Die reanimierte Stadt
Besprechung von »Mortal Cities, Forgotten Monuments« von Arna MakicArna Mackic (geb. 1988), Autorin von Mortal Cities. Forgotton Monuments wurde wie viele andere ihrer Generation in ihrer Kindheit vom Bürgerkrieg in Jugoslawien geprägt. Ihre Familie floh in den 1990er Jahren von Bosnien nach Holland. 1999 kehrte die heute in Amsterdam lebende Architektin das erste Mal zurück nach Mostar und fand eine zerstörte mortal city vor, die sie nicht mehr vergessen konnte. Mackic begann daraufhin ein anhaltendes Interesse für das Verhältnis von Architektur, Stadt und Zeitgeschichte zu entwickeln.
Im vorliegenden Band geht sie, um die Gegenwart Mostars zu ergründen, zurück bis in die Zeit von Titos Jugoslawien. Der Staatschef des sozialistischen Staatengebildes gab zwischen 1960 und 1980 rund 100 Monumente in Auftrag, die dem Gedenken an den Kampf gegen den Faschismus gewidmet waren und einen wichtigen Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses bilden sollten. Die Monumente wurden meist in der Nähe jener Orte errichtet, wo die erbittertsten Kämpfe gegen die Ustascha stattgefunden hatten. Die siegreiche Geschichte der Partisanen sollte so als Ur-Mythos dienen, der unterschiedliche Ethnien und Religionen miteinander verband und so in eine gemeinsame Zukunft wies. Um die Symbole für Gleichheit und Unabhängigkeit für alle Staatsbürger und Staatsbürgerinnen Jugoslawiens lesbar zu machen, musste eine neue, universelle Sprache entwickelt werden. So wurde auf ideologische und religiöse Symbole und auch auf die üblichen Darstellungen von Kriegshelden und Partisaninnen weitgehend verzichtet. Diese Monumente, oft aus Beton oder Steinen der Umgebung gebaut, waren in den Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg Stätten, die nicht nur auf Grund ihrer Lage, meist abseits der Städte in der Natur, vom Alltagsleben abgehoben waren. Oft nur beschwerlich, nach längeren Fußmärschen erreichbar, waren es Orte der Kontemplation. Schüler und Studentinnen wurden auf Exkursionen dorthin geschickt, um sie auf einen kollektiven Geist einzuschwören.
Arna Mackic widmet sich in ihrer Spurensuche vor allem den Monumenten, die der Belgrader Architekt, Stadtplaner und Theoretiker Bogdan Bogdanovic´s (1922-2010) entwarf. Die Biografie von Bogdanovic´ ist eng mit der oft leidvollen Vergangenheit der Region verwoben, war er nicht nur Hochschulprofessor und Verfasser maßgebender Bücher zu Architekturtheorie und Geschichte der Stadt, die internationale Beachtung fanden, sondern zwischen 1982 und 1987 auch Bürgermeister von Belgrad. Anfang der 1990er Jahre kämpfte er wortgewaltig wie erfolglos gegen die Zerstörung der Städte im Bürgerkrieg an. 1993 ging er desillusioniert zuerst ins Exil nach Paris und dann auf Einladung seines Freundes Milo Dor nach Wien, wo er bis zu seinem Tod 2010 lebte.
Die Monumente, die er im Auftrag Titos schuf, zeichnen sich durch eine Archaik aus, die zugleich in die Vergangenheit wie in die Zukunft zu weisen scheinen. Trotz Bezüge zu vergangenen Epochen wie der Renaissance und dem Barock wirken sie bis heute zeitlos. Bogdanóvic´s Formensprache und Symbolismus, die sich aus einem ausgeprägten Interesse für Meta-physik, Symbollehre und Surrealismus speisen, waren freilich besonders weit von den Kunsterzeugnissen des sozialistischen Realismus entfernt. Doch wurde unter Tito gerne die Eigenständigkeit des jugoslawischen Wegs hervorgestrichen. Das Monument, das Bogdanóvic´ am Rande der Stadt Mostar schuf, nimmt einen zentralen Platz in Arna Mackics Buch ein. Die Totenstadt, die an 810 gefallene Partisanen erinnert, spiegelt strukturell die Stadt der Lebenden wieder. Wie Mostar selbst weist das Denkmal Gassen und Tore auf, kann so als ein idealisiertes Diagramm der Stadt gelesen werden. Erinnerung wird so als Voraussetzung für Zukunft erklärt.
Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.