Otto Hochreiter

Otto Hochreiter ist Direktor des GrazMuseum.


Mit der Wahl der Architektur- und Urbanismustheoretikerin Angelika Fitz zur Direktorin des Architekturzentrums Wien liegt das von Dietmar Steiner in mehr als zwei Jahrzehnten aufgebaute Az W nun in den Händen einer international agierenden Persönlichkeit, welche um die gesellschaft- liche und ökonomische Komplexität von Architektur-entstehung weiß und diese auch vermitteln kann. Während ihres langwierigen Auswahlverfahrens ist im Birkhäuser Verlag Vom Nutzen der Architektur-. fotografie. Positionen zur Beziehung von Bild und Architektur erschienen, das Angelika Fitz und Gabriele Lenz gemeinsam mit der IG Architekturfotografie, einer österreichischen Interessensge- meinschaft, herausgegeben haben. Eine Quasi-Leistungsschau der Architekturfotografie (etwa von Hertha Hurnaus, Bruno Klomfar, Alexander E. Koller, Stefan Oláh oder Margherita Spiluttini) sollte dabei mit einer Analyse dessen verbunden werden, was Architekturfotografie heute zur Verbreitung, aber auch bei der Lektüre von rezent (Um-)Gebautem leistet. In ihren besten Ausformungen kann Fotografie eine durchaus gesteigerte Wahrnehmung ermöglichen durch wissende, konzentrierte, der Konkretheit verhaftete Blicke auf einen Punkt der Klarheit und der Erkenntnis, wie sie durch kein anderes Medium möglich ist.
Statt rund 20 ArchitekturfotografInnen in Kurzmonographien aneinander zu reihen, verteilen die Herausgeberinnen deren Werke in einer subtilen und komplexen Gliederung auf zehn Bildepisoden, welche die Beziehungen zwischen Fotografie und Architektur einem »Sichtwechsel« (A. Fitz) unterziehen. Diese zehn Kapitel argumentieren vor allem visuell, was etwa mit Nutzungsspuren, Handschrift, Künstlichkeit, Umnutzung, Archivierung gemeint ist. So entlarvt das Kapitel Frequenz: meistgenutzt I ungenutzt durch Gegenüberstellung von eingängigen key pictures und footage material die Bildstrategien der Werbefeldzüge in den Architekturmagazinen und -websites. Im Abschnitt Sichtwechsel: Vom Nutzen des Standpunkts agieren FotografInnen als eigenständige BildautorInnen, indem sie alternative, auch ironische Perspektiven einbringen. Zum Kapitel Bühne: Nutzungskontext kann die mit der Wirklichkeit so verknüpfte Fotografie wohl den allergrößten Beitrag leisten, weil sie jene Nachbarschaften ausloten kann, die in der strategi- schen Werbung für das einzelne Masterpiece ausgeblendet bleiben müssen. Und die Bildepisode Making Of: Vom Nutzen der Mittel zeigt den handwerklichen Aspekt des Berufes ArchitekturfotografIn, ohne jedoch näher auf das formale Rüstzeug, die visuelle Grammatik einzugehen, mit der aus der 3D-Unordnung der Welt per Auswahl und nicht durch Synthese ein flaches Bild geschaffen wird.
Es war eine gute Entscheidung, mit einem kriterienorientierten Raster, in dem immer »vom Nutzen« die Rede ist, an eine Darstellung heutiger Architekturfotografie eines Landes heranzugehen und sich dabei explizit, wie Angelika Fitz und Philip Ursprung, auf Friedrich Nietzsches Vom Nutzen und Nachteil der Historie fürs Leben zu berufen, also auch den Schaden in der Beziehung zwischen Fotografie und Architektur bewusst nicht auszuschließen. Der Nietzsche-Bezug ist wohl highly sophisticated, weil er den Nachteil des Nützlichseins für Bauherrn und Architekten nicht aus- sprechen muss. Spricht doch Nietzsche in seiner Vernichtung des Historismus als geschichtsphi- losophischer Haltung davon, dass nichts notwendiger ist als die Vergangenheit »kritisch« zu betrachten, »im Dienste des Lebens«.
Macht deshalb Ursprung in seinem Text einen weiten Bogen um die vielfarbige Anpreisungsästhetik und schreibt ausschließlich von FotografInnen, die keinesfalls der Architekturfotografie im engeren, dienstleistenden Sinn zuzuzählen sind, sondern im eigenen Auftrag, als sich selbst verpflichtete BildautorInnen arbeiteten und arbeiten? Louis Daguerre, Eugène Atget, Paul Strand, Bernd und Hilla Becher, Aglaia Konrad, Armin Linke und Simona Rota kann man nur in einem erweiterten Sinn, jedenfalls aber als kritische ArchitekturfotografInnen ansehen. Diese skeptischen FotografInnen nutzen die spezifischen Möglichkeiten der Fotografie als visuelles Medium der Architekturinterpretation zur bloßen Dokumentation oder auch zur Darstellung von etwas Überindividuellem: des Bau-Typus bzw. der ökonomischen Kräfte. In der kritischen oder skeptischen Architekturfotografie ging und geht es nicht nur um die optimale objektive Repräsentation, sondern auch um die Häufung von Konkretem zur Evozierung von etwas Abstraktem, Allgemeinem, das wiederum jedes einzelne Gebaute in diesen größeren Kontext stellt. »Skeptisch« oder »kritisch« in Zusammenhang mit Architekturfotografie hat beispielsweise Ludger Derenthal in seinem Text Ansicht Aussicht Einsicht verwendet und mit Blick auf Andreas Gursky, Thomas Ruff, Thomas Struth u.a. von »skeptischer Architekturphotographie« geschrieben. Ein Großteil der im gegenständlichen Buch gezeigten Auftragsarbeiten ist naturgemäß weder kritisch noch skeptisch.
Mit dem knapp 300seitigen Großformatband Vom Nutzen der Architekturfotografie ist ein erster gewichtiger Schritt in der Analyse der vielfältigen Beziehungen zwischen fotografischem Bild und Architektur gemacht worden, der sehr aus der Perspektive der Architektur angelegt wurde. Ein »Sichtwechsel« steht noch aus, um in diesem Genre die Perspektive der Fotografie voll auszuleuchten und die ihr immanenten Fragestellungen, wie Kritik und Affirmation, zu diskut- ieren, oder den Unterschied zwischen opaken und transparenten Fotografieformen, zwischen passiven und aktiven Bildausschnitten, oder die Hierarchien im Bildraum und die Begriffe von fotografischer Balance und Klarheit. Denn auch die Fotografie hat, wie die Architektur, ihre spezifische Begrifflichkeiten und Kontextuierungen. Auch in der Fotografie kann der Sinn einer Form in ihrer Bedeutung liegen: Denn nach Siegfried Kracauers Diktum der Zwanzigerjahre wird »in dem Kunstwerk [...] die Bedeutung des Gegenstandes zur Raumerscheinung, während in der Photographie die Raumerscheinung eines Gegenstandes seine Bedeutung ist. Beide Raumerscheinungen, die natürliche und die des erkannten Gegenstandes, decken sich nicht.«


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