Editorial dérive 15
Die Konzeption und Produktion des Schwerpunkts »Frauenöffentlichkeiten« war nicht leicht für uns, und wir haben sie einige Zeit vor uns hergeschoben. Ein Grund mag gewesen sein, dass dérive als nicht deklariert feministische Zeitschrift aus traditionell feministischer Sicht nicht unbedingt der Ort ist, wo »interne« Debatten geführt werden sollen – ein Punkt, mit dem Alice Pechriggl und Renata Fuchs ihr Gespräch beginnen. Was sie, und auch Yvonne P. Doderer, aufrollen, sind einige Schwierigkeiten, die bei einer Beschäftigung mit der neueren Geschlechterforschung auftauchen: Wie lässt sich konkrete feministische Politik von den Prämissen poststrukturalistischen Denkens und der queer theory her denken? Welche diesbezüglichen Veränderungen haben in den letzten Jahrzehnten stattgefunden? Und welche Rolle spielen hier institutionelle und gebaute Räume? Welches Spektrum an »Frauenräumen« gibt es, und welche Ansprüche müssen – wenn man auf ihre politische Wirksamkeit abzielt – an sie gestellt werden?
Wenn wir uns innerhalb der Redaktion auch nicht in allen Fragen immer ganz einig waren, so sind wir uns einig, dass Jutta Sommerbauers Text »Freie Entfaltung im Frauenraum? Über ein unmögliches Verlangen« die wichtigen Fragen zum Thema Frauenöffentlichkeiten / Frauenräume auf den Punkt bringt und einen guten Einstieg in den Schwerpunkt bietet. Sie plädiert dafür, Kritik an den bestehenden Verhältnissen nicht an einen bestimmten Ort zu binden. Frauenräume sind keine abgekoppelten Gegenwelten, die unabhängig von der gesellschaftlichen Wirklichkeit existieren können. Sie können alle möglichen wichtigen Funktionen erfüllen und zu einer »freien Entfaltung« beitragen, dies jedoch nicht ohne die Grenzen von Frauenräumen permanent zu überschreiten.
Yvonne P. Doderer gibt einen historischen Überblick über die Entwicklung der (urbanen) »Frauenprojektekultur«, die die Frauenbewegung wesentlich getragen hat. Dabei kann man seit den achtziger Jahren eine »Professionalisierung«, auch eine Differenzierung und Spezialisierung beobachten. Viele Frauenräume verstehen sich als Dienstleister, die Kurse anbieten, Lokale betreiben, Sozialarbeit machen – und die dabei auch leicht ins System der neuen neoliberalen Verwaltung integriert werden können, die das Sozialwesen zunehmend outsourct, auch unter dem Vorwand der BürgerInnenbeteiligung und des Eingehens auf Differenzen. Von daher ist die Forderung zu verstehen, auch weiterhin umfassende feministische Anliegen zu formulieren und mehr innere Vernetzung anzustreben, um nicht an politischer Schärfe zu verlieren.
Jo Schmeiser und Gabriele Marth gehen in ihrem Text »Politik der (Un)Sichtbarkeit« der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen antirassistischer feministischer Öffentlichkeitsarbeit in Österreich nach. Sie fordern, diese als grundlegenden Faktor der sozialen und politischen Arbeit an der Gesellschaft zu sehen. Sie zeigen, wie auch explizit feministische MehrheitsösterreicherInnen vom strukturellen Rassismus profitieren und dadurch rassistische Staatspolitiken mittragen. So ergibt sich die Notwendigkeit, den Begriff der »Öffentlichkeit« zu hinterfragen und ihn im Plural zu gebrauchen – nicht jedoch, um ihn zu teilen, sondern um ihn zu vervielfältigen.
Im zweiten Teil des Schwerpunkts gibt es u. a. Interviews mit der Künstlerinnengruppe A room of one's own und mit einer Organisatorin des Ladyfestes, das vom 10. bis 13. Juni in Wien stattfinden wird. Dabei geht es um Gruppenstrukturen, Selbstverständnis, Solidarität, Feminismus, Besetzung von institutionellen und öffentlichen Räumen u. v. m. Im Projektteil wird das Schwerpunktthema fortgesetzt: Elke Krasny stellt das Internetprojekt www.muSIEum.at vor, das geschlechtsspezifische museale Auswahlkriterien offen legt. Auch ein größerer Teil der Besprechungen hängt mit dem Schwerpunktthema zusammen – wenn auch nicht spezifisch mit dem Thema der Frauenöffentlichkeiten, so doch mit dem weiten Feld geschlechtsspezifischer Einschreibungen in gebaute und soziale Räume. Zwei der Kolumnen setzen sich dann noch einmal explizit mit dem Problem von Öffnung und Schließung von Frauenräumen auseinander.
Christa Kamleithner
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.