Die Stadt der Theorie ohne Theorie der Stadt
Besprechung von »Die Stadt der Architekten. Anatomie einer Selbstdemontage« von Angelus EisingerAngelus Eisingers Buch Die Stadt der Architekten. Anatomie einer Selbstdemontage ist Band 131 in der renommierten Reihe Bauwelt Fundamente. Der Titel enthält bereits die These: Die Stadt der Architekten und die reale Stadt haben sich entfremdet. Eisingers Buch ist ein rough guide durch die letzten hundert Jahre Städtebau auf 160 Seiten: Anhand der Diskurse der Zwischenkriegszeit, der Manifeste der internationalen Moderne (repräsentiert im CIAM) und Strömungen, die sich von der Dogmatik der Neuen Stadt zu emanzipieren suchten, bis hin zum gegenwärtigen Phänomen sprawl oder der „eigenschaftslosen Stadt“ (Rem Koolhaas) wird eine Geschichte einer fortschreitenden Differenz zwischen Städtebau und Stadtentwicklung skizziert, zwischen Theorie, Konzeption und Realität. Diese Erzählung auf knappem Raum fordert ihren Tribut da, wo historische oder interdisziplinäre Querschnitte und Diagonalen hilfreich gewesen wären, um die Thesen stärker zu verankern.
Der Sündenfall der Geschichte des modernen Städtebaus liegt laut Eisinger in einer Selbstüberschätzung der ArchitektInnen, die in der Anmaßung manifest wird, als Spiritus Rector der Stadt aufzutreten. Die Überzeugung, die bessere Gesellschaft durch die bessere Stadt konstituieren zu können, war der gemeinsame Nenner so unterschiedlicher formaler städtebaulicher Manifeste wie der Gartenstadt Ebenezer Howards oder der Ville Radieuse Le Corbusiers oder Realisierungen wie Lucio Costas Brasilia. Bruno Taut hatte sich schon früh über diese Haltung lustig gemacht und sprach von den ArchitektInnen als „Übersoziologen“, „Übernationalökonomen“ und „Überhygienikern“. Anfang der 1950er Jahre wurde die heroische Autonomie der Disziplin von TeilnehmerInnen der CIAM selbst in Frage gestellt. Das Team 10 unter dem Einfluss von Peter und Alison Smithson leitete einen Generationswechsel ein. Architektur und Städtebau wurde mit Alltagskultur und der bereits bestehenden Stadt in Verbindung gesetzt. Damit wurde eine Entwicklung in Gang gesetzt, die bis heute nachwirkt und eine Erosion der Selbstherrlichkeit der ArchitektInnen brachte. Bis heute hat sich die Realität der Stadtentwicklung bekanntermaßen zunehmend von den Planwelten entfernt. Auf der anderen Seite brachte die Zuwendung zur „alten Stadt“ – gemeint ist meist die kompakte europäische Stadt des 19. Jahrhunderts – unter dem Stichwort „Urbanität“ ein neues Dogma. Auch im Rückgriff auf andere, vermeintlich „bessere Zeiten“ wurden pseudo-historische Modelle propagiert, wie etwa die artifizielle Kleinstadtidylle, die für Celebration Pate gestanden hat.
Eisinger beschreibt das Changieren zwischen neuen Allmachtsphantasien und einer zunehmenden Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit, die parallel den gegenwärtigen Diskurs heimsuchen. Die Theorie der Stadt wurde von einer Stadt der Theorie abgelöst.
Der Autor propagiert eine Neuformulierung der Rolle der ArchitektInnen, im Sinne von team-playern in einer Gemeinschaft. Voraussetzung wäre laut Eisinger eine Annäherung und ein Austausch zwischen Sozialwissenschaft und Städtebau. Nur das Eingeständnis des unübersehbaren Verlusts der Kontrolle über die realen Parameter der Stadtentwicklung könnte die Disziplin Städtebau neu beleben und die Selbstdemontage relativieren. Nötig wäre dafür ein elaboriertes Instrumentarium, um mit Unschärfe und Unvorhersagbarkeit operieren zu können. Nicht mehr fertige Bilder von Stadtformen sind gefragt, sondern intelligente Strategien der Einflussnahme und Qualitätssicherung.
Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.