» Texte / Die Rückeroberung der Stadt – aber wo ist der politische Kampf?

Johanna Betz

Sara Schmitt Pacífico


Vom 21. April bis 02. September 2018 ist im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main die Ausstellung FAHR RAD! Die Rückeroberung der Stadt zu sehen. Begrüßt werden die BesucherInnen mit einer knappen statistischen Übersicht sowie Zukunftsvisionen zum Thema Radfahren und Verkehrsinfrastruktur in der Bundesrepublik. Darauf folgen Tafeln und Modelle, die beeindruckende bauliche Manifeste der Radinfrastruktur aus unterschiedlichsten Städten vorstellen: Rad- und Fußverkehrsbrücken, Rad(schnell)wege, Fahrradparkhäuser, Wohnhäuser mit innovativen Mobilitätskonzepten. Die Beispiele zeigen: In vielen Städten und Regionen – von Barcelona bis Sao Paolo, in New York, Oslo und im Ruhrgebiet – wird die Infrastruktur für RadfahrerInnen ausgebaut. Schöne Bilder von intelligent geplanten Brücken, die dem öffentlichen Raum wieder mehr Aufenthaltsqualität beimessen, machen Lust, den urbanen Raum mit dem Rad zu erkunden und liefern praktische Ideen für ArchitektInnen und PlanerInnen.
Aber zurück zum Ausgangspunkt und Titel der Ausstellung: Zeigt die Vielzahl der Beispiele nicht eher punktuelle Leuchtturmprojekte und weniger eine kollektive und umfassende Rückeroberung der Stadt? Grundlegende strukturelle Veränderungen im Hinblick auf den Ausbau der Radinfrastruktur und den damit einhergehenden Rückbau der autogerechten Stadt bleiben in den meisten Städten aus. Nach wie vor verhindern fehlende oder nur fragmentarisch vorhandene Radfahrspuren, parkende und unvorsichtig abbiegende Autos, Schlaglöcher und Luftverschmutzung ein sicheres und entspanntes Radeln in vielen Städten – davon ist in der Ausstellung wenig zu sehen. Und obwohl kaum noch jemand gegen die positiven Effekte der Radmobilität, wie dem geringeren Flächenverbrauch von Fahrrädern, der wegfallenden Luftverschmutzung sowie dem Beitrag zu Lebensqualität, Nachhaltigkeit und Klimaschutz, argumentiert, scheint es nach wie vor schwierig und sehr langwierig die Radinfrastruktur in Kommunen auszubauen. Doch warum sind selbst bei Neubauprojekten, wie dem Frankfurter Europaviertel, einem der größten europäischen innerstädtischen Stadtentwicklungsprojekte immer noch unzählige, offensichtliche Verkehrshindernisse wie Boller oder Gehsteige mitten auf dem Fahrradweg zu finden?
Wer Antworten auf diese Fragen sucht, muss in umfassende Mobilitätsdebatten einsteigen. Leider verpasst es das DAM an dieser Stelle einen Einblick in die komplexen Aushandlungsprozesse während der Planung und Umsetzung der Radinfrastruktur zu vermitteln. Zwar setzt sich die Ausstellung zum Ziel, eine »integrierte Debatte mit den Verantwortlichen an[zu]stoßen und die verschiedenen Disziplinen zum Austausch und zur Zusammenarbeit an[zu]regen«, doch hätte man dafür die Ausstellung verschiedener Beispiele nicht um die Darstellung von Konflikten, welche vor dem Planungsprozess stehen und ihn begleiteten, erweitern müssen? Unklar bleibt beim Gang durchs Museum mit welchen Herausforderungen sich AgentInnen der Radinfrastruktur in ihrem Alltag konfrontiert sehen. Zwar ist während der Ausstellung ein (auf Fachpublikum) ausgerichtetes Begleitprogramm angesetzt, das durch planungspraxisnahe Workshops Inspiration bieten soll. Aber ruft der Titel der Rückeroberung nicht nach etwas mehr? Wären keine partizipativen Aktionen oder (architektonischen) Interventionen im Frankfurter Stadtraum denkbar gewesen, die auf Fehlplanungen konkret aufmerksam machen und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen?
Was das Fahrrad erst zu seiner aktuellen Prominenz gebracht hat, lässt das Museum völlig außer Acht: der politische Kampf kreist schon immer ums Fahrradfahren – seien es emanzipatorische Aspekte im Zuge der Frauenbewegung, die Proteste der Fahrradkuriere oder die wöchentliche Aneignung der Straßen durch die stetig wachsende Critical Mass. Die Ausstellung macht einen großen Bogen um dieses Thema und verkennt so einiges an Potential, welches das Thema Radfahren bietet.
Einen Besuch können wir dennoch empfehlen. Denn nicht zuletzt wird beim Gang durchs Museum deutlich: Bis zur Rückeroberung der Städte, in denen die Menschen den Lenker selbst in der Hand halten, ist es noch ein weiter Weg.
Doch nicht nur die Straße muss zurückerobert werden, das gleiche gilt auch für den Bereich Wohnen, dem sich das DAM derzeit ebenfalls widmet. Seit dem 17. Mai ist die Ausstellung Wohnen für alle! im gleichen Gebäude zu sehen. Die Ausstellung präsentiert die eingereichten Projekte eines vom Planungsdezernat Frankfurt, der ABG Frankfurt Holding und dem DAM ausgelobten Wettbewerbs. Inwiefern es sich hier um die Kooptierung eines radikalen Slogans handelt oder tatsächlich umfassende, demokratisierende Aspekte in der Ausstellung vorgestellt werden, können wir beim Verfassen der Rezension noch nicht beurteilen. Finanziert und eröffnet wird die Ausstellung jedenfalls u.a. von der ABG Frankfurt Holding, der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Frankfurts. Liegt hier nicht schon der Widerspruch in Titel und Ausstellung? Die ABG handelt profitorientiert und so scheint es für den Geschäftsführer Frank Junker selbstverständlich zu sein, dass jährlich Sozialwohnungen aus der Bindung des Bestands des Unternehmens fallen und gleichzeitig Luxuswohnungen gebaut werden, obwohl in Frankfurt mittlerweile fast 50 Prozent der MieterInnenhaushalte Anrecht auf eine Sozialwohnung haben. Wohnen für alle scheint also zumindest nicht der Slogan der ABG zu sein.
Am Fehlen architektonischer Lösungen für eine gerechtere Zukunft scheint es weder im Rad- noch im Wohnbereich zu liegen. Ist es aber nicht tatsächlich so, dass wir uns von einer Rückeroberung der Städte immer weiter entfernen, wenn Konflikte und Widersprüche, die nach wie vor verhindern, dass Alternativen einfacher durchgesetzt werden können, nicht offen kommuniziert und diskutiert werden? Schade, dass das DAM die Chance verpasst hat, dazu einen Beitrag zu leisten.


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