle neugestalteten Bereiche zutrifft, bleibt
fraglich. Denn immer noch gibt es lange
Abschnitte (zum Beispiel zwischen Volksoper
und wo sich weder lokale noch andere belebte Punkte befinden. Die Imageproduktion des »sicheren Gürtels« erweist sich
gerade in diesen Bereichen als und
zu kurz gegriffen. Hier müssen- weitere
Maßnahmen ergriffen werden, um das
Sicherheitsgefühl herzustellen, wie es zum
Beispiel durch das Aufstellen (versperrbarer)
Telefonzellen oder Notrufsäulen möglich ist.
In diesem Zusammenhang wäre auch die
Frage zu klären, ob die auf der Straße stattfin-
dende Prostitution eine Art der sozialen
Kontrolle ist, oder ob sie, wie in der Analyse
unterstellt, nur negative Auswirkungen hat. In
diesem Zusammenhang tritt das
Auseinanderklaffen zwischen bemühter
lmagekorrektur und tatsächlicher Alltagstauglichkeit hervor: ohne Berücksichtigung
und Miteinbeziehung des real stattfindenden
Lebens auf der Straße, zu dem die
Prostitution nun einmal gehört, kann im
freien Raum Öffentlichkeit und Sicherheit
zumal es sich hierbei um jene der Nacht handelt - nicht hergestellt werden.
Im folgenden wird noch weiter auf
Möblierung und Matetialien eingegangen, um
einerseits die Auswirkungen der baulichen
Maßnahmen zu zeigen, andererseits das
Gestaltungskonzept zu hinterfragen.
Neue Ausstattung und Materialien kommen
der Wirkung von Freiräumen, und somit auch
ihrem Image immer zugute; »was aber noch
nicht mit der Nutzungstauglichkeit in unmittelbarem Zusammenhang stehen muss. Ein
Beispiel dafür sind die neuen Bänke entlang
der Stadtbahnbögen sowie auf den Plätzen
und Vorbereichen der Stationen. Das für diesen
Freiraum etwas zu lieblich wirkende Parkbankmodell ist meistens fest mit dem
Untergrund verbunden und kann von Passantlnnen nicht bewegt werden und ist außer-
dem zu kurz, um darauf liegen zu können.
Wodurch der gezielte Ausschluß von Bevölkerungsgruppen wieder bestätigt wird. Auch dass die Bänke nicht an andere Orte verschoben
werden können, zeigt die strukturelle Bevormundung der Nutzerinnen. Es ist außerdem
nicht verständlich, warum gerade im Vorbereieh der Kirche (Nähe Josefstädterstraße) auf
dem verkehrsberuhigten UhI-Platz keine einzige Bank aufgestellt wurde.
Die neu entworfenen Stände sowie die
bewährten Citylight-Wartehäuschen an den
Haltestellen bilden durch ihre Transparenz
eine Ergänzung aus Straßenbeleuchtung.
Leider wurden die bereits bestehenden WC-Anlagen (zum Beispiel bei der Volksnper und
am Urban-Loritz-Platz) nicht erneuert oder in
die Neugestaltung integriert. Durch ihre
Standarte entstehen Restflächen, die nicht
genutzt werden können und zum Teil klassische, uneinsichtige, dunkle Angsträume darstellen. Die Führung der querenden Straßenbahnen lässt Zwickel im Freiraum entstehen, die nur als Restfläche behandelt werden können. Gerade im Bereich der Josefstädterstraße und dem Urban-Loritz-Platz entstehen für Fußgängerlnnen und Radfahretlnnen oft unklare »Insel-Situationen«, die das Überqueren dieser Bereiehe erschweren und teilweise gefährlich werden lässt.
Die Absperrungen zwischen Fußgängerlnnenbereichen und Fahrbahn aus Metallrohren
und -seilen wirken in ihrer Dimension zu fragil und sind teilweise schon zerstört. Sie bieten
Fußgängerlnnen keinen Schutz oder Leitfunktinn und sind im Verkehrsgeschehen der
Kreuzungs- und Haltestellenbereiche zu wenig deutlich wahrnehmbar. Welche Funktion die vielen versperrten, oben offenen »Käfige« in den Durchgängen haben, konnten
die Verfasserlnnen nicht beantworten.
Außerhalb der verdichteten Zonen wie
Haltestellen, platzartigen Erweiterungen und
Durchgängen wurde weitestgehend auf
Möblierung (außer Bänken) verzichtet.
Dadurch entsteht ein klar strukturierter, über-
schaubarer Raum. Leider finden sich hier bis
jetzt nicht einmal Mistkübeln, hingegen wurde
an Pollern nicht gespart.
Der Fokus der Nutzung wird durch diese
Gestaltung auf Sitzen und Betrachten gelenkt,
was einem klassischen Bild vom Park entspricht. Auf einer der belebtesten Straßen des
Landes und einer der wichtigsten Fahrradverbindungen der Stadt müssen andere Arten der Nutzung angedacht werden. Diese können
durchaus temporär sein und sich der
Geschwindigkeit, die diesen Ort mitprägt, anpassen.
Ein Großteil der Veränderungen bezieht sich
aber abgesehen von der Beleuchtung auf die
Erneuerung des Bodenbelages und des
Mobiliar sowie die Entfernung der Sträucher.
(Die neuen Bewässerungs- und Belüftungsanlagen der Alleebäume werden nicht unmittelbar wahrgenommen.) Auf eine Nutzung
jenseits der Parkanlagen-Ideologie wurde
nicht eingegangen, Potentiale wurden dadurch
nicht ausgeschöpft. So verläuft sich der
Großteil des Projekts in der oberflächlichen
Behübschung eines Verkehrsraumes, der aber
nicht als solcher behandelt wird.
Die Vereinheitlichung VDI‘! Bodenbelägen, Ausstattung und Mobiliar entlang des behandelten Gürtelabschnittes trägt sicher dazu bei, den Gürtel als Einheit und als eigenständigen Teil der Stadt zu erleben. Die entstandenen Veränderungen sind aber nur teilweise offen- sichtlich, denn vieles was an Veränderung stattgefunden hat, basiert auf der Verdrängung von Bevölkerungsgruppen und sozialen Schichten. Die »Kulturmeile«, die durch die Belebung der Stadtbahnbögen entstanden, und ihre Freiräume, die teilweise als behübschte Zonen verstanden werden können, sind auf ein junges, sogenanntes urbanes Publikum weißer Hautfarbe ausgerichtet.
Nina Danklmaier
Philipp Rode