
Der kurze Sommer der Anarchie
»Gustav Metzger. Geschichte Geschichte«, Ausstellung in der Generali Foundation WienGustav Metzger. Geschichte Geschichte
Generali Foundation, Wien
11.Mai bis 28. August 2005
Für jemanden, der den Namen Gustav Metzger nur flüchtig gekannt hat und ihn eher in peripherem Zusammenhang mit dem Wiener Aktionismus oder den Biographien von Pete Townshend (er zitierte ihn immer wieder als seinen Lehrer) gehört hat, war die Ausstellung und noch mehr der Katalog eine echte »Offenbarung«: Gustav Metzger ist ohne Zweifel ein Bindeglied zwischen radikal politischem Bewusstsein und konsequenter künstlerischer Haltung. Die vorderhand formale Verweigerung wirkt in der derzeit üblichen Kunstproduktion sicher irritierend, impliziert aber ganzheitliches und politisch-prozessuales Denken, welches man ja sonst eher nur von Josef Beuys kennt. Was Gustav Metzger so wesentlich von seiner »Wahlverwandtschaft« Beuys unterscheidet, ist seine durchgehend aktive politische Agitation, die schließlich bis zur künstlerischen Totalverweigerung gegangen ist. 1974 ruft er statt der Teilnahme an der Ausstellung »Art into Society – Society into Art« zum Kunststreik auf und befolgt diesen dann zwischen 1977 und 1980 auch tatsächlich selbst. Es beginnt eine Intensivierung von Vorträgen, Vorlesungen und Auftritten bei Universitätsveranstaltungen, die ein wesentlich breiteres Publikum erreichen als bei seinem berühmten 1966 stattfindenden »Destruction in Art Symposium« (DIAS). (Dazu gab es auch eine Podiumsdiskussion in der Generali Foundation.)
Die Ausstellung selbst, kuratiert von Sabine Breitwieser, unter der Mitarbeit von Cosima Rainer, stellt sich als breite Retrospektive des künstlerischen Schaffens Gustav Metzgers dar. Der Hauptraum ist den jüngeren Arbeiten, den »historic photographs«, auf die ich nochmals zurückkommen werde, gewidmet. Gleich links neben dem Eingang der Generali Foundation sind die ästhetisch auffallendsten Arbeiten, die »Crystal Projections«, positioniert. Dies sind Projektionen von sich selbst verändernden chemischen Prozessen von Flüssigkristallen, die an der Wand ein sich selbst modifizierendes, psychedelisches Farbenbild ergeben. Metzger spricht dabei von »autokreativer Kunst«. Dort sind auch einige frühe Dokumente der »autodestruktiven Kunst« zu sehen, die ja Ursprung und konzeptuellen Hintergrund der gesamten Arbeit Gustav Metzgers darstellen (z. B. ein Acid Nylon Painting von 1960). Im schmalen »Hauptnebenraum« wird dann dieser Ansatz vorwiegend über Nachbauten (z. B. Earth Minus Environment, 1992, oder Stockholm June, 1992) und seine »Verpackungsreadymades« verdeutlicht. Es sind dies Modelle von Projekten, wie sie Gustav Metzger immer wieder vorgeschlagen hat: Es werden Autos in speziellem Arrangement betrieben, so dass ihre Abgase vorzugsweise hinter Glas sichtbar werden und die Fahrzeuge sich schließlich selbst zerstören. Dabei geht es ihm immer wieder um Umweltfragen und deren politische Hintergründe, denen er durch die Zerstörung der »zerstörenden kapitalistischen Werte« (wie etwa Autos) begegnet. Ab etwa 1976 beginnt er sich intensiv mit dem Holocaust und dem Regime der Nationalsozialisten zu beschäftigen (z. B. AGUN International Symposium »Art in Germany Under National Socialism). – Er selbst ist dem Holocaust mit Glück entkommen, jedoch wurde der Großteil seiner Familie in Deutschland durch die SS ermordet. – Die Verdopplung des Begriffes »Geschichte« im Titel der Ausstellung bezieht sich sehr wahrscheinlich einerseits auf Gustav Metzgers eher jüngere Arbeiten, wo er historische Fotografien, meist mit nationalsozialistischen Propaganda-Szenen oder Holocaust-Darstellungen, hinter Stahlplatten, Holzverschlägen oder ähnlichem verschwinden lässt. Diese Arbeiten zählen – abgesehen von Performances mit Zeitungen – zu seinen aktuellsten Arbeiten. Andererseits ist es gerade Gustav Metzgers eigene Bedeutung in der Kunst-geschichte, die den 1926 in Nürnberg geborenen Künstler heute wieder in deren Fokus zieht. Haben wir denn nicht schon längst wieder Sehnsucht nach politischer Agitation in der Kunst? Die performative Komponente seiner Arbeit könnte jedenfalls nicht aktueller sein, doch eigentlich interessiert mich hier etwas anderes mehr: Als ich vor etwa zwei Wochen einen bekannten Theoretiker (Roland Schöny) in einen Raum führte und ihn danach fragte, was er sich dort wünschen würde, antwortete er in Anlehnung an Hans Magnus Enzensbergers Buch: »einen kurzen Sommer der Anarchie«. – Ein Wunsch, der mit Gustav Metzger sicher sehr konkret werden kann.
Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.