» Texte / Die steirische Architektur von außen betrachtet

Roland Tusch


Zum vierten Mal publiziert das Haus der Architektur Graz ein Jahrbuch, das eine wertvolle Bilanz der Architektur in der Steiermark darstellt. Das Prinzip der ersten drei Bände wurde für die aktuelle Ausgabe grundlegend überdacht. Es entstand ein neues Konzept, das auf mehreren Ebenen zu einem überzeugenden Ergebnis geführt hat. Man entschloss sich, das Jahrbuch mit dem Architekturpreis des Landes Steiermark zu kombinieren. Anstelle einer mehrköpfigen Jury wird die Auswahl der Projekte künftig einem Kurator, diesmal dem Berliner Architekturkritiker Andreas Ruby, übertragen. Die Entscheidung, die Auswahl für den Architekturpreis in eine Hand zu geben, ist umstritten, aber couragiert. Unter dem subjektiven Fachurteil Andreas Rubys wurden zwölf Projekte für die Publikation, darunter eines für den Architekturpreis, ausgewählt.

Schlägt man das Buch auf, so tritt man unmittelbar in die Realität der steirischen Landschaft ein. Ein bemerkenswertes, formatfüllendes Foto des Erzberges mit Rastplatz im Vordergrund ist auf der nächsten Doppelseite von einem herben Schotterteich-Badeidyll, vermutlich südlich von Graz aufgenommen, gefolgt. Derartige Bilder trennen die zwölf Kapitel und Projekte voneinander. Während man die Vorworte der Politik und des Hauses der Architektur in der Umschlagklappe leicht übersieht, befindet man sich bereits mitten in der Lektüre des ersten Projekts. Die Bilder der in New York lebenden mexikanischen Fotografin Livia Corona fangen inszenierte Momente der Bauten aus unterschiedlichen Perspektiven ein und erzählen auf diese Weise kleine Geschichten. Die Sensibilität für den besonderen Augenblick, gepaart mit den inszenierten Narrativen führt zu einzigartigen Bildern.

Die Plandarstellungen haben im Buch einen besonderen Raum. Jedes Projekt wird mit einem Schwarzplan im Maßstab 1:2000 in seinem Kontext verortet. Die in der Planungspraxis üblichen Maßstäbe 1:200, 1:100 und 1:50 werden für die Darstellungen ausgewählter Fassaden und Grundrisse herangezogen. Die Auswahl lässt bei manchen Projekten weitere, ergänzende Darstellungen vermissen. Die Pläne wurden von Julian Schubert und Elena Schütz für dieses Buch gezeichnet und stellen bewusst auch die narrativen Details aus den Fotos dar.

Jedes Projekt wird von einer Interviewcollage begleitet, die auf angenehme Weise die üblichen Projektbeschreibungen ersetzt. Studierende der Architekturfakultät in Graz wurden dafür engagiert, Gespräche mit Menschen zu führen, die aus unterschiedlichen Gründen einen Bezug zu den einzelnen Projekten haben. Aus diesem Material haben Ilka und Andreas Ruby Textcollagen zusammengestellt, die Verknüpfungen der neuen Bauten mit NutzerInnen, NachbarInnen, PassantInnen, AuftraggeberInnen und ArchitektIn­nen herstellen. Die üblichen Eckdaten der Projekte sind den einzelnen Kapiteln zugeordnet und werden im Anhang noch um ausführlichere Angaben zu FachplanerInnen, MitarbeiterInnen und ausführenden Firmen ergänzt.

Im Nachwort des Kurators, das die zwölf Kapitel abschließt, wird aus guter Distanz, mit qualifiziertem Blick die jüngere Architekturgeschichte der Steiermark reflektiert. Ausgehend von der Grazer Schule werden zwei Folgegenerationen beschrieben, die heute das Architekturgeschehen des Landes maßgeblich bestimmen. Die Besprechung der ausgewählten Projekte aus der Sicht des Kurators bildet den Abschluss dieses Textes. Im Nachwort der Herausgeber, das wiederum in der Umschlagklappe leicht zu übersehen ist, findet man interessante Informationen zum Konzept des Buches.

Das Buch beschreibt auf geschickte Weise die Lage der Architektur in der Steiermark und stellt Lob und Kritik gleichermaßen dar. Mit der Entscheidung für ein neues Konzept für Jahrbuch und Architekturpreis setzt sich das Haus der Architektur einer allgemeinen und der Kurator Andreas Ruby einer speziellen Kritik aus, die vor allem aus der lokalen Architekturszene kommt. Die Kompetenz und Qualifikation der beteiligen Akteure steht außer Zweifel, die Herausforderung liegt nun in einem gewinnbringenden Diskurs für alle Seiten, der den Blick von außen als Chance nutzt. Dafür ist dieses Buch ein guter Ausgangspunkt.


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