Editorial dérive 14
Im Mai und Juni letzten Jahres fand in Wien das Symposion tempo..rar zum Thema des Temporären, des Flexiblen, Kurzzeitigen und Vorübergehenden sowie des damit verbundenen Anstiftungspotenzials zur Identität von Orten statt. Unterschieden werden sollte der temporäre Ort von einer temporären Nutzung des Ortes, die Frage war, worin denn die Beziehung zwischen Ort und Nutzung/NutzerIn bestehe. tempo..rar schloss an das EU-Forschungsprojekt Urban Catalyst statt an, das von einer Gruppe um Philipp Oswalt und Kees Christiaanse koordiniert wurde.
Aus den bei tempo..rar gehaltenen Vorträgen und präsentierten Projekten haben wir für den Schwerpunkt »temporäre Nutzungen« die Beiträge von Klaus Ronneberger, dem Büro für kognitiven Urbanismus (Andreas Spiegl und Christian Teckert), permanent breakfast und transparadiso ausgewählt. Weiters enthält der Schwerpunkt einen einleitenden Artikel von Florian Haydn und Robert Temel, die tempo..rar gemeinsam mit Mirko Pogoreutz konzipiert und organisiert haben, in dem auch eine Reihe von Projekten vorgestellt werden, einen Artikel von Christa Kamleithner und Rudolf Kohoutek, der zeigt, dass temporäre Nutzungen Planung und deren Voraussetzungen grundsätzlich infrage stellen. Ein Artikel zu Hausbesetzungen in der BRD der 1970er und 80er Jahre, den wir dem Buch Feuer und Flamme von Geronimo entnommen haben, soll zeigen, in welchem Kontext diese spezielle Form von temporären Nutzungen noch vor wenigen Jahren diskutiert wurden. Einen guten Einblick in diese Zeit gibt auch das Buch Bewegungslehre – Botschaften aus einer autonomen Wirklichkeit von der Agetur Bilwet. (Beide Bücher sind in der Edition ID-Archiv erschienen.)
In Österreich haben Hausbesetzungen nie eine so bedeutende Rolle wie in anderen Ländern (Italien, England, Niederlande, Deutschland etc.) gespielt, was nicht heißt, dass in Wien z. B. die Arena, die Gassergasse, die Aegidigasse und in den letzten Jahren das EKH für die linke und linksradikale Bewegung keine Bedeutung gehabt hätten. Dass Hausbesetzungen nach wie vor stattfinden, wenngleich nicht immer klar ist, ob es einen wirklichen Willen zur längerfristigen Besetzung gibt oder ob es nur um eine symbolische Besetzung geht, zeigte vor wenigen Wochen die Kurzzeitbesetzung des ehemaligen Obdachlosenheimes in der Meldemannstraße in Wien. Mit dem Überleben zu kämpfen hat derzeit das EKH. Die KPÖ, Besitzerin des Hauses, hat den Prozess, um das Vermögen des ehemaligen (je nach Rechtsmeinung) KPÖ- bzw. SED-Unternehmens Novum vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin verloren und somit 255 Mio. Euro. Bei der KPÖ machen Überlegungen das (bei vielen in der Partei unbeliebte) EKH zu verkaufen, um die Parteikassa wieder ein wenig zu füllen, machen die Runde. Die ehemaligen BesetzerInnen und nunmehrigen MieterInnen haben jedoch wenig Lust, Opfer der KPÖ-Finanzkrise zu werden (siehe: http://www.ekhbleibt.info).
Am Schluss sei noch auf zwei interessante Wettbewerbe verwiesen: den Innovationspreis der freien Kulturszene Wiens, den die IG Kultur Wien heuer erstmals vergibt (nähere Informationen auf der Website http://www.igkulturwien.net) und den Ideenwettbewerb Shrinking Cities Reinventing Urbanism, ausgelobt vom Projekt Schrumpfende Städte (nähere Informationen http://www.shrinkingcities.com).
Christoph Laimer
fluc Präsentation und Party, 4. März 2004, 20:00 Uhr, in Kooperation mit der Klasse von Marina Grzinic, fluc: Bahnhof am Praterstern nebst Fahrradunterführung
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.