Editorial dérive 16
In letzter Zeit sind im deutschsprachigen Raum einige neue Zeitschriften erschienen, die sich Qualitätsjournalismus auf die Fahnen schreiben und „Mut“ zu langen Artikeln beweisen, wie in Kritiken zu lesen war. Da wollen wir uns auch nicht lumpen lassen und veröffentlichen in unserer schwerpunktlosen Ausgabe eine Reihe von Artikeln, die für den einen oder anderen Nachmittag unter dem Sonnenschirm ausreichend Lesestoff bieten sollten. Den Beginn macht Klaus Ronneberger mit einem Artikel über seine Heimatstadt Frankfurt. Beim Thema Shrinking Cities denkt man nicht unbedingt an eine Stadt wie Frankfurt Klaus Ronneberger zeigt allerdings, dass das wohl zu Unrecht der Fall ist: „Hatte die Metropole in den 1980er Jahren entscheidend von der Internationalisierung der Ökonomie profitieren können, so scheint der gegenwärtige Globalisierungsschub die Fundamente der städtischen Wirtschaft zu unterminieren.“ Es folgt Anette Baldauf mit einem Text über „Ghetto“, das in der Geschichte immer ein Ort der „Gefangenschaft und Abgeschiedenheit“ war. Baldauf zeigt das so genannte Ghetto als Produkt von kollektiver Gewalt, die im städtischen Raum Form annimmt. Jesko Fezers und Mathias Heydens Beitrag ist ein Auszug aus der Einleitung zu dem Buch Hier entsteht. Strategien partizipativer Architektur und räumlicher Aneignung, das demnächst bei b_books in Berlin erscheint. Gerhard Hanak und sein Kollege Wolfgang Stangl vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie in Wien gaben uns vor einem Jahr in einem Interview für unseren Schwerpunkt „Angst“ einen ersten Einblick in das Forschungsprojekt Insecurities in European Cities. Nun ist das Projekt abgeschlossen, Gerhard Hanak liefert einen abschließenden Bericht.
Über das neue Konzept von SOHO in Ottakring und einen Rückblick auf die ersten fünf Jahre dieses in Wien sehr erfolgreichen Kunstprojekts sprachen wir mit Ula Schneider und Ljubomir Bratic. Den Abschluss der aktuellen Artikel bildet ein Beitrag mit dem schönen und langen Titel Reverse Imagineering: die neuen Kämpfe der Städte. Oder: Warum den Staat zerschlagen, wenn der nächste Themenpark viel näher ist? von Brian Holmes, den wir für dérive ins Deutsche übersetzt haben. Der Text ist im englischen Original auf unserer neu gestalteten, aber noch nicht ganz fertigen Website www.derive.at zu lesen. Dort findet sich auch eine englische Version des Artikels von Anette Baldauf. Der fleißigste Autor war diesmal Manfred Russo, der nicht nur eine neue Folge seiner beliebten Serie über Urbanität ablieferte – Die Stadt im 19.Jahrhundert, Teil 2 –, sondern auch ausführlich über die Fassade reflektierte. Die Fotos stammen beim Artikel Frankfurt am Arsch von der Innenstadtgruppe ffm-of (siehe Kasten beim Text) und beim Artikel von Brian Holmes sowie am Cover von Annette Wehrmann. Dazu gibt weiter hinten den Text Ein Ort des Gegen. Die Stills beim Interview über SOHO in Ottakring sind aus der Videoarbeit Weißes Ghetto von Kanak Attak Köln.
Unter den langen Artikeln hat der Besprechungsteil gelitten, der diesmal etwas kurz ausgefallen ist. Für einige Rezensionen hatten wir einfach keinen Platz mehr und werden sie nächstes Mal abdrucken oder auf unserer Website veröffentlichen. Auch liegen manche Bücher, die dringend besprochen hätten werden sollen, noch am Stapel der un- oder halb gelesenen Bücher, weil einfach keine Zeit war, sie (fertig) zu lesen und zu besprechen. Aber im Herbst wird alles wieder gut!
Damit wir es uns künftig leisten können, dérive gelegentlich auch einmal ein wenig umfangreicher zu machen und auch auf Grund der steigenden Kosten, die es verursacht, dérive via Buchhandlung an die LeserInnen zu bringen, müssen wir den Verkaufspreis etwas erhöhen. Die Preise für Abonnements bleiben allerdings gleich, was auch ein Anreiz sein soll, dérive zu abonnieren. Als Abogeschenk für ein Zweijahresabonnement gibt es diesmal das Buch Warum ich Architektin wurde von Margarete Schütte-Lihotzky. Für die Bücherspende danken wir dem Residenz Verlag. Einen schönen Sommer wünscht
Christoph Laimer
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.