Hannes Zebedin

Hannes Zebedin lebt und arbeitet in Wien und Sela na Krasu in Slowenien.

Barbara Holub

Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.

Paul Rajakovics

Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.


Bis vor wenigen Wochen stand am Wiener Graben eine große Skulptur: Hannes Zebedin hat im Rahmen von Kunstplatz Graben in der Wiener Innenstadt Kleidungsstücke jeweils in eine stehende und eine liegende Betonscheibe eingelassen. An der stehenden Betonscheibe hängen Luxustextilien, auf der Liegenden weggeworfene, abgetragene Kleidungsstücke. Bei letzteren bezieht sich Zebedin auf Flüchtende, die oftmals ihre Kleidung (im Schlamm) auf der Flucht hinter sich lassen müssen. Dem gegenüber steht die Parallelwelt der Reichen, jene Menschen, die vielleicht genau hier am Graben flanieren, um sich teuerste Kleidung zu kaufen. Das neben der Installation angebrachte Gedicht Alphabet von Bertold Brecht verweist auf die Dichotomie der Installation. Brecht lässt Arm und Reich sich gegenüberstehen, um festzustellen, dass »der Reichtum des einen seine Ursache in der Armut des anderen hat«.
        Fast gleichzeitig hat der Künstler in Graz im Begleitprogramm des Steirischen Herbstes 2022 ein weiteres Projekt auf Basis des erstmals vergebenen Werner-Fenz-Stipendiums realisieren können. Dieses ist auch Basis dieses Kunstinserts. Die Brücke basiert auf einem Wachturm, der im Zuge des Ungarnaufstandes 1956 von Flüchtenden zu einer Brücke umfunktioniert worden ist. »Am 21. November wurde die Brücke von ungarischen Soldaten gesprengt. Die Flüchtlinge, die sich zu dieser Zeit in der Umgebung befanden, brachten den Wachturm an der Grenze zu Fall und errichteten damit eine Brücke. So gelang es noch einigen Personen zu flüchten, ehe das Militär einschritt.« 
        Das Détournement (dt. Zweckentfremdung) des Wachturms hat natürlich weitereichenden symbolischen Charakter. Der vormals bedrohliche Wachturm wird kollektiv umfunktioniert und bietet schließlich tausenden Menschen die Möglichkeit, über den Einser Kanal zu kommen. Hannes Zebedin geht es hier weniger um den historischen Kontext, sondern vielmehr steht die Brücke als Symbol für notwendiges Handeln in der Gegenwart. Sie steht als Aufruf, Grenzen zu ›überbrücken‹ und die Menschenrechte der Migrant:innen zu gewährleisten. Für den Steirischen Herbst 2022 errichtete Hannes Zebedin den liegenden Wachturm als Brücke und Skulptur über den Mühlgang temporär neu (siehe Mittelseite).
        Anstelle der üblichen Informationsbroschüre zu der Arbeit verbindet er das Projekt durch die Publikation Novice is Gozda (Nachrichten aus dem Wald) mit jenem Kulturraum der Alpe-Adria-Region, mit dem er sich seit vielen Jahren intensiv beschäftigt. Auf der Vorderseite und Rückseite des dérive-Inserts sieht man die erste und letzte Seite der wiederaufgelegten Zeitung Partizanski Dnevnik, die in den Jahren 1944/45 eines der wichtigsten illegalen Medien der Partisan:innen war. Hannes Zebedin and Miha Kosmač (Direktor des Mestni Muzej Idrija) haben dieses Zeitungsprojekt ins Leben gerufen. In dieser Zeitung wird das Projekt ausführlich beschrieben und vernetzt sich dabei gleichzeitig mit anderen politischen Inhalten der Region bzw. der Gegenwart wie dem Krieg in der Ukraine. Demnächst wird diese Ausgabe dann als Sonderedition auf der originalen Druckerpresse von Partizanski Dnevnik gedruckt werden. Tatsächlich ist die mühsam von Partisan:innen in Einzelteilen an einen geheimen Ort in den Bergen gebrachte Druckerpresse bis heute erhalten und darf für dieses Kunstprojekt wieder in Betrieb genommen werden.

Der aus Kärnten stammende Künstler studierte Politikwissenschaft und Volkswirtschaft, bevor er für sein Kunststudium auf die Akademie der Bildenden Künste Wien wechselte. 2005/06 studierte Hannes Zebedin überdies an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg, im Anschluss schloss er 2008 bei Monica Bonvicini sein Kunststudium ab. Hannes Zebedin lebt und arbeitet heute in Wien und Sela na Krasu in Slowenien.


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