Die Metamorphosen des Staatsrassismus
Ein Stillstand kann manchmal eine verfahrene Situation retten. All zu oft war dieser aber, von Anfang der Migration nach Österreich an, das Ziel der Verhandlungen und wurde damit zum faulen Ausweg reduziert. In Zeiten der andauernden wirtschaftlichen und sozialen Unsicherheit und der raschen Veränderungen in Richtung neoliberales UnternehmerInnentum täuschte der migrationspolitische rassistische Stillstand so etwas wie Stabilität vor. So war es lange Zeit während der Herrschaft der großen Koalition und so hätte es bei der neuen Regierung nach dem Willen der protektionistischen Gewerkschaft, Arbeiterkammer und Sozialdemokratischen Partei sein sollen. Die neue rechtsliberale Regierung ist aber zu dieser Art von Staatsrassismus nicht mehr bereit.
Ein Stillstand kann manchmal eine verfahrene Situation retten. All zu oft war dieser aber, von Anfang der Migration nach Österreich an, das Ziel der Verhandlungen und wurde damit zum faulen Ausweg reduziert. In Zeiten der andauernden wirtschaftlichen und sozialen Unsicherheit und der raschen Veränderungen in Richtung neoliberales UnternehmerInnentum täuschte der migrationspolitische rassistische Stillstand so etwas wie Stabilität vor. So war es lange Zeit während der Herrschaft der großen Koalition und so hätte es bei der neuen Regierung nach dem Willen der protektionistischen Gewerkschaft, Arbeiterkammer und Sozialdemokratischen Partei sein sollen. Die neue rechtsliberale Regierung ist aber zu dieser Art von Staatsrassismus nicht mehr bereit. Sie besinnt und verlässt sich einerseits auf neoliberale, andererseits auf völkische Grundsätze und agiert entsprechend. Insbesonders jetzt, nachdem sie von der »europäischen Troika« rehabilitiert wurde und freie Hand für eine restriktive Vorgangsweise unter dem Deckmäntelchen der Sicherheit und Bekämpfung von Terrorismus nach dem 11. September 2001 bekommen hat.
Gleichzeitig mit den am 5. Februar 2002 vom Europäischen Parlament in Strassburg beratenen Richtlinien des Rates, die besagen, dass die 20 Millionen MigrantInnen aus »Drittländern« nach fünf Jahren Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union eine Daueraufenthaltsgenehmigung für die ganze EU erhalten sollen, verlautbarte die österreichische Regierung in ihrem Hausblatt »Die Presse« am 6. Februar 2002, dass der Zeitraum von fünf Jahren, der bis zum europäischen Aufenthaltsrecht führt, in Österreich umso restriktiver ausfallen solle. Die Wünsche der Gewerkschaft, die gegen die Koppelung von Aufenthalts- und Arbeitsrecht ist, sind dabei ebenso berücksichtigt wie auch diejenigen der Wirtschaftskammer nach der billigen Arbeitskraft. Die gewerkschaftliche Wunschliste ist ein wenig kürzer ausgefallen als gewohnt, denn diese Trennung gilt nicht mehr wie bisher für alle, sondern nur für die MigrantInnen, die seit 40 Jahren als HilfsarbeiterInnen zu schuften haben. Die Harmonisierung wird für die High-Tech-MigrantInnen eingeführt. In dieser Regelung, die als zentral in dem Paket zu werten ist, spiegelt sich das Interesse der Regierung wieder. Für die Wirtschaft sollen die optimalen Bedingungen geschaffen werden, bei den sowieso massenhaft arbeitslosen HilfsarbeiterInnen, dem Lumpenproletariat, soll alles wie bisher laufen: deren Interessen werden von niemanden vertreten, und sie sollen auch in Zukunft die Rolle eines Manövrierpotentials am Arbeitsmarkt behalten. Das alles geschieht, nachdem das Temelin-Volksbegehren eine größere Zahl an Unterschriften als die ÖGB-Urabstimmung im Herbst 2001 erreicht hat, und zeigt, dass völkische Themen in Verbund mit der Kronen-Zeitung einen Anteil von fast 16% der Bevölkerung mobilisieren können. Die Regelung über die Harmonisierung ist das Herzstück der Reform des Migrationsregimes, genannt »Integrationsvereinbarung«: alles andere ist die übliche Schikane, die aus der ideologischen Ausrichtung der beiden Regierungsparteien – Abgrenzung nach Innen und Außen – logisch ableitbar ist. Deutschkenntnisse und Staatsbürgerkunde wurden auch bis jetzt in einigen Bundesländern als Voraussetzung zur Erteilung der Staatsbürgerschaft seitens der VerwaltungsbeamtInnen geprüft. Jetzt wird diese Verwaltungsmaßnahme in den Rang eines Gesetzes erhoben und zwar für die MigrantInnen, die erst nach Österreich kommen werden, und – man höre und staune - für die arbeitslosen MigrantInnen, also für diejenigen, deren Partizipations- und Einflussmöglichkeiten in der Gesellschaft gleich Null sind. Und die auch nicht zu dem von der Gewerkschaft und Arbeiterkammer vertretenen Klientel gehören. Diese Menschen sollen die Hälfte der Kursgebühren zahlen. Und wenn sie nicht gehorsam mitmachen, sollen sie zunächst Geldstrafen zahlen und danach ihr Aufenthaltsrecht verlieren. Den arbeitslosen MigrantInnen, die sich weigern Kurse zu besuchen oder diese nur unregelmäßig in Anspruch nehmen, wird das Arbeitslosengeld – eine Versicherungsleistung, für die sie jahrelang Pflichtbeiträge eingezahlt haben – einfach gekürzt. Es handelt sich hier, in dieser auf den ersten Blick harmlosen Regelung, um eine Maßnahme, die das gesamte System angreift. Denn hier werden die Schlösser der Kontroll-, Erpressungs- und Disziplinierungsmaßnahmen (mit dem eigenen, in die Versicherung eingezahlten Geld) geöffnet. Es kommt – vereinfachend gesagt – zur Aushöhlung des Versicherungssystems des Sozialstaates. Wenn die Beiträge zur Erpressung verwendet werden dürfen, dann können diejenigen, die diese Beiträge leisten, auch auf die Idee kommen, sie gar nicht mehr zahlen zu wollen. Klar werden sie in Zukunft staatlicherseits gezwungen weiter zu zahlen, aber wie lange und vor allem wer? Das System des »sozialen Wohlfahrtstaates« bricht hier mit Unterstützung der Interessensvertretungen der ArbeitnehrmerInnen mit österreichischer StaatsbürgerInnenschaft in sich zusammen. Die Rolle der MigrantInnen ist wie bisher die des Versuchsobjekts für Restriktionen, die danach unter anderem Namen auf alle ArbeitnehmerInnen ausgedehnt werden. In diesem Prozess kommt es auch zur Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahren zur Erteilung der Aufenthalts- und Beschäftigungsbewilligungen. Und ganz nebenbei werden minderjährige AsylwerberInnen, die bisher zumindest die Möglichkeit hatten, ihren Gefängnisaufenthalt gegen eine regelmäßige Meldepflicht zu tauschen, wieder zur »Schubhaft« verurteilt.
Die nach einer Reihe von Wahlniederlagen stark dezimierte FPÖ klammert sich an das, was ihr Urthema ist: an den völkischen Rassismus. In diesen Vorstellungen verwandelt sich der bisherige Staatsrassismus – als Konsens zwischen den SozialpartnerInnen und Großparteien – in staatstragenden völkischen Rassismus, dem das Recht offensichtlich nur dazu dienen kann, die Restriktionen zu stabilisieren. In diese Richtung schlägt auch die Österreichische Volkspartei, weil ihr die oben erwähnte Maßnahme der Teilung der MigrantInnen in diejenigen, die als High-Tech-MigrantInnen Privilegien genießen und diejenigen, die als »soziales Abfallprodukt« dastehen und für einen Billiglohn arbeiten müssen, entspricht. Wahrscheinlich reiben sie sich aber wegen der Infragestellung des Systems der Pflichtversicherung versteckt noch fester die Hände, denn hier eröffnen sich die Profitmöglichkeiten, die bisher wegen des sozialstaatlichen Vertrages nicht möglich waren. In ihren Vorstellungen ist das bisherige System krank und die Kur ist hart: Abspecken durch Restriktion und Erpressung.
Die Schwierigkeit liegt darin, wie anderswo der WählerInnenschaft zu erklären, dass sie in den zwei Jahren Regierens für diese Koalition auf allen Linien Verluste verbuchen mussten. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, die Steuern sind mehr geworden, die Preise steigen jeden Tag, das wirtschaftliche Wachstum verlangsamt sich mit jeder Prognose des Wirtschaftsforschungsinstituts usw., um nur einiges zu erwähnen. Die BürgerInnen, die traditionell vom Staat etwas erwarten, verlieren ununterbrochen. In solch einer Situation ist der völkisch gefärbte Rassismus ein willkommenes Mittel, vor allem nachdem der äußere Feind, der »Ostblock« als Droh- und Harmonierungsmittel für die Bevölkerung verschwunden ist. Folgerichtig greifen die PolitikerInnen dieser Regierung im Namen der »Integration«, der »Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit« und der »Überfremdung« zu drastischen Maßnahmen. Es ist ein Versuch, die drohende soziale Misere und den langsamen aber beständigen Raub am Mittelstand mittels Populismus zu bremsen.
Aber wie geht es weiter? Wo finden die so genannten Oppositionsparteien einen Reformvorschlag, ohne den das Flottmachen ihrer Rolle nicht zu schaffen ist? Die Sozialdemokratie bewegt sich langsam und hängt nach wie vor an den vergangenen Träumen des einheitlichen, sozialstaatsichernden, rechtlich kodierten Staatsrassismus. Die Grünen, Deutschland folgend, bereiten sich für die Teilnahme an der Regierung vor und dementsprechend stellen sie das vorgegebene Konzept der SozialdemokratInnen nicht grundsätzlich in Frage. Ihre Variante ist, Verbesserungen durchzuführen, so z.B. jubelten die Tiroler Grünen vor kurzem, dass es ihnen gelungen ist, »menschenwürdige Umstände für Schubhäftlinge« in der Schubhaft in Innsbruck zu initiieren.
Es gibt also die Wahlmöglichkeit zwischen einem von der Regierung vertretenen völkischen Rassismus und einem seitens der machtpolitisch nennenswerten Opposition und den Interessensvertretungen der Arbeitnehmerinnen vertretenen, sozialpartnerschaftlichen Staatsrassismus, die hier angeboten wird. Wer immer sich für eine davon entscheidet: selber schuld.
20.02.2002
Ljubomir Bratić lebt als Philosoph, Sozialwissenschaftler, Publizist, Aktivist und Flüchtlingsbetreuer in Wien.