Der überwachte Raum
Haben uns Filme wie »1984«, »Enemy of the State« und »The End of Violence« noch schockiert mit scheinbaren Zukunftsvisionen der totalen Überwachung, wird mittlerweile immer klarer, dass diese Projektionen fast unbemerkt schon Realität geworden sind. Sei es die zunehmende Überwachung im öffentlichen Raum, in Shopping-Malls, an Straßenkreuzungen oder an Bankautomaten, die Veröffentlichung des privaten Raumes in alles preisgebenden Talkshows oder Reality-TV-Shows von der Art des »Big Brothers« oder nur die alltägliche Weitergabe privater Informationen durch das Aufrufen von Seiten im Internet - von jeder einzelnen Person fließt täglich ein ungeheurer Datenstrom in verschiedenste Richtungen.
Haben uns Filme wie »1984«, »Enemy of the State« und »The End of Violence« noch schockiert mit scheinbaren Zukunftsvisionen der totalen Überwachung, wird mittlerweile immer klarer, dass diese Projektionen fast unbemerkt schon Realität geworden sind. Sei es die zunehmende Überwachung im öffentlichen Raum, in Shopping-Malls, an Straßenkreuzungen oder an Bankautomaten, die Veröffentlichung des privaten Raumes in alles preisgebenden Talkshows oder Reality-TV-Shows von der Art des »Big Brothers« oder nur die alltägliche Weitergabe privater Informationen durch das Aufrufen von Seiten im Internet - von jeder einzelnen Person fließt täglich ein ungeheurer Datenstrom in verschiedenste Richtungen. Ist diese unscheinbare Bewegung in Richtung des gläsernen Menschen noch kontrollierbar, oder sollte sie überhaupt kontrolliert werden? Was bedeutet diese Veröffentlichung des Privaten und die gleichzeitige Privatisierung des öffentlichen Raumes für unsere Städte und deren BewohnerInnen? Müssen ArchitektInnen und StadtplanerInnen beginnen, in anderen Kategorien als »öffentlich« und »privat« zu denken? Ein Überdenken dieses Begriffspaares scheint auf alle Fälle angeraten. »Öffentlich« bedeutet dem »prüfenden Blick von jedermann zugänglich«, während als »privat« ein abgeschirmter, durch Familie und enge FreundInnen begrenzter Lebensbereich bezeichnet wurde. Im heutigen Sinne bedeutet dies, dass es sich bei privatem Raum um eine Zone handelt, die selbst kontrolliert und definiert wird, in der jedeR Einzelne nur BeobachterIn seiner selbst und der Umgebung ist. Der öffentliche Raum wird dagegen von der Gesellschaft als sozialer Struktur kontrolliert und definiert, jedeR ist zugleich BeobachterIn und Beobachteter. Inwiefern passen nun die erwähnten Phänomene noch in dieses Schema, oder muss das Gegensatzpaar von »öffentlich« und »privat« erweitert werden, um der neueren Entwicklung unserer Städte gerecht zu werden?
Der Verlust des Privaten
Zu Beginn dieses Jahres kam es zu einer Premiere der besonderen Art im medialen Raum: Zum ersten mal hatten sich amerikanische Fernsehstationen einen erbitterten Wettkampf um die Rechte einer europäischen Produktion geliefert. Der Sensationserfolg der holländischen Show »Big Brother« hatte sich bis in die Hauptquartiere von CBS und NBC herumgesprochen. Der privateste Raum der Wohnung wird dabei von den öffentlichsten Einrichtungen unserer Zeit, dem Fernsehen und dem Internet, übernommen. Die Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum wird überschritten. Dabei entsteht nicht, wie zu erwarten wäre, eine Mischform zwischen »privat« und »öffentlich«, sondern eine neue Art von Raum, der sich der klassischen architektonischen oder städtebaulichen Betrachtung entzieht. Wenn privater Raum selbst kontrolliert und definiert wird und öffentlicher Raum durch die Gesellschaft, so wird diese dritte Art von Raum durch Organisationen, in diesem Falle dem Fernsehen, kontrolliert und definiert. Dieser Raum enthält nicht mehr die typischen Elemente des Privaten: Eigenkontrolle, Freiheit und die Möglichkeit, unbeobachtet zu sein. Im öffentlichen Raum nimmt man gleichzeitig die Rolle des Beobachters/der Beobachterin und des/der Beobachteten ein. In der dritten hier beschriebenen Raumart wird man jedoch nur noch beobachtet, weswegen er als überwachter Raum bezeichnet werden soll. Die gesendeten Bilder können weder von Einzelnen noch von der Gesellschaft kontrolliert und definiert werden. Die Kontrolle geht von einer anderen, nicht demokratisch überwachten, Institution aus. Der visuelle Raum wird von der oligarchischen Struktur des Marktes organisiert. Im speziellen Falle der Fernsehshows mag diese Verschiebung der Kontrollaspekte des Raums noch akzeptabel sein, da sich die TeilnehmerInnen von »Big Brother« und exhibitionistischen Talkshows freiwillig melden, um ihre Intimitäten mit der Welt zu teilen. Sie bewegen sich bewusst von dem privat oder gesellschaftlich definierten Raum weg, um durch Befriedigung des Konsumbedürfnisses unserer Gesellschaft nach immer Neuem selbst für eine kurze Zeit zu gefeierten Stars zu werden. Bei den TeilnehmerInnen der angeführten Fernsehshows handelt es sich im engeren Sinne jedoch nicht um authentische Personen, sondern um DarstellerInnen vorhandener Stereotypen. Um das eigene Innere unter der Lupe der Öffentlichkeit zu schützen, wird der Schutzmantel einer angenommenen Rolle darüber gelegt. Da dies aber nun nicht mehr nur im Straßenraum geschieht, sondern auch im Bereich des Privaten, wird diese Rolle immer mehr verinnerlicht, wird sie letztendlich sogar die gesamte Person vereinnahmen. Diese Entwicklung zur »brave new world« der gleichgeschalteten Stereotypen führt zum Verlust der Individualität, was gleichzeitig die Verwirklichung des eigenen Ichs unmöglich macht. Da aber jede Person immer mehr lernt, nach außen und letztendlich auch nach innen nur das Abziehbild einer Rolle darzustellen, entsteht eine immer größere Distanz zwischen Person und Gesellschaft, da keine Identifikation der eigenen Individualität als Teil eines Ganzen mehr entsteht. Der Verlust der Privatheit führt zu einer inneren Isolation und somit zu einer Ansammlung von nicht gesellschaftsfähigen Stereotypen. Der überwachte Raum zerstört nicht nur Öffentlichkeit und Privatheit, sondern gleichzeitig die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft.
Der Verlust des Öffentlichen
Im Gleichtakt mit der verstärkten Überwachung der Privatsphäre wird allerdings auch der öffentliche Raum einer zunehmenden Kontrolle unterzogen. Klassische öffentliche Orte wie Straßen und Plätze werden in zunehmendem Maße von Kameras beobachtet und die Ergebnisse in meist privaten Datenbanken gespeichert. So sind zum Beispiel von den 2.397 Kameras, die Manhattans Straßen beobachten, ca. 2.100 in privater Hand . Der ehemals von Nutzern und staatlichen Organisationen wie der Polizei kontrollierte Raum verwandelt sich damit langsam von öffentlichem in überwachten Raum. Selbstverständlich wird auch hier im Allgemeinen das Argument der erhöhten Sicherheit als Rechtfertigung für die lückenlose Überwachung ins Felde geführt. Dies ist besonders im Falle der »gated communities« der Fall. Aber diese Art von Kameraüberwachung ist nicht nur den wohlhabenden Gebieten vorbehalten. So wurde im San Fernando Valley nördlich von Los Angeles ein soziales Wohnprojekt, in dessen Umfeld der Drogenhandel florierte, eingezäunt und die umgebenden Straßen mit Kameras ausgestattet. Unter jeder der Kameras wurde ein Poster angebracht mit der Warnung: »You are being watched by Cameras«. Dieser fragwürdige, aber erfolgreiche Versuch der Unterbindung von Drogenhandel und Kriminalität brachte allerdings gleichzeitig den Effekt mit sich, dass die BewohnerInnen, meist Latinos, sich in ihrem traditionellen Straßenleben nicht mehr wohl fühlten und sich in die Privatheit ihrer Wohnungen zurückzogen. Dieser Rückzug ins Privatleben, vergleichbar mit der Flucht des Biedermeier-Menschen in die eigene Wohnung, führt gleichzeitig zu einem Rückzug aus der Gesellschaft. Das Gefühl des Kontrolliert- und damit Suspektseins schafft eine Klasse der Ausgestoßenen, die keinerlei Interesse an der Teilnahme an demokratischen Prozessen mehr haben. Dabei ist das Hauptproblem, dass die Überwachung nicht durch kontrollierbare öffentliche Einrichtungen, sondern durch unabhängige private Firmen durchgeführt wird. Das Verhalten der NutzerInnen verändert sich durch die nicht kontrollierbare Überwachung. Wie in Jeremy Benthams »Panoptikon«, weiß der/die Beobachtete zu keinem Zeitpunkt, ob die Kameras aufzeichnen oder nicht, und muss somit seine Aktionen einer kontinuierlichen Überwachung anpassen, was zu einem Verhalten führt, das bis zur Paranoia korrekt ist. Ausnahmen auch nur der geringsten Art erfordern den Mut des Revolutionärs. Die Aktionen der Beobachteten werden sich auf ein allgemein vertretbares Minimum beschränken, Individualität und Spontaneität fallen dem zum Opfer. Durch diese ständige Selbstkontrolle wird der Entstehung von Zwangshandlungen und Neurosen als Kompensationshandlungen unterdrückter Bedürfnisse Vorschub geleistet.
Der überwachte Raum
Von BeobachterInnen und Beobachteten im öffentlichen Raum werden wir so zu ausschließlich Beobachteten. Der demokratische Aspekt des öffentlichen Raumes wird durch oligarchische Strukturen im überwachten Raum ersetzt. Die Folgen davon sind eine immer schwerere Erschaffung seiner/ihrer selbst als Teil einer größeren Einheit, der Gesellschaft. Unbewusst haben wir alle gelernt, mit diesen Erscheinungen zu leben. Der Rückzug in eine innere Isolation, die minimierte Kommunikation mit der Außenwelt, die zunehmende Zahl von Neurosen und Kommunikationsstörungen, all dies ist Teil unseres Alltags geworden. Aber vielleicht ist es auch an der Zeit, als ArchitektIn oder StädteplanerIn mit gegen den Verfall des öffentlichen und privaten Raumes und der Verbreitung des überwachten Raumes vorzugehen, die vorhandenen Mechanismen aus dem Schutzmantel der Science-Fiction-Filme herauszureißen und als alltägliche Erscheinung bewusst zu machen.
Die Kontrolle der Überwachung
Die Aufgabe kann darin bestehen, Teile des überwachten Raumes wieder in den privaten oder öffentlichen Raum zurückzuführen. Nur so können die erwähnten Folgeerscheinungen des überwachten Raumes minimiert werden. Ansätze für mögliche Maßnahmen in diesem Sinne können an verschiedenen Stellen gefunden werden. In einem Projekt der internationalen KünstlerInnengruppe »made« können erste Versuche einer Umsetzung von Maßnahmen gegen die Ausbreitung des überwachten Raumes gefunden werden. In dieser Installation im öffentlichen Raum werden die Überwachungsmechanismen eines beliebigen Straßenzuges von Manhattan sichtbar gemacht, kontrolliert und sogar in Teilen aufgehoben. Das Projekt besteht aus drei Teilen: zum einen werden die Sichtfelder der Kameras durch farbige Markierungen auf Straßen und Häusern erlebbar gemacht. Dies führt zu einem Bewusstwerden der allgegenwärtigen Beobachtung und durch Verdeutlichung der nicht überwachten Bereiche gleichzeitig zur Möglichkeit des Umgehens mit der Sichtbarkeit. Gleichzeitig werden unter jeder Kamera Bildschirme angebracht, die die aufgenommen Bilder überprüfbar machen. Die Datenbanken der Kameras werden überdies im Internet allen zur Verfügung gestellt. Damit werden dem überwachten Raum Aspekte des öffentlichen Raumes wieder zurückgegeben. JedeR kann nun wieder BeobachterIn und BeobachteteR werden, der Raum ist wieder gesellschaftlich definiert und kontrolliert. Zusätzlich zu dieser Sichtbar- und Bewusstmachung der Überwachung wird entlang der Straße ein nicht überwachter Raum durch leichte Stellwände kreiert. Inmitten des öffentlichen Raumes entsteht so eine halbprivate Zone, die Raum gibt für die für jede Stadt notwendigen Elemente und Aktionen des gesellschaftlich Unerwünschten. Insgesamt wird durch das Verdeutlichen der beobachteten und freien Zonen, sowie durch das Erschaffen zusätzlicher Freiräume, jede NutzerIn vor die aktive Wahl gestellt, sich in einer der Raumarten fortzubewegen. Somit wird der städtische Raum nicht des Sicherheitsaspektes der Kameras beraubt, jedeR kann sich in diesen Zonen aufhalten. Allerdings können trotzdem rauchende Teenager ohne Angst vor Beobachtung ihren Neigungen nachgehen. Nun kann diese Installation nicht als Lösung aller beschriebener Probleme gesehen werden oder als allgemein gültiges Rezept. Trotzdem zeigt es, dass es an der Zeit ist, das Nachdenken über privaten und öffentlichen Raum durch den Begriff des überwachten Raumes zu erweitern und dessen Vorhandensein und Folgen in städtebauliche Diskussionen mit aufzunehmen. Nur so können ArchitektInnen und StädteplanerInnen den Erscheinungen unserer Zeit gerecht werden und mit der Planung von Räumen zu beginnen, in denen Menschen sich neu schaffen und neu verwirklichen können.
GRAFT llc