Den Glauben verlieren und Räume produzieren
Besprechung von »Did Someone Say Participate? An Atlas of Spatial Practice« herausgegeben von Markus Miessen und Shumon BasarAuf dem Cover von Did someone say participate? ist zu lesen, dass wir einen „Bericht von der Front kulturellen Aktivismus“ in den Händen halten, „welcher von räumlichen Praktikern handelt, die in benachbarte oder feindliche Wissensgebiete eindringen“. Klappentexte sind immer seltsam und werden von den Verlagen geschrieben, um die Absatzzahlen zu tunen. „Das Cover verkauft das Buch“, hat mir ein Verleger vor kurzem erklärt. In dem Fall hätte der Verlag wohl auch auf solch einen dummen Abriss verzichten können: das Buch liegt gut in der Hand und wurde von dem Grafikdesign-Kollektiv Åbäke sehr schön gestaltet. Schon alleine deshalb würde und soll man es kaufen, meine ich.
Ein Klappentext ist aber auch aufschlussreich. So eine Headline will das Buch ja einer potenziellen Käuferschaft vermitteln. Nicht dass in diesem Falle der Dreizeiler komplett falsch wäre. Dennoch verkennt er den Inhalt des Buches total: Ja, es handelt sich um eine Art von kulturellem Aktivismus. Und ja, die AutorInnen bewegen sich in verschiedenen Fach- und Wissensgebieten; aber das sind zeitgenössische AktivistInnen, die hier praktizieren: den AutorInnen geht es mitnichten darum irgendwelche Oppositionen aufzubauen, sondern vielmehr Wissen aus anderen Gebieten für eine zeitgenössische, räumliche Praxis nutzbar zu machen – und das auf unterschiedliche, spannende Weise. In den Perspektiven, die in dem Buch versammelt sind, gibt es keine feindlichen Disziplinen, keine Front gegen etwas, wie das im Gegensatz dazu gerade die populäre Architekturjournalistik von der dominierenden Kriegsberichterstattung lernt.
Den Herausgebern Markus Miessen und Shumon Basar ging es mit der Produktion des vorliegenden Buches darum, eine grundlegend partizipative Disziplin jenseits der zeitgenössischen Lamenti über eine Stil- oder Formkrise in der Architektur zu umschreiben. Also die Praxis der Architektur dahingehend zu erweitern, die Produktion und den Wandel räumlicher Konditionen auch als Vorraussetzung für eine Analyse einer gesellschaftlichen und politischen Verfasstheit zu betrachten. Wie der Untertitel schon sagt: Das Buch ist ein Atlas räumlicher Praxis. Und wie ich meine, eine gelungene Karte des aktuellen, relevanten Diskurses. Auch wenn nicht alle Beiträge das einhalten, was ihre Titel versprechen. Und auch wenn – sogar mir (!)– die unkorrigierten Tippfehler etwas zu oft ins Auge springen.
Doch zum Inhalt: Die Texte sind so geordnet, dass der Leser mit dem kürzesten Beitrag von Hans Ulrich Obrist – das Preface – in der Welt der aktuellen spatial practice willkommen geheißen und mit dem längsten Textbeitrag von Michael Hirsch sowie zu guter Letzt mit einem kollaborativen Projekt der Architektin Céline Condorelli und der Künstlerin Beatrice Gibson über Mumbai entlassen wird. Der einführende Text der Herausgeber und der prägnante Beitrag Shumon Basars über den professionellen Amateur sind schnell gelesen und führen gut in die Thematik ein. Danach folgen mehrere Artikel mit verschiedenen Blickwinkeln auf aktuelle Themen der Architektur. Um nur einige der vielfältigen Beiträge zu erwähnen: Keller Easterling beschreibt Architektur und Urbanismus als mögliche Werkzeuge eines politischen Aktivismus; ein Interview mit Rebecca Gomberts (woman on waves) über die von ihr initiierten schwimmenden Abtreibungskliniken befasst sich mit Strategien des Sichtbar-Machens unscharfer, rechtlicher Räume; Matthew Murphy gibt flüchtige Eindrücke einer zukünftigen Architektur, er spricht über Methoden der Kontrolle und Ungehorsamkeit anhand neuer technologischer Entwicklungen; es findet sich auch ein Artikel von Peter Weibel über das Museum der Zukunft; und Eyal Weizman berichtet – wie gewohnt exzellent – diesmal über die Evakuierung israelischer Siedlungen und dem daraus entstehenden Konflikt über die Nachnutzung ebendieser räumlichen Strukturen. Dazwischen finden sich zwei von den Herausgebern kommentierte Fotostrecken: die eine von Armin Linke, die andere von Bas Princen.
Mit dem Titel des Buches, der wohl für manche ArchitekturkollegInnen irreführend sein mag, assoziiere ich auch noch etwas anderes: Slavoj Zizeks Buch Did somebody say Totalitarianism? Five Interventions in the (Mis)use of a Notion (2001). In diesem Sinne lehnt sich das Buch auch an das Theoriegebäude des slowenischen Philosophen an, der erst kürzlich in der New York Times einen Text über die Verteidiger des Glaubens publizierte. Darin plädiert Zizek in seiner Analyse des westlichen Liberalismus und des dominierenden, religiös gefärbten Toleranzbegriffes für einen radikalen Atheismus; er plädiert dafür den Glauben zu verlieren. Und genau das haben die KollegInnen in diesem Buch verstanden: Sie haben den Glauben an die Architektur verloren und dadurch die Möglichkeit erhalten, das enorme Wissen einer räumlichen Praxis für eine reflektierte Entwicklung der Gesellschaft einzusetzen; das ermöglicht ihnen auch als ArchitektInnen und RaumproduzentInnen wieder politisch zu agieren.
Andreas Rumpfhuber is an architect and researcher in Vienna.