Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.


Viel Neues tut sich im dérive-Universum: Seit Anfang Juni gibt es dérive auch als Radiosendung. Mit dérive – Radio für Stadtforschung beschallen wir die Welt bis auf weiteres jeden ersten Dienstag im Monat von 17.30 bis 18 Uhr – in Wien auf der Frequenz des freien Radios Orange 94.0 und für alle Nicht-Wiener und -Wienerinnen entweder live als Webstream (http://o94.at/live) oder individuell zu jeder Zeit über unser Sendungsarchiv (http://cba.fro.at/series/1235). Die Pilotsendung brachte ein Feature über Macondo, eine städtebauliche Insel mitten in Wien und einen Spiegel der Welt und ihrer (Kriegs-)Geschichte der letzten 60 Jahre. In der zweiten Sendung am 5. Juli 2011 berichten wir vom wunderbaren und wichtigen Recht-auf-Stadt-Kongress, der Anfang Juni in Hamburg über die Bühne ging. Im August stellen wir den Schweizer Klang-Raum-Künstler Andres Bosshard im Interview vor, und die Radio-Septemberausgabe wartet mit einem Feature über St. Petersburg auf. Als Fixstarter gibt es in jeder Sendung zwei Audio-Serien: Wörterbuch : Stadt erklärt wichtige Grundbegriffe im Urbanismusdiskurs und dérive-Autor Manfred Russo transferiert seine Geschichte der Urbanität ins Radio-Format.
Doch damit nicht genug: Anfang Juli widmen wir uns mit zwei Veranstaltungen dem Schwerpunktthema dieser Ausgabe. Auf Einladung des Künstler-Duos Steinbrener/Dempf gestaltet dérive eine Wandzeitung an der ausladenden Schaufensterfront ihres Ateliers Ecke Glockengasse/Rotensterngasse in Wien-Leopoldstadt. Idee und Konzept der Wandzeitung stammen von den beiden Künstlern, die gemeinsam mit Bernhard Kellner seit rund einem Jahr für jeweils einige Wochen diese gute alte Tradition der Wissensverbreitung wieder aufleben lassen. Als Gastredakteure für die Sommermonate widmen wir die Wandzeitung dem Schwerpunkt des vorliegenden Heftes: Urban Nightscapes. Die Eroberung der Nacht. Ein großer Dank für die grafische Konzeption und Umsetzung der dérive-Wandzeitung geht an Verena Schäffer und Birgit Kellner.
Mit der zweiten Veranstaltung zum Schwerpunkt urban nightscapes begeben wir uns mitten ins thematische Zentrum des Heftes: Die Nacht ist für die Stadt mehr als einfach ein Tagesabschnitt. Sie ist vielmehr eine Art Territorium, das Bewohner und Bewohnerinnen von Städten im 19. Jahrhundert gegen den anfänglichen Widerstand von Polizei und Herrschenden zu besetzen begannen. Wie die nächtliche Unterhaltungskultur von 1900 bis 1938 in Wien aussah, stellt die Theaterhistorikerin Verena Schäffer in einem Beitrag vor, der die unglaubliche Vielfalt der Orte und Formen des urbanen Vergnügens dieser Zeit darstellt. Eine besonders genaue Darstellung widmet Schäffer dem zweiten Wiener Gemeindebezirk, der Leopoldstadt, die damals mit dem Prater und vielen Veranstaltungsräumen ein Hotspot der Unterhaltungskultur war. Eines der vorgestellten Häuser ist der Nestroyhof, der seit einigen Jahren wieder kulturell genutzt wird: Genau dorthin laden wir am 4. Juli um 21 Uhr zur Präsentation dieser Ausgabe von dérive in der Veranstaltungsreihe Hamakom Salon des Theaters Nestroyhof Hamakom: Verena Schäffer lässt in einem Vortrag das lebendige Leopoldstädter Nightlife von 1900 bis 1938 auferstehen, und der Filmwissenschaftler Thomas Ballhausen lädt mit einer Film-Lecture zu Streifzügen durch urbane Nachtlandschaften.
An der inhaltlichen Konzeption des Schwerpunktes maßgeblich beteiligt war die Geographin Ilse van Liempt von der Universität Rotterdam, die gemeinsam mit ihren KollegInnen Irina van Aalst, Jelle Brands, Tjerk Timan und Tim Schwanen einen Artikel zur Überwachung des Nachtlebens in Rotterdam, Utrecht und Groningen verfasst hat. Marie-Avril Berthet und Virginia Bjertnes, Autorinnen des Beitrags Reclaim the City! Reclaim the Nightlife!, sind forschend seit mehreren Jahren intensiv in das Thema urban nightscapes involviert und haben sich konkret mit der Situation in Genf auseinandergesetzt, wo besetzte Häuser im Nachtleben lange Zeit eine wichtige Rolle gespielt haben, bevor viele von ihnen teils mit Gewalt geräumt wurden. Anne Vogelpohl hat für ihren Text das Schanzenviertel in Hamburg sowie Williamsburg in New York untersucht und verglichen. Beide Gebiete waren lange Zeit durch Industrie und Gewerbe geprägt und wurden in jüngster Zeit zu überaus beliebten Ausgehquartieren. Die Entwicklung der Viertel, die positiven und negativen Auswirkungen des Nachtlebens und die sich oft widersprechenden Maßnahmen der Politik sind Inhalt des Artikels.
Einen Text, der nicht Teil des Schwerpunkts ist, aber auch in diesem Zusammenhang äußerst lesenswert, ist Klaus Ronnebergers Artikel Die kreative Stadt. Ronneberger schafft es, zum Dauerthema der letzen Jahre einen historischen und thematischen Überblick zu liefern und dabei alle relevanten Aspekte zu beleuchten – höchste Empfehlung! Gewohnt hohe Qualität liefert wie immer auch Manfred Russo mit einer neuen Folge seiner Serie Geschichte der Urbanität. Diesmal steht der New Yorker Stadtplaner Robert Moses im Fokus. Der dritte Beitrag des Magazinteils stammt von der Architektin Marlene Wagner und setzt sich mit formellen und nicht-formellen Raumpraktikenim Städtebau in Johannesburg/Südafrika und dem Beispiel der Satellitenstadt Cosmo City auseinander. Das Kunstinsert stammt diesmal von Christine und Irene Hohenbüchler – mehr dazu von Paul Rajakovics auf Seite 32.
Und noch etwas Erfreuliches gibt es zu berichten: Das *dérive-*Stadtforschungsfestival URBANIZE! geht auch diesen Herbst wieder über die Bühne – von 7. bis 16. Oktober in Wien. Mehr dazu rechtzeitig auf http://www.derive.at bzw. https://www.facebook.com/derivemagazin. Einen schönen Sommer wünscht

Christoph Laimer


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