Michael Goldgruber

Michael Goldgruber studierte Kunstgeschichte und Philosophie. Als außerordentlicher Hörer absolvierte er die Meisterklasse Ernst Caramelle an der Universität für angewandte Kunst, danach eine Fotografieausbildung bei Schilling/Riedmann in Wien.

Thomas Ballhausen

Thomas Ballhausen, Autor, Film- und Li­te­r­­­a­turwissenschaftler, ist Mitarbeiter der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur im Literaturhaus Wien / Leitung der Pressedokumentation.


Michael Goldgruber ist einer der spannendsten jüngeren Gegenwartskünstler Österreichs. In seinen facettenreichen Arbeiten spielt er mit dem Allmachtsgefühl des Blickenden und problematisiert anhand konkreter baulicher Manifestationen – und deren medialer bzw. künstlerischer Vermittlung – das Machtgefüge aus Vereinnahmung, Kontrolle und Konsumierbarkeit. In der Auseinandersetzung mit den medialen Apparaturen einer gelenkten Naturrepräsentation stellt Goldgruber die Frage nach dem tatsächlichen Gehalt (vermeintlicher) authentischer Erfahrungen und rückt die gesamtgesellschaftlich zu verstehenden Diskussionen um die (auch politisch zu lesenden Begriffe) des Erhabenen und des Überblicks in eine neue Perspektive.

Autor Thomas Ballhausen sprach mit dem Künstler Michael Goldgruber, über das Verschwinden der Wildnis, die andauernde künstlerische Auseinandersetzung mit einem reglementierenden Blickregime und das Spannungsverhältnis von Aussicht und Aufsicht.

Ballhausen: Blicke und Begriffe sind deine Arbeitsinstrumente. Dein spezifischer Blick lässt, so scheint es, die eingesetzte Fotografie als Medium und auch als Mittel fassbar werden.

Goldgruber: Meine Konzeption als (Foto-) Künstler verfolgt Begriffe aus romantischen Leitmotiven und konsumorientierten Zuschreibungen an Natur und Landschaft. Ein fotografischer Blick beobachtet voyeuristisch Menschen beim Betrachten von Landschaften und deren Apparaturen und Architekturen, die der Naturwahrnehmung dienen. Die Fotografie nutze ich als Hybrid aus dokumentarischem Medium und realitätsbezogener Behauptung. Meine auch ganz aktive Beschäftigung mit dem Alpinismus und dem Bergsport haben meinen Blick geschärft. So wurde mir klarer, wie ideale Bilder von Landschaften medial verwendet und kulturell besetzt werden.

Ballhausen: Du setzt auf ein Aufgreifen des Blicks, ein Problematisieren der Aussicht. Der Blick auf die Landschaft rückt ins Zentrum und lässt deinen Ansatz in der Aufdeckung dieser präskriptiven Perspektive evident werden. Diese Frage führst du dann auch weiter, wenn du etwa die Abgrenzung von Natur und Architektur thematisierst. Inwieweit sind für dich aber auch die Abbilder der Natur kulturell oder politisch aufgeladen? Wo wird hier instrumentalisiert, etwa gegen das Konzept einer angeblichen Unberührtheit der Natur?

Goldgruber: Der Blick auf Landschaft entpuppt sich als ein Merkmal für kulturelle Entwicklung. Distanz und Abgrenzung gegenüber der Natur geraten dabei zu Kennzeichen für so genannte höhere Zivilisationsformen. In weiterer Konsequenz müssen Bilder von Landschaften als Instrument für kulturelle und politische Inhalte herhalten. Natur als wertfreie Entität ist dabei nicht denkbar. Architektur, die in die Natur hineingedacht ist und durch geografische, kartografische, geopolitische oder landwirtschaftliche Aspekte bestimmt ist, erweist sich ohne das visuelle Objekt, also die Natur, als völlig zwecklos. Das sieht man besonders deutlich an den Aussichtsplattformen und Aussichtstürmen. Mit der angeblichen Unberührtheit der Landschaft ist es im Moment ihrer Wahrnehmung vorbei, schafft die visuelle Vereinnahmung doch gleichzeitig eine kulturelle Inbesitznahme.

Ballhausen: Elemente der Natur und Zweckbauten werden in deinen Arbeiten konfrontiert, im besten Wortsinne „angegangen“. Interessant erscheint dabei auch die Frage der Unterscheidung bzw. Unterscheidbarkeit von Architektur, Artefakt und Natur, geht die kulturelle Besetzung der Natur doch mit einer dadurch unvermeidlichen Verabschiedung vom romantisierenden Naturbegriff einher. Wie sieht nun eine permanente Auseinandersetzung mit einem Begriffsinventar des durchaus der Romantik verpflichteten „Sublimen“ oder „Erhabenen“ aus? Dieses Vokabular scheint ja nicht erst auf den zweiten Blick hochgradig besetzt zu sein.

Goldgruber: Die Natur wird zu einem Konsumobjekt, zu einem Freizeitraum, einem Erholungsparadies, zu einer Projektionsfläche von Erwartungen und künstlichen Bedürfnissen. Zweckbauten und Natur können mit ähnlichem Verhalten und Motiven benutzt werden. Ideallandschaften werden konstruiert und montiert. Das Erhabene verliert meiner Meinung nach durch die Besetzung mit massenkulturellen Phänomenen an Erhabenheit und ist als solches schon zu hinterfragen, büßt die Landschaft doch im Moment ihrer Besetzung und Eroberung ihre genui­n erhabene Charakteristik ein. Da ergibt sich ein Paradox: Der Mensch sucht in der einsamen, erhabenen Natur die Erhöhung seiner Existenz – bloß ist die gewünschte Erhöhung ohne Medialisierung und Mittel der Konsumierbarkeit kulturell nicht erfahrbar und im Moment der Erfahrung eigentlich schon dekonstruiert.

Ballhausen: Das Einrichten eines „Ideals“ ist in dieser Hinsicht ja von wesentlicher Bedeutung. Leistet aber nicht dieses Ideal der Natur als Menschen-Leere auch einem militärischen Blick Vorschub? Also einem Blick, der wesentlich mit Menschenleere zu tun hat und ebenso gegenwärtig ist wie bürgerliche Aneignungspraxen des 19. Jahrhunderts oder der Begriff der Eroberung? Verstehst du in deiner Auseinandersetzung dann z. B. Extremsport als Form der Eroberung, als Löschung einer unheimlichen Leere? Wenn etwa im Unbegangenen auch das bedrohliche Unheimliche durch einen militärischen Aufblick oder sportliche Avantgarden konsumierbar gemacht wird?

Goldgruber: Wir ringen immer noch mit der Idealvorstellung einer Eroberung des Unberührten, einer Erfahrung des Unbekannten. Diese Erfahrung ist aber nicht möglich, weil wir gemäß unseren vorgefertigten, idealisierten Bildern im Kopf nach einer bestimmten Bestätigung suchen. Eroberung ist eindeutig durch Besitzlust motiviert, die sich über die Natur hinwegsetzt. Der Besitz und die Erfahrun­gen sollen, handelt es sich doch um eine Form der Territorialbesetzung, menschenleer bleiben und wollen nicht geteilt werden müssen.

Ballhausen: Dieser Umstand schließt ja direkt an die paradoxe Blickpraxis des Militärischen an. Da treffen wir auf Menschenfeindlichkeit und ein eingeschränktes, reduktionistisches Auffassen der Natur. Verbunden wird dies mit dem Ansatz, sie mittels Bauten und gewährleistetem Blick überwachen und vereinnahmen zu können.
Goldgruber: Der überhöhte Blick dient dabei als visueller Überwachungsmodus. Die Konzentration der menschlichen Konsumtion von Landschaft, auf die Eroberung, bietet vielfach den Background alpinistischer Tätigkeiten. Auf dieser Ebene wird die visuelle oder auch faktische Landschaftseroberung, nicht zuletzt durch die leistungsorientierte Selektion im Extremsport, mit der militärischen Vereinnahmung durchaus vergleichbar.

Ballhausen: Geometrie und Menschenleere sind auch in deinen Arbeiten un­übersehbar. Einschnitte und Eingriffe in die Natur gehen auch unter den Etiketten „Land Art“ oder Landschaftsarchitektur mit dem Wunsch der Verfügbarmachung dem Blickenden voraus. Geht also, bildlich gesprochen, die Idee vor dem Wanderer?

Michael Goldgruber
Michael Goldgruber

Goldgruber: Der einsame Wanderer sucht und findet die Bestätigung der Bilder, die er schon im Kopf hatte. Das gesuchte Unberührte und Unbekannte muss bestimmte Kriterien erfüllen, damit es als solches wahrgenommen wird, diese Kriterien wiederum sind medial festgeschrieben und ideologisch besetzt. Die Wildnis ist also immer schon von einem Koordinatensystem von kulturellen Erwartungen und Festschreibungen durchsetzt. Die Landschaftsarchitektur nutzt das vorerst Ungeordnete der Natur als Projektionsfläche dieser Leitmotive und kulturellen Festschreibungen. Um eine Orientierung möglich zu machen, greift sie dabei auf Geometrisierung und kartografisches Erfassen zurück.

Ballhausen: Es scheint mit eine Frage der Zähmung zu sein, die mit einem reduktionistischen Blicken und Schauen zu tun hat. Ist der Blick des Erhabenen für dich ein allumfassender, ein holistischer?

Goldgruber: Das Erhabene scheint mir als allgemeiner Begriff ja eher unscharf zu sein, wird er ja, so viel ich weiß, von Immanuel Kant bis Edmund Burke in verschiedenen kulturgeschichtlichen Auslegungen verwendet. Je nach Wahrnehmungseinschränkung und Erwartungshorizont haben wir es im Fall des Ausschauhaltens mit einem gänzlich anderen Blick zu tun. Räumliche Erhöhung verschafft einen Aufblick, der für mich klar ein Ausdruck von Macht und Kontrolle ist. Die inhaltliche Besetzung von Landschaftsbildern folgt dabei einem bestimmten Referenzsystem. Landschaft ist für mich auch nur im Zusammenhang mit der kulturellen Besetzung dieses Referenzsystems spannend. Die Natur ist dem Menschen gegenüber eigentlich ignorant oder gar feindlich, die Natur kümmert sich nicht um eine kulturelle Besetzung. Die Abhängigkeit geht hier nur in eine Richtung, eben Mensch–Natur. Mir geht es um die Auseinandersetzung mit den Versuchen einer Erhöhung und den entsprechenden visuellen Eroberungswünschen die Erhabenheit der Natur zu überwinden und schließlich auch zu destruieren.

Michael Goldgruber, geboren 1965 in Leoben, studierte Kunstgeschichte und Philosophie. Als außerordentlicher Hörer absolvierte er die Meisterklasse Ernst Caramelle an der Universität für angewandte Kunst, danach eine Fotografieausbildung bei Schilling/Riedmann in Wien. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen. www.goldgruber.at


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