Die grüne Nachkriegsmoderne 1
Besprechung von »WIG 64. Die grüne Nachkriegsmoderne« herausgeben von Lilli Lička, Martina Nußbaumer und Ulrike KrippnerWer heute durch den großen Donaupark im Norden Wiens spaziert, wird an einigen wenigen Stellen an die erste international ausgerichtete Gartenschau in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Dieser Park ist – im Vorhinein geplant – der
im positiven Sinne verstandene Rest der 1964 gezeigten Wiener Internationale Gartenschau, kurz »WIG 64«.
Die unterschiedliche Rezeption der WIG 64 bringt der Direktor des Wien Museums, Wolfgang Kos, treffend in seinem Vorwort auf den Punkt: »Als wir im Museum über dieses Projekt diskutierten, zeigte sich, dass das Kürzel ›WIG 64‹ sehr unterschiedliche Assoziationen auslöst – entweder starke oder gar keine. Das hängt mit unterschiedlichen Erinnerungen zusammen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht in Wien aufgewachsen sind, verbinden keine persönlichen Erinnerungen mit der Gartenschau im heutigen Donaupark oder wissen gar nicht, dass im heute eher diffusen Gelände zwischen Donauturm, UNO-Zentrum und Donau City ein für Wiens Nachkriegsgeschichte wichtiges Ereignis stattfand. Menschen aus Wiener Familien, die seit zwei oder drei Generationen hier leben, reagieren dagegen sehr unmittelbar auf die Nennung der WIG 64, hat diese ›Garten-Weltausstellung‹ doch einen Platz in ihrer Erinnerung – sei es, weil Eltern und Großeltern davon erzählt haben, sei es, weil sie als Kinder mit dem Sessellift über Blumenbeete geschwebt sind oder zum ersten Mal eine legendäre Hollywood-Schaukel mit eigenen Augen gesehen haben.«
Die WIG 64 gehört – hier ist Wolfgang Kos zu folgen – zu jenen Großveranstaltungen der Ära des Wiederaufbaus und der Modernisierung, die noch von einem ungebrochenen Fortschrittsdenken geprägt war: »vergleichbar der Wiedereröffnung der Staatsoper und der Eröffnung der Opernpassage im Jahr 1955.«
Zahlreiche Autorinnen und Autoren widmen sich im Ausstellungskatalog in unterschiedlichen, relativ kurzen Beiträgen der Gartenschau und dem Donaupark, wobei die weitgehend in Vergessenheit geratene und teils verdrängte Vorgeschichte des Areals nicht ausgeblendet wird.
Die Schweizerin Annemarie Bucher spannt im ersten Text einen kurzweiligen Bogen vom Beginn von Gartenausstellungen im 19. Jahrhundert zu den mitteleuropäischen Gartenschauen im 20. Jahrhundert und stellt damit die WIG 64 in einen planerischen und gartenhistorischen Kontext. Martina Nußbaumer geht in ihrem Beitrag auf die Wiener Stadtplanung in den 1950er- und 1960er-Jahren ein, die noch stark von einer Funktionstrennung bzw. großräumigen Entmischung von Funktionen geprägt war, und setzt die WIG 64 in Bezug zum damals weit verbreiteten »Begehren der Nachkriegszeit nach Ordnung, Planbarkeit und Kontrollierbarkeit«. Mit der Geschichte des WIG 64/Donaupark-Areals vor 1964 beschäftigt sich Ulrike Krippner. Zu nennen sind hier die damals
so wahrgenommenen »Un-Orte« Militär-schießstätte, städtische Mülldeponie und informelle Siedlungen. In einem Interview mit drei (ehemaligen) BewohnerInnen der Siedlung Bruckhaufen, die auch heute noch am Rande des Donauparks liegt, kommt eine individuelle Note in den Ausstellungskatalog. Ulrike Krippner gibt einen groben Überblick auf die handelnden Personen bei der Gestaltung und die wichtigsten Teile des WIG-Geländes. Auf die Spuren der Berichterstattung zur WIG 64 in den Medien begibt sich Nicole Theresa Raab. Die Autorin schafft es im Text, den enormen Werbeaufwand für die Gartenschau deutlich zu machen.
Im Beitrag »Der Donauturm als Attraktion und Attrappe« fokussiert Andreas Nierhaus auf die Kritik am Sinn, an den Kosten und der Ausführung des Aussichtsturmes, der in 150 Meter Höhe eine neue Sicht auf Wien ermöglichte. Just 50 Jahre nach Eröffnung des Turms verlor der Donauturm sein Alleinstellungsmerkmal: Nur wenige hundert Meter entfernt wurde Anfang 2014 im DC Tower (am Rande des einstigen WIG-Geländes) in 207 Metern Höhe eine Aussichtsterrasse eröffnet, von der aus man auf den degradierten Donauturm hinunterblicken kann.
Nicole Theresa Raab widmet sich im anschließenden Beitrag der Frage, wieweit die USA in den 1960er-Jahren Einfluss auf die österreichischen Gärtnerei-Großbetriebe und somit auf den Privatgarten hatten. Einen pointierten kulturhistorischen Beitrag über die Hollywood-Schaukel, die auf dem WIG 64 Gelände als Sitzmöbel weit verbreitet war, liefert Peter Payer. Lilli Lička skizziert in aller Kürze die Entwicklung des Geländes – als Donaupark – in der Zeit nach 1964. In einem Interview mit einer Landschaftsarchitektin und einem Landschaftsarchitekten, die beide in den letzten Jahren im Donaupark aktiv tätig waren, wird über die einstigen und heutigen Qualitäten des Donauparks sowie die Notwendigkeiten für die Zukunft diskutiert. Es folgt ein kurzer Text von Helmut Neundlinger zur gegenwärtigen Nutzung des Donauparks. Abgeschlossen wird die Publikation mit dem Katalogteil.
Die Ausstellung und der Katalog sollen – so die Einleitung – die Gartenschau in den Kontext der planerischen Utopien nach 1945 stellen und nach den Intentionen und den konkreten städtebaulichen und soziokulturellen Auswirkungen dieses Großprojekts fragen. Dies gelingt in weiten Teilen. Ein Wermutstropfen bleibt: Auf die Diskussion über das »Soll und Ist« bei den hard facts der WIG 64 – hier sind vor allem die Besucherzahlen und die massive Kostenüberschreitung zu nennen – wird nicht eingegangen. Sie hätte unter anderem gezeigt, dass massive Kostenüberschreitungen bei Gartenschauen kein junges Phänomen sind.
Leider wird im Katalogteil die Mär übernommen, der nationale, extrem kurz angesetzte Ideenwettbewerb für österreichische Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten hätte für die Stadtverwaltung »kein zufriedenstellendes Ergebnis« gebracht. Das Studium des Juryprotokolls lässt erahnen, dass der damalige Wiener Stadtgartendirektor die Gesamtplanung eher aus Eigennutz übernahm. Erst relativ spät kam – wie Ulrike Krippner richtig festhält – Kritik am »Amtsprojekt« WIG 64 auf.
Hoch anzurechnen ist den HerausgeberInnen und AusstellungsmacherInnen, dass sie sich dem Thema der Grünflächen nach 1945 am Beispiel des Donauparks angenommen haben. Dass die Ausstellung und der Katalog nicht den Raum haben, um weitere Details zur Gartenschau zu präsentieren, ist ein Wermutstropfen.
Hilfreich für die Forschung zur »grünen Nachkriegsmoderne« ist neben den zahlreichen Fotos jedenfalls die Auflistung aller beteiligten Gartenarchitektinnen (sic!) und Gartenarchitekten, ArchitektInnen sowie KünstlerInnen. Spätestens zum Jubiläum
»50 Jahre Wiener Internationale Gartenschau 1974 [sic!]« wird man auf diese
wieder zurückgreifen.
Christian Hlavac