Nina Danklmaier

Philipp Rode


Kritik an Analyse und Konzept

Unter www.guertel.at kann nachgelesen werden, was sich in dieser städtebaulich interessanten und sensiblen Zäsur in und durch ‘Wien verändert und bewegt, seit das von der EU geforderte Projekt in Angriff genommen wurde.
Die ‘Website bietet neben zahlreichen Bildern und Werbung in eigener Sache einiges an Analysen zur Ausgangssituation und beschreibt die Veränderungen im Rahmen des URBAN-Projekts. Die »rauhe Zone«, als die der Gürtel bezeichnet wird, die nicht näher definiert, aber mit der Verkehrssituation und der »Rotlichtszene« immer wieder in Verbindung gebracht wird, soll trotz ihrer Schrägheit wieder zu einem Raum für »Menschen« werden. Abgesehen vom nostalgifizierenden »wieder«, das den städtischen Freiraum der industriellen Revolution als primär für die »schönen« Bedürfnisse der Menschen produzierten Raum versteht, und so eine historisierende Paradigmenbildung des städtischen Freiraums, seiner Funktion und seiner Nutzung produziert, wird in der Analyse ein negatives Bild des Gürtels vermittelt, welches aber nicht weiter definiert wird, sondern durch die schwammig: Beschreibung zu subjektiv-negativen Interpretationsmöglichkeiten auffordert. Das Bild von einem Ort, auch wenn es nur mehr in der Erinnerung existiert, prägt diesen Ort und hat somit auch Einfluss auf die Nutzung. Das produzierte Bild des Gürtelraums erscheint dabei als ein entfremdetes, abweisendes, nicht menschengerechtes und bereitet ein neues Bild vor, in dem der Mensch, die Stadt und der Freiraum als harmonisierte Einheit begriffen werden kann. Die bloße Erwähnung der »Schrägheit« und »Rauhigkeit« der Zone, die offensichtlich eher an die Adresse der zeitgeistigen Betrachtungsweise gerichtet, denn als planerisch-gestalterische Auseinandersetzung gemeint ist, reicht weder für die Darstellung der Problemlage, noch für die Herausarbeitung von vorhandenen Qualitäten. Stattdessen wird die Illusion erzeugt, dass durch die Umgestaltung der Oberfläche alle Probleme gelöst wären. Zwar können nicht alle Konflikte durch architektonische oder freiraumplanerische Eingriffe gelöst werden, doch manifestiert sich der Umgang mit verschiedenen Themen in konkreten baulichen Maßnahmen. Soziale Probleme wie Obdachlosigkeit, Prostitution oder Drogenkonsum werden in der URBAN-Analyse nie konkret angesprochen und können dadurch auch gestalterisch nicht gelöst, sondern nur verdrängt werden. Berücksichtigung finden nur Ansprüche einer eingeschränkten Bevölkerungsgruppe, die mit marktwirksamen Strategien befriedigt werden, wie die Schaffung der »Kulturmeile«. So stellt sich auch die Frage, ob diese Umgestaltungen für Anwohnerinnen des Gürtelbereichs von Nutzen und somit funktionell sind. Denn die Zielgruppe der »Kulturmeile« unterscheidet sich mit großer Wahrscheinlichkeit 1'011 der am Gürtel lebenden Bevölkerungsgruppe.
Als Ziele der Umgestaltung werden unlösbare ‘Widersprüche angeführt, die darauf ausgerichtet sind. ein Gebiet mit »Verkehrsüberlastung« und »drohender Verslumung« zu einem fußgängerfreundlichen »Naherholungsraum« aufzuwerten. Anstatt den Gürtel als stark frequentierten Bereich der Stadt zu akzeptieren. wird versucht. einen parkartigen »Grünraum« mit linearer Ausbreitung und einzelnen Verdichtungszonen zu schaffen. Verkehr wird nur als Problem definiert, der Freiraum als »Grünraum« behandelt. Nicht nur wird durch die Dichotomisierung »Freiraum = Grünraum menschenfreundlich« und »Verkehr = Lärm und Abgase = menschenfeindlich« die Sichtweise extrem verkürzt, sondern auch übersehen, dass auch vom motorisierten Individualverkehr stark frequentierte Bereiche einer Stadt Potentiale für verschiedene Arten der Nutzung aufweisen. Zudem befinden sich in den angrenzenden Bezirken verschiedene Freiräume unterschiedlicher Qualitäten, die durch den Freiraum am Gürtel hätten vernetzt werden können, was in keiner Weise angedacht wird.

Konkrete Schritte

Die teilweise schon oben erwähnten Ansprüche an das Projekt sind zusammengefasst die Schaffung von Naherholungsräumen. die Einbeziehung der Bevölkerung in das Projekt und der Aspekt der Sicherheit im öffentlichen Raum.
Jedoch gibt es auch verdeckte Ansprüche, die sich subtil, im Test und in der baulichen Umsetzung manifestieren. So soll das projizierte negative Image beseitigt werden. Dies geschieht einerseits durch die Neugestaltung an sich. andererseits durch Verdrängung bestimmter Bevölkerungsgruppen. Vor der Beratungsstelle für Obdachlose in der U- Bahn-Station Josefstädterstraße wurden die Beeteinfassungen mit einem Metallrohr versehen, sodass das Sitzen auf den ohnehin schmalen Betonsockeln unmöglich wird, während die selben Betonsockeln ohne Metallrohr sich vor dem »Rhiz« reger Nutzung erfreuen. Durch diese baulichen Maßnahmen werden Gruppen von der Nutzung des Freiraums bewusst ausgeschlossen. Diverse Bevölkerungsgruppen werden marginalisiert behandelt, immer nur als Problem gesehen und nie als Teil des städtischen Lebens betrachtet. Weiters stellt sich die Frage, inwieweit Migrantlnnen. die einen Gutteil der Wohnbevölkerung in diesem Gebiet der Stadt ausmachen. die »Kulturmeile« nutzen, nutzen können und nutzen wollen.
Die neu entstandene Hundezone in der Nähe der Station Jorsefstädterstraße, bestehend aus einem mit Metallzaun und Türen eingefassten Stück Rasen, wirkt mehr wie ein liebloses Zugeständnis an die BewohnerInnen, denn wie ein durchdachter Schritt der Beteiligung, Die Beleuchtung der U-Bahn-Bögen und der Durchgänge durch Strahler und die bessere Ausleuchtung des Straßenraumes sind Kernpunkte des Projekts Im Zusammenhang mit der Entfernung der Strauchgruppen vor den Stadtbahnbögen entsteht ein in der Nacht gut ausgeleuchteter. überschaubarer Raum. Das subjektive Gefühl der Sicherheit konnte dadurch gegenüber der Ausgangssituation sicher gesteigert werden. Auch die »Belebung« der Lokale in den Stadtbahnbögeti trägt dazu bei, da Sicherheit im öffentlichen Raum immer mit sozialer Kontrolle einhergeht. Ob die gesetzten Maßnahmen ausreichen, und ob sie in allen Nutzerinnen des Gürtels ein Sicherheitsgefühl auslösen, und ob das auf alle neugestalteten Bereiche zutrifft, bleibt fraglich. Denn immer noch gibt es lange Abschnitte (zum Beispiel zwischen Volksoper und wo sich weder lokale noch andere belebte Punkte befinden. Die Imageproduktion des »sicheren Gürtels« erweist sich gerade in diesen Bereichen als und zu kurz gegriffen. Hier müssen- weitere Maßnahmen ergriffen werden, um das Sicherheitsgefühl herzustellen, wie es zum Beispiel durch das Aufstellen (versperrbarer) Telefonzellen oder Notrufsäulen möglich ist. In diesem Zusammenhang wäre auch die Frage zu klären, ob die auf der Straße stattfin- dende Prostitution eine Art der sozialen Kontrolle ist, oder ob sie, wie in der Analyse unterstellt, nur negative Auswirkungen hat. In diesem Zusammenhang tritt das Auseinanderklaffen zwischen bemühter lmagekorrektur und tatsächlicher Alltagstauglichkeit hervor: ohne Berücksichtigung und Miteinbeziehung des real stattfindenden Lebens auf der Straße, zu dem die Prostitution nun einmal gehört, kann im freien Raum Öffentlichkeit und Sicherheit zumal es sich hierbei um jene der Nacht handelt - nicht hergestellt werden.
Im folgenden wird noch weiter auf Möblierung und Matetialien eingegangen, um einerseits die Auswirkungen der baulichen Maßnahmen zu zeigen, andererseits das Gestaltungskonzept zu hinterfragen.
Neue Ausstattung und Materialien kommen der Wirkung von Freiräumen, und somit auch ihrem Image immer zugute; »was aber noch nicht mit der Nutzungstauglichkeit in unmittelbarem Zusammenhang stehen muss. Ein Beispiel dafür sind die neuen Bänke entlang der Stadtbahnbögen sowie auf den Plätzen und Vorbereichen der Stationen. Das für diesen Freiraum etwas zu lieblich wirkende Parkbankmodell ist meistens fest mit dem Untergrund verbunden und kann von Passantlnnen nicht bewegt werden und ist außer- dem zu kurz, um darauf liegen zu können. Wodurch der gezielte Ausschluß von Bevölkerungsgruppen wieder bestätigt wird. Auch dass die Bänke nicht an andere Orte verschoben werden können, zeigt die strukturelle Bevormundung der Nutzerinnen. Es ist außerdem nicht verständlich, warum gerade im Vorbereieh der Kirche (Nähe Josefstädterstraße) auf dem verkehrsberuhigten UhI-Platz keine einzige Bank aufgestellt wurde.
Die neu entworfenen Stände sowie die bewährten Citylight-Wartehäuschen an den Haltestellen bilden durch ihre Transparenz eine Ergänzung aus Straßenbeleuchtung. Leider wurden die bereits bestehenden WC-Anlagen (zum Beispiel bei der Volksnper und am Urban-Loritz-Platz) nicht erneuert oder in die Neugestaltung integriert. Durch ihre Standarte entstehen Restflächen, die nicht genutzt werden können und zum Teil klassische, uneinsichtige, dunkle Angsträume darstellen. Die Führung der querenden Straßenbahnen lässt Zwickel im Freiraum entstehen, die nur als Restfläche behandelt werden können. Gerade im Bereich der Josefstädterstraße und dem Urban-Loritz-Platz entstehen für Fußgängerlnnen und Radfahretlnnen oft unklare »Insel-Situationen«, die das Überqueren dieser Bereiehe erschweren und teilweise gefährlich werden lässt.
Die Absperrungen zwischen Fußgängerlnnenbereichen und Fahrbahn aus Metallrohren und -seilen wirken in ihrer Dimension zu fragil und sind teilweise schon zerstört. Sie bieten Fußgängerlnnen keinen Schutz oder Leitfunktinn und sind im Verkehrsgeschehen der Kreuzungs- und Haltestellenbereiche zu wenig deutlich wahrnehmbar. Welche Funktion die vielen versperrten, oben offenen »Käfige« in den Durchgängen haben, konnten die Verfasserlnnen nicht beantworten.
Außerhalb der verdichteten Zonen wie Haltestellen, platzartigen Erweiterungen und Durchgängen wurde weitestgehend auf Möblierung (außer Bänken) verzichtet. Dadurch entsteht ein klar strukturierter, über- schaubarer Raum. Leider finden sich hier bis jetzt nicht einmal Mistkübeln, hingegen wurde an Pollern nicht gespart.
Der Fokus der Nutzung wird durch diese Gestaltung auf Sitzen und Betrachten gelenkt, was einem klassischen Bild vom Park entspricht. Auf einer der belebtesten Straßen des Landes und einer der wichtigsten Fahrradverbindungen der Stadt müssen andere Arten der Nutzung angedacht werden. Diese können durchaus temporär sein und sich der Geschwindigkeit, die diesen Ort mitprägt, anpassen.
Ein Großteil der Veränderungen bezieht sich aber abgesehen von der Beleuchtung auf die Erneuerung des Bodenbelages und des Mobiliar sowie die Entfernung der Sträucher. (Die neuen Bewässerungs- und Belüftungsanlagen der Alleebäume werden nicht unmittelbar wahrgenommen.) Auf eine Nutzung jenseits der Parkanlagen-Ideologie wurde nicht eingegangen, Potentiale wurden dadurch nicht ausgeschöpft. So verläuft sich der Großteil des Projekts in der oberflächlichen Behübschung eines Verkehrsraumes, der aber nicht als solcher behandelt wird.

Die Vereinheitlichung VDI‘! Bodenbelägen, Ausstattung und Mobiliar entlang des behandelten Gürtelabschnittes trägt sicher dazu bei, den Gürtel als Einheit und als eigenständigen Teil der Stadt zu erleben. Die entstandenen Veränderungen sind aber nur teilweise offen- sichtlich, denn vieles was an Veränderung stattgefunden hat, basiert auf der Verdrängung von Bevölkerungsgruppen und sozialen Schichten. Die »Kulturmeile«, die durch die Belebung der Stadtbahnbögen entstanden, und ihre Freiräume, die teilweise als behübschte Zonen verstanden werden können, sind auf ein junges, sogenanntes urbanes Publikum weißer Hautfarbe ausgerichtet.


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