
Die Zeit und die Stadt
Chronopolitiken des Alltags»The clock, not the steam engine, is the key-machine of the modern industrial age.« Lewis Mumford
In den Abendstunden der Julirevolution von 1830 – die Schlacht war geschlagen, Karl X hatte bereits abgedankt – konnte man an verschiedenen Orten Paris’ Zeuge eines bemerkenswerten Ereignisses werden. Ohne orchestrierte Aktion erhoben aufständische Gruppen ihre Waffen erneut, richteten sie gegen einen schier übermächtigen Gegner – und schossen auf Turmuhren, erwähnt Walter Benjamin in seinen thesenhaften Reflexionen Über den Begriff der Geschichte (Benjamin 1991, S. 690–708; siehe dazu auch: Löwy 2005, S. 89 ff.) Der Feind war der gewöhnliche Lauf der Dinge, verkörpert durch die Uhren, die in der Stadt verteilt, die Zeit anzeigten, den Tag einteilten. Die Zeit, jene Dimension, die uns die Abfolge, Veränderung oder Dauer von Ereignissen wahrnehmen lässt, ist nicht die neutrale Größe, als die sie auftritt, das wird hier deutlich: Sie ordnet, misst, verteilt. Der Streit, wer über die Zeit verfügt, über ihre Bewertung und Verteilung, über die Struktur und den Verlauf zeitlicher Prozesse ist Gegenstand der politischen Auseinandersetzung – der Chronopolitik...
Michael Klein ist dérive-Redakteur, lebt und arbeitet in Wien. Er hat in Wien und Paris Architektur studiert und arbeitet am Forschungsbereich Wohnbau und Entwerfen der TU Wien.