... die Lerche war´s, und nicht die Nachtigall...
Seit nunmehr zwei Jahren hat die österreichische Polizei die Lizenz zum Lauschen. Die vor Einführung der »neuen Ermittlungsformen« Rasterfahndung, Lauschangriff und KronzeugInnenregelung versprochenen polizeilichen Erfolge gegen kriminelle Organisationen jedoch blieben aus. Hat sich die Russenmafia verzogen? Flüchtete die Mafia zurück nach Palermo? Schleppen die Schlepperbanden jetzt weniger?
Seit nunmehr zwei Jahren hat die österreichische Polizei die Lizenz zum Lauschen. Die vor Einführung der »neuen Ermittlungsformen« Rasterfahndung, Lauschangriff und KronzeugInnenregelung versprochenen polizeilichen Erfolge gegen kriminelle Organisationen jedoch blieben aus. Hat sich die Russenmafia verzogen? Flüchtete die Mafia zurück nach Palermo? Schleppen die Schlepperbanden jetzt weniger?
Der ersten Begeisterung über die Einführung einer Möglichkeit der »optischen und akustischen Überwachung von Personen unter Verwendung technischer Mittel« folgte ein handfester Wickel: Alle TechnikerInnen der Wiener ObservationsspezialistInnen, die zum Teil jahrelang von der Bundespolizeidirektion Wien als solche ausgebildet und aufgebaut worden waren, wechselten mit Einrichtung der »Sonder-Einsatzgruppe-Observation« (SEO) in die neu geschaffene Einheit. Und mit ihnen wechselten bereits verplante Investitionsmittel die Dienststelle.
Wien war kein Einzelfall: 27 angeblich hochqualifizierte BeamtInnen (»die Besten«) zog es aus den Bundesländern zur Ausbildung in die klandestin und mit streng geheimem Standort eingerichtete Gruppe. Sie hinterließen fachliche, organisatorische und finanzielle Löcher, die den inzwischen in den Ruhestand getretenen Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Michael Sika, bei seinen Untergebenen nicht unbedingt beliebter machten. Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter, mag sich Sika so kurz vor der Pensionierung gedacht haben. Für die Löcher, ließ er den verärgerten Einheiten über den Kurier ausrichten, seien die Polizeidirektionen selbst verantwortlich. Dem derart umschriebenen »Arschlecken« folgte nach Pensionsantritt die etwas zweideutige (und daher weiter auch nicht ausgeführte) Feststellung, dass »der erste Lauschangriff im Februar 1999 (...) die Leistungsfähigkeit der SEO« bewiesen habe.
Die befristete Einführung der neuen Ermittlungsmethoden per einfachgesetzlichem Beschluss im Jahre 1997 schuf neue Möglichkeiten der Polizeiarbeit, damit aber auch neue Probleme: Polizeiliches Eindringen ins Private wirft nicht nur grundrechtsbezogene Fragen auf, auch die praktische Durchführung macht Polizei und Justiz schwer zu schaffen...
Der »subjektive Faktor«
Hat er nun »Peace Officer« gesagt, oder »piss off«? Für jenen Radfahrer, der vor knapp drei Jahren nächtens zwecks polizeilicher Ausweiskontrolle angehalten wurde, endete die Routineangelegenheit im Krankenhaus und mit einer Verurteilung wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Ob nun der Polizist aufgrund reduzierter Aufnahmefähigkeit nur »piss off« verstanden oder der schwer verprügelte Radfahrer nachträglich eine (zugegebenerweise extrem glaubwürdige) Ausrede erfunden hat, ist ziemlich egal: Kommunikation bedarf eines Senders, eines Empfängers und des regelmäßigen Rollentauschs. Fehlt letzteres, entsteht..., naja... sagen wir einmal: ein Kuddelmuddel...
Vor dem selben Kuddelmuddel steht die SEO: Für sie war Charles O. der Pate eines angeblich existierenden »nigerianischen Drogenrings«. Folglich orientierte sich Observation und Auswertung der Observationsergebnisse auf den vermeintlichen Kopf der Bande. Wer sagt was (zu Charles O.); wer trifft sich wann (mit Charles O.); wer steht in welchem Verhältnis (zu Charles O.)? ...
Pech für die BeamtInnen der SEO: Charles O. kennt viele Angehörige der African Community in Wien, ist aber deshalb noch lange kein »Pate«. Und wo kein Pate, da auch keine kriminelle Organisation. Von über 400 Anzeigen in Zusammenhang mit der »Operation Spring« sind weit weniger als ein Viertel gerichtlich abgeschlossen: rechtskräftige Verurteilung nach § 278a ist keine dabei.
Wahrnehmung hat etwas mit »für wahr nehmen« zu tun, und beinhaltet damit explizit einen subjektiven Faktor als Auswahlkriterium: Die Damen und Herren der SEO nahmen wahr, was sie wahrnehmen wollten (oder konnten), und diese Wahrnehmung war bestimmt von Vorurteilen: Da wird »peace Officer« zu »piss off«, oder »leave your business...« von einer allgemeinen Aufforderung eines Bekannten zum Befehl eines »Dienstgebers«; Handys mutieren zum ausgeklügelten Infosystem und Sakkos von Kleiderbauer zu Maßanzügen. Ein Drogenring, klarer Fall....
Tatendrang und Ermittlungsmansch
Der Knopf, auf dem Subjektivität ausgeschalten werden kann, wurde unglücklicherweise noch nicht gefunden. Unglücklicherweise, nicht nur für Charles O. und die mit ihm festgenommenen Personen, sondern auch für die SEO, für die Justiz, und für die Gesellschaft ganz generell: Polizei und SEO stehen unter besonderem Erfolgsdruck. Zwar hat die zur Zeit amtierende Regierung bereits im Koalitionspakt vereinbart, die bisher befristet vorgesehenen »neuen Ermittlungsmethoden« dauerhaft in die Rechtsordnung zu übernehmen; um den gesetzlich festgelegten Bericht über die Wirkung von Rasterfahndung, Lauschangriff und KronzeugInnenregelung wird jedoch nicht herum zu kommen sein. »Erfolgsstories« wie jene der »Operation Spring« machen da nicht gerade gute Stimmung, vor allem dann nicht, wenn es ums Geld geht. Mensch braucht daher keinE ProphetIn zu sein, um polizeiliche Lauschangriffe für die nahe Zukunft vorauszusagen. Sachliche Rechtfertigungen, auch das ist unschwer prognostizierbar, werden bei der Genehmigung dieser Ermittlungen eine untergeordnete Rolle spielen.
Aber auch die Justiz hat mit den »neuen Ermittlungsmethoden« zu kämpfen. Mehr als 400 Verfahren hatte die »Operation Spring« mit einem Schlag geliefert. Etwa 250 weitere folgten hinterher. Eine Abtrennung von Verfahren und somit die Aufteilung auf mehrere RichterInnen, die in der Lage wären, diese Verfahren entsprechend schneller (als einE einzelnE UntersuchungsrichterIn) zu bearbeiten, liefe jedoch dem Grundkonstrukt, dass es sich um eine »kriminelle Organisation« handelt, zuwider und outete den Lauschangriff per se als rechtswidrigen Vorgang: zusammenhängende Straftaten müssen auch zusammenhängend behandelt werden. Besteht kein Zusammenhang (ist also die Abtrennung der Verfahren und damit die Aufteilung auf mehrere RichterInnen möglich) liegt wiederum keine »kriminelle Organisation« vor. Deren Existenz ist jedoch Voraussetzung für die Genehmigung eines Lausch- und Spähangriffs...
Kurzum: Die »neuen Ermittlungsmethoden« stellen die Justiz vor unlösbare organisatorische und juristische Probleme, und es ist absehbar, dass die Republik Österreich in Zusammenhang mit der »Operation Spring« wegen überlanger Verfahrensdauer von der Menschenrechtskommission verurteilt werden wird...
Störfaktor Grundrechte: die Spirale abwärts
Die Polizei begegnet der Kritik an ihren fehlenden Lauscherfolgen mit dem Verweis auf die Ineffizienz der Justiz und eröffnet damit die Diskussion um weitergehende Eingriffe ins Private: Der Schutz der bürgerlichen Freiheiten ist es, der die Bekämpfung der »organisierten Kriminalität« verhindere. Mit der Erosion von Einrichtungen wie etwa der Festlegung der Zuständigkeit des gesetzlichen Richters, der Zugangsmöglichkeiten der Verteidigung und anderer Fixpunkte bürgerlich-demokratischer Rechtsordnungen einhergehen da Forderungen nach präventiver Überwachung aller Mobilfunk-Telefonate oder der Speicherung der Bewegungsprofile von Handy- und BankomatkartenbenutzerInnen...
Dazu parallel verläuft eine Neudefinition des Begriffs »kriminelle Organisation«. Wurden Ende der Achtziger und zu Beginn der Neunziger unter dem Eindruck der Netzwerkbildung unter AkteurInnen im Verlauf des wirtschaftlichen Umbruchs in Osteuropa
- geschäftsähnliches, gewerbliches und arbeitsteiliges Agieren;
- Gewalt; und
- die Funktionalisierung politischer, wirtschaftlicher und staatlicher Stellen bei der Begehung von Straftaten als Wesensmerkmale krimineller Organisationen angesehen, so haben sich die vor zehn Jahren als mafios angesehenen Strukturen inzwischen weitgehend etabliert und werden als GeschäftspartnerInnen akzeptiert. Eine neutestamentarische Umdeutung des Wortes Organisation jedoch rechtfertigt den Weiterbestand der zur Bekämpfung organisierter Kriminalität aufgebauten Einheiten: »Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammenstehen...« darf die Polizei per Wanze oder Videokamera mitten unter ihnen sein. Die Funktionalisierung politischer, wirtschaftlicher und staatlicher Stellen gilt nicht mehr als besonderer Faktor der Gefährdung, der »kriminelle Organisationen« von EinbrecherInnenbanden oder Drogenzirkeln unterscheidet; sie wird vielmehr grundsätzlich angenommen, sobald auch nur Ansätze einer Gruppenorganisation feststellbar sind... Die Ausweitung des Organisationsbegriffs mag das Überleben der SEO über den Beobachtungszeitraum (bis Ende 2001) hinaus verlängern, ändert jedoch nichts an den bereits beschriebenen Problemen, die in Zusammenhang mit den neuen Ermittlungsmethoden auftreten: Eine Sondereinheit mit größeren Einsatzmöglichkeiten mag zwar mehr »Erfolge« produzieren, in jedem Fall aber produziert sie mehr Daten, die erst polizeilich, dann judikativ verarbeitet werden müssen. Um sich ein Bild über die zu erwartende Datenmenge zu machen: In den USA werden pro mittels Lausch- und Spähangriff überwachter, verdächtiger Person etwa hundert andere Menschen miterfasst (umgerechnet auf die »Operation Spring« sind das 1500 Menschen). Die USA - und das ist ein wesentlicher Unterschied zu Österreich - haben jedoch für ein umfassendes und ausgeklügeltes System von Verwertungsverboten gesorgt. Ein solches ist in Österreich nicht einmal ernsthaft im Gespräch...
Lukas Wurz