Die Welt als Bürolandschaft
Besprechung von »Architektur immaterieller Arbeit« von Andreas RumpfhuberDer erste Band der Reihe kollektive gestalten, herausgegeben von Andreas Rumpfhuber und Johan Frederik Hartle, widmet sich den Ausformungen einer »Architektur der Arbeit«. Bei diesem Auftakt handelt es sich um die gleichnamige, überarbeitete Dissertation von Andreas Rumpfhuber.
Beschrieben wird das komplexe Verhältnis der postindustriellen, zunehmend von immaterieller Arbeit geprägten Lebenswelt zu einer neuartigen räumlichen Praxis, die nicht mehr von einer traditionellen »Gleichräumigkeit und Gleichzeitigkeit« von Arbeitsprozessen ausgehen kann.
Obwohl der Wandel der Arbeitswelt historisch weiter zurück geht, fokussiert Andreas Rumpfhuber enigmatische Projekte der 1960er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Form einer punktuellen Tiefenbohrung, die mehr als Momentaufnahme denn als Beschreibung historischer Entwicklungslinien angelegt ist. In den 1960er Jahren wurde die Bedeutung von Kommunikation und Information für die neue Arbeitswelt wirklich greifbar. Verhandelt werden Projekte, die eine veränderte Arbeitswelt in neuen Raumkonzeptionen spiegeln. Die immaterielle Arbeit spaltete sich vom Ort der Produktion ab, der einst geschlossene Container der Fabrik löste sich auf. An die Stelle der fordistischen Forderung nach maximaler Effizienz der Arbeitsabläufe – die Moderne war nicht zuletzt von der Zielsetzung geprägt, die Anforderungen der Produktionsabläufe möglichst direkt, also funktionalistisch in räumliche Konstruktionen zu übersetzen – tritt die vom Einzelnen geforderte Kreativität, der der »Geist der immateriellen Arbeit« zu Grunde liegt. Die physischen und psychischen Grenzen der Arbeitswelt lösen sich in der Nachkriegszeit immer mehr auf – Leben und Arbeit, Erwerbstätigkeit und Freizeit werden zunehmend nicht mehr als getrennte Sphären betrachtet. Eine starre Hierarchie, die auf Anordnungen top-down basiert, wird in avancierten Bürostrukturen von einer netzwerkartigen Organisation abgelöst.
Die Einleitung des Bandes dient einer diskursiven Standortbestimmung, die zwischen einer poststrukturalistischen Raum- und Gesellschaftsanalyse eines Michel Foucault und einer »post-marxistischen« Gesellschaftstheorie angesiedelt ist – ein Amalgam, das sich insbesondere in den Schriften Toni Negris und Michael Hardts finden lässt, die eine Fusion beider Denk-traditionen anstreben.
Hat man erst einmal die breite Diskurslandschaft der Einleitung hinter sich gelassen und sich auf die Einengung auf die 1960er Jahre eingelassen, zeichnen sich interessante Blickrichtungen ab. Der Autor beschreibt Stationen einer Entwicklung, ausgehend von der Erfindung der Bürolandschaft im Deutschland der frühen 1960er Jahre, über die Architekturperformance Mobiles Büro von Hans Hollein, in der er sich selbst in einer pneumatischen Hülle als Arbeitsnomade inszeniert – die pneumatische Blase als Vorfahre einer ortlosen, digitalisierten Arbeitswelt –, bis zur Bed-in-Performance John Lennons und Yoko Onos, welche sich die Tendenz der Grand Hotels, gleichzeitig Lebens- wie Arbeitswelt zu sein, für ihre politische Agenda – den Weltfrieden – zu Nutze machten.
Der Autor beschreibt die Projekte in anschaulichen Details, oft an Hand von Fotos aus der Zeit, die viel über den zeithistorischen ideologischen Background verraten.
Die rigide Organisation des Großraumbüros amerikanischer Prägung wird an der Bürolandschaft Buch und Ton deutlich, die der Bertelsmann-Konzern 1960/61 umsetzte. Die scheinbar hierarchielose, horizontale Bürolandschaft, die gemäß der Vorstellung einer radikalen Flexibilität der Arbeitsprozesse konzipiert wurde, orientierte sich an den Grundsätzen der Kybernetik, eines psycho-mechanischen Denk- und Steuerungsmodells, das in den 1960er Jahren in Mode kam. Der hindernisfreie, horizontale, nur durch Möblierung und Beleuchtung strukturierte Raum sollte flache Hierarchien fördern und ein »Wohlfühlambiente« – Stichwort: Wohnen im Büro – erzeugen. Das anvisierte egalitäre System, scheinbar chaotisch und ungeordnet, war – worauf Rumpfhuber ausdrücklich hinweist – auch tendenziell als konfliktfreier, entpolitisierter Raum entwickelt worden. Später wurden kommerzielle Programme und Freizeiteinrichtungen in die Bürostruktur integriert, etwa im – im Buch angeführten – strukturalistisch geprägten Bürogebäude Centraal Beheer (1967-72) von Herman Hertzberger. Die Öffnung wird gleichzeitig als eine Implosion beschrieben: In der Innenwelt wird die Außenwelt simuliert.
Rumpfhuber beschreibt eine Entwicklung, die von einer räumlichen Innenorientierung (Verlagsgebäude Buch und Ton) hin zu einer Öffnung zum umgebenden (Stadt-)Raum verläuft (Herman Hertzberger), bis hin zu einer radikalen Auflösung von Innen und Außen, die dem Fun Palace zu Grunde liegt, der von Cedric Price als grenzenlose, permanent veränderbare Mitmachmaschine entworfen wurde – eine unfertige Anti-Architektur, konzipiert als Generator von Ereignissen.
Die Stadtutopien der 1960er Jahre basierten oft auf der Annahme, dass die »Automatisierung« der Arbeitsabläufe weitgehend zu einer Abschaffung der Erwerbsarbeit führen würde. Rumpfhuber analysiert Constants New Babylon und Yona Friedmans Raumstadt als utopische Großstrukturen im Dienste einer von Arbeit befreiten anti-hierarchischen Freizeitgesellschaft, die sich – und darin liegt der emanzipatorische Impetus – selbst organisiert.
Im Rückblick zeigen sich erste Verwerfungen, die auch unsere gegenwärtige Arbeitswelt heimsuchen. Bereits in den 1960er Jahren scheint das neue, zur Unabhängigkeit verurteilte unternehmerische Selbst, das untrennbar mit dem Geist der immateriellen Arbeiten verbunden scheint, erste Ermüdungserscheinungen aufzuweisen. Rumpfhuber verweist auf einen Schnappschuss eines Bed-in. John Lennon ist zu sehen, der im Bett neben Yoko Ono angesichts der Reporterschar für einen Augenblick seine Erschöpfung nicht verbergen kann, die auch als Folge der neuen Selbstbestimmtheit des Individuums gelesen werden kann.
Im Schlusswort kommt Rumpfhuber auf die Frage des Verhältnisses zwischen Architektur und Gesellschaft zurück. Die beschriebenen Beispiele zeigen an Hand paradigmatischer Projekte der 1960er Jahre, wie sich das einst deterministisch gedachte Verhältnis zwischen Architektur und Arbeitsprozess zu Gunsten eines komplexeren Verhältnisses aufzulösen begann. Und dennoch behält der architektonische Raum auch in Zeiten einer zunehmend global vernetzten Kybernetik seine Eigenschaft als »Rahmung des Möglichen«, wie Andreas Rumpfhuber schreibt. Eine Frage scheint mitzuschwingen, ohne angesprochen oder gar beantwortet zu werden: die Frage, inwieweit auch Subversion durch Architektur möglich ist, eine hidden agenda, die über die Abbildung vorgegebener gesellschaftlicher Verhältnisse hinausgeht – dem gegenwärtigen Zeitgeist zum Trotz.
Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.