Barbara Clausen


Barbara Holubs Musterbuch ideal living, erschienen diesen Herbst im Triton Verlag, und ihre zur gleichen Zeit präsentierte Ausstellung kollektion 2003/2004 – in einer wohnlandschaft herrscht kein bilderverbot in der Galerie Hohenlohe & Kalb in Wien boten einen Überblick sowie eine Auswahl ihrer aktuellen und bisherigen Projekte in Form von Objekten, Fotografien, Texten, Videos und Zeichnungen an. Die Ausstellung und das Buch zeigen laut Pressetext ein »Flechtwerk von verschiedenen Fragestellungen«, die von Holub zu einem Stoff verwoben und in verschiedene Objekte umgewandelt werden. Holubs »Stoff«, aus dem sie ihre Arbeiten produziert, besteht aus einer Vielzahl von Handlungsfäden und Erzählsträngen, die von der Künstlerin aus gesellschaftlichen, kommunikativen und performativen Codes zu einem Ganzen verwoben werden. Im Sinne ihrer künstlerischen Strategie setzt Holub die Kontextualisierung künstlerischer Produktionsbedingungen und Kommunikationsstrategien im Rahmen alltäglicher Handlungs- und Machtmechanismen um. Ihre Arbeiten werden in verschiedenen Medien (Videos, Hörspielen, Performances, Fotografien, Zeichnungen und Skulpturen) ausgeführt und entstehen meist in Zusammenarbeit mit »Akteuren des Alltages«, die sich aus AuftraggeberInnen, SponsorInnen, NachbarInnen, KollegInnen und Familienmitgliedern zusammensetzen. Im Sinne der guten Kollaboration mit ihrem Gegenüber ruft sie im inneren Klappendeckel ihres Musterbuches mit dem Satz: »nehmen wir uns den Freiraum, in dem wir der Kontrolle entgehen können« in ironisch ideologischer Weise auf, ihr in die inneren Netzwerke der Kulturproduktion zu folgen. Als Forscherin ästhetischer Formen und Kulturkommunikatorin setzt sich Holub anhand ihrer performativen Szenarien, Testsituationen, Beobachtungen und Objektgestaltungen mit einem Komplex von Fragen auseinander, die im Netzwerk von Ökonomie, Politik und Kultur verankert sind.
Beim Durchblättern von ideal living werden zwei Faktoren ersichtlich, die Holubs Buchprojekt hervorheben. So bietet sie die ihrem Werk immanenten verschiedenen Rezeptionsmöglichkeiten auch in Buchform an, in dem sie erstens die klassisch vorgegebene Leserichtung des Kunstbuches auflöst und zweitens den Entstehungsprozess in ihren Werkbegriff integriert. Holub erweitert den Umfang der üblichen dokumentarischen Projektpräsentation – unter anderem geht sie auf die Werke personal investigation, entstanden 1994, driven aus dem Jahr 1998, mit vorgehaltener hand aus dem Jahr 2000 oder ihr zweiteiliges Projekt zwischen rollen in 2000 und 2002 ein, indem sie im Rahmen ihrer Werkdokumentation auch dessen Produktionsbedingungen, AkteurInnen, Geschichte und Rezeption als gleichwertige Elemente darstellt und thematisiert. Holub verwischt die Grenze zwischen Werk und Dokumentation und stellt den Prozess der Entstehung ihrer Projekte als Werk in den Vordergrund.
Neben der Präsentation ihrer bisherigen Projekte in einer losen, chronologischen Form, sowie dem Abdruck zweier Hörspiele und einer Reihe von Videotexten, die sie aus den Dialogen der AkteurInnen montiert, verweist Holub bereits am Cover, durch den Titel, auf der Innenseite des Buchumschlages und auf den unteren Seitenrändern ihrer Projektbeschreibungen in einer sehr aufwändigen Grafik, die jedoch durch ihre einfärbige Schattierung (aubergine bis altrosa) angenehm lesbar bleibt, auf die ihrem Werk emblematischen Themenbereiche Kommunikation, Kunst und Gesellschaft hin. Holub rückt den meist auf die letzten Seiten verbannten Schlagwortindex in den Vordergrund, verknüpft so die Arbeiten miteinander und bricht die lineare Leserichtung. Die den Gebrauch und das Aussehen ihres Musterbuches bestimmenden Schlagwörter werden zu thematischen und kommunikativen Knotenpunkten, die das nicht greifbare Ganze miteinander verbinden. Begriffe wie Unterwanderung (Seite 17, 23, 45, 59, 107), Spurensuche (Seite 9, 106), teilhaben (Seite 7, 23, 42,54,119), Identifikation (Seite 8,45) und private Investigation (Seite 7, 34, 58, 115) erscheinen als Zweittext und bilden ein Netz von Begriffen, das im Sinne des kunsthandwerklichen Musterbuches den Prozess, den Kontext und den »roten Faden« in Holubs Werk darstellt. Ein Interview mit der Kuratorin Maia Damianovic, das Holubs Methoden und Motivationen ersichtlich macht, und ein Essay des Kulturtheoretikers Georg Schöllhammer, der den theoretischen Rahmen für Holubs Arbeit skizziert und ihr Werk im sozial-politischen Kontext einordnet, bilden den Abschluss der Werkschau.
Das Musterbuch verfolgt wie Holubs Videos, Objekte und Bilder in der Ausstellung das Ziel, kommunikative und performative Zwischenräume des Alltages aufzuzeigen, und die in den Dingen liegenden Entstehungsprozesse und Funktionen, die unseren Umgang, unsere Kommunikation und Formensprache prägen, zu erschließen. Holubs Motto der Ausstellung »wie lebt es sich mit kunst von barbara holub« nimmt die Gewissensfrage nach einem persönlichen Konsens mit der nächsten und weitesten Umgebung auf. In der Ausstellung arbeitet Holub im Unterschied zu ihren im Buch gezeigten Projekten alleine. Die von ihr inszenierten »Räume« im Buch und in der Ausstellung bieten ihren AkteurInnen in diesem Projekt, den AusstellungsbesucherInnen und KundInnen der Galerie, Möglichkeiten und Anregungen, um die formgebenden Alltagsprozesse des Privaten und Öffentlichen als Repräsentationsformen und Handlungsräume im Kontext der Ökonomie und Kultur zu erkennen.
Holubs Objekte, zwischen Skulptur und Design, waren in der Galerie auf drei Räume verteilt und bildeten verschiedene Gruppierungen, die sich aus zwei Logomatten, mehreren Banderola-Sofas, einem Wandobjekt und einem Couchtisch aus Autoscheiben, einem Video, einem Paravent, einer Lampe und einer Reihe von Fotografien und Inkjetprints zusammensetzten. Die mit Zeichnungen und Bildcollagen der Künstlerin versehenen Objektskulpturen ihrer »Wohnlandschaftkollektion« gehen in ihrer Funktion und Präsenz über die Parameter der klassischen Skulptur hinaus und bieten sich dem Betrachter parallel zu ihrem scheinbaren Designstatus auch als Kommunikationswerkzeuge an. Am Beispiel der zwei ausgestellten Logomatten mit den deskriptiven Titeln »Schulterschütteln« und »Händeklopfen« wird der banale körperliche Akt der Begrüßung als sozialer Moment des körperlichen Übereinkommens umgekehrt und als abstrakte Formel dargestellt. Holubs Werke sind Momentaufnahmen und Standbilder, die unser gesellschaftliches Verhalten im Kontext von Kontrolle, Freiheit, Konsum und Sicherheit widerspiegeln und infrage stellen. Am deutlichsten ist die Nähe von Arbeits- und Freizeitkontrolle auf dem Bildprogramm des Paravants mit dem Titel tausch von lieblingsbeschäftigungen und notwendigkeiten zu sehen, auf dem wir auf der einen Seite Familien bei der beliebten Wochenendbeschäftigung des Erdbeerpflückens in einem eigens dafür eingerichteten »Erdbeerland« sehen, der auf der anderen Seite, im wahrsten Sinne des Wortes und Bildes, ein Erntearbeiter in Süditalien gegenübersteht. Der bildliche Inhalt und der zukünftige Nutzen – mit den Füßen auf einer Geste der Vereinbarung zu stehen und die Gegenüberstellung von Unterhaltung und Ausbeutung in einem wohnlichen Zierobjekt, das der Blicktrennung dient – spiegelt und bricht sich in der Funktion der Objekte. Die von ihr initiierten Fragestellungen unseres sozialen Zusammenlebens finden in ihren inszenierten Überlagerungen, aktuellen Bezugnahmen und Interaktionen ihren Ausdruck und ihre jeweilige Form. Wie das Buch und die Ausstellung zeigen, ist Holubs Werk ein Prozess, der sich in seiner Struktur aus verschiedenen Modulen, also kommunikativen Handlungen, Codes und Zeichen zusammensetzt und dessen Repräsentation sich auch immer in der Auswahl des Materials und Form wiederholt.

Ausstellung
Barbara Holub, »Kollektion 2003/ 2004 - in einer wohnlandschaft herrscht kein bilderverbot.«
Galerie Hohenlohe & Kalb, Wien
10.9. - 14.-11. 2003

Buch
Barbara Holub, ideal living.
Ein Musterbuch für ein gewinnendes Leben

Triton Verlag: Wien 2003.
Mit Gesprächen und zwei Hörspielen der Autorin und Beiträgen von Maia Damianovic und Georg Schöllhammer


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